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NRW verbietet Massenmord an Küken Aber wohin jetzt mit den Tieren?

Pro Jahr werden in Deutschland 50 Millionen Küken getötet. NRW macht damit Schluss. Was macht man mit den Tieren?

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Schaufelweise tote Küken schippt ein Mann in kurzer blauer Hose, Gummistiefeln und weißem Kittel in einen Container. Hunderte gelbe Flaumkugeln liegen leblos vor ihm am Boden – die Baby-Hähne wurden vergast, weil sie wirtschaftlich nicht nutzbar sind.

Die Bilder stammen aus einem Film des ZDF, der den Alltag in Legehennen-Zuchtbetrieben dokumentiert. „90 000 Küken werden in dieser Brüterei an diesem Tag vernichtet“, sagt der Sprecher, während ein weiterer Kittelträger unzählige noch zappelnde Küken in eine Kiste kippt.

Mit dem Küken-Mord soll nach einem Erlass des Verbraucherschutzministeriums jetzt jedoch Schluss sein – wenigstens in NRW.

Nachdem gegen eine Kleinbrüterei im Kreis Coesfeld Anzeige erstattet worden war, hatte die Staatsanwaltschaft Münster in einem Verfahren festgestellt, dass das Töten männlicher Küken tierschutzwidrig sei. Europaweit werden seit langem die Baby-Hähne von Legehennenrassen umgebracht, weil sie für die Betriebe wirtschaftlich nutzlos sind: Nicht nur weil sie keine Eier legen, sondern auch weil sie kaum Brustfleisch ansetzen.

Nach Angaben der Tierschutzorganisation Peta werden allein in Deutschland jedes Jahr 50 Millionen männliche Küken vergast oder geschreddert. Das Verbot in NRW ist also längst überfällig. Die Frage stellt sich jetzt aber: Was macht man mit den Tieren?

Für jedes Huhn ein Hahn im Stall

Eine Antwort auf diese Frage kann der niedersächsische Ökolandwirt Carsten Bauck geben. Er prangert schon seit Jahren die Tötungspraxis bei Küken an. Bauck ist Mitinitiator der Bruderhahn Initiative Deutschland (BID), die sich seit 2012 dafür einsetzt, dass pro Legehenne auch ein Bruderhahn mit aufgezogen wird.

Auf Carsten Baucks Hof nahe Uelzen leben rund 7600 Legehennen. Derzeit zieht er auch die Brüder der Hennen groß, die normalerweise getötet worden wären. Das Problem allerdings: „Junge Hähne sind wie pubertäre Jungs Testosteron-Granaten und sie brauchen deshalb viel Platz“, sagt Bauck. Und Platz ist auf einem Bauernhof Geld.

Die zusätzlichen Kosten, die der Bio-Bauer durch die Aufzucht der Gockel hat, deckt er durch den Verkauf des Hähnchen-Fleischs, und indem er die Eier seiner Hennen pro Stück 4 Cent teurer verkauft als gewöhnliche Bio-Eier. „Ethik-Eier“ nennt die Bruderhahn Initiative sie, weil bei der Produktion nicht gegen ethische Grundsätze verstoßen werde: Die Tierhaltung wird in diesem Fall den Tieren und nicht dem Markt angepasst.

Bislang haben vier Großhändler „Ethik-Eier“ im Sortiment. Ab 2014 sollen diese Händler sogar ausschließlich die BID-zertifizierten Eier verkaufen. Neben den Händlern unterstützen auch elf Landwirte die Initiative. Und es sollen noch mehr werden. „Wir stehen mit etlichen Betrieben in Verhandlungen“, sagt Bauck.

Schreddern immer noch Normalität

Nichtsdestotrotz sind die ethischen Eierproduzenten bisher noch deutlich in der Minderheit: Laut Statistischem Bundesamt gab es 2012 in Deutschland insgesamt 1277 Legehennen-Betriebe. Die Mehrheit bezieht ihre Hennen immer noch von Brütereien, die männliche Küken schreddern.

Der Erlass in NRW bedeutet nun jedoch immerhin einen kleinen Schritt in Richtung Ethik, denn das Ministerium hat scheinbar erkannt: „Tiere dürfen nicht zum Objekt in einem überhitzten und industrialisierten System werden.“ So sagte es der NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel in einer Mitteilung.

Etwa ein Jahr lang dürfen die Küken aber noch geschreddert werden. Denn solange dauert es, bis der Erlass gegen das Töten der Küken gültig wird. In der Zwischenzeit haben die Brütereien Gelegenheit, sich auf die neue Regelung einzustellen. Rund 15 Betriebe sind nach Angaben des Verbraucherschutzministeriums von dem Tötungs-Verbot in NRW betroffen.

Ob und wann andere Bundesländer und ganze EU-Staaten nachziehen, ist allerdings fraglich. Denn das EU-Recht regelt lediglich auf welche Art und Weise Küken getötet werden können - ob das im Sinne des Tierschutzgesetzes zulässig ist, bleibt jedoch nach wie vor offen.

Am Ende könnte vielleicht die Wissenschaft eine Lösung liefern: Um Küken-Morde zu verhindern, arbeiten Forscher schon seit Jahren an einem Früherkennungssystem, das bei unbebrüteten Eiern das Geschlecht erkennen kann. Auf diese Art sollen ungewollte Küken vermieden werden, die Eier könnten die Hersteller stattdessen direkt verkaufen.

Ein weiterer Ansatz ist es, Rassen zu züchten, die sowohl als Fleisch- als auch als Eierlieferanten nutzbar sind. Diese sogenannten Zweinutzungshühner sind aber bisher selbst für Demeter-Bauern wie Carsten Bauck zu unwirtschaftlich. Einen Versuch, diese Hühner zu halten, brach der Landwirt vor kurzem ab.

So richtig wohl ist Tierliebhabern beim alten Comedian-Harmonists-Schlager „Ich wollt' ich wär ein Huhn“ also immer noch nicht - und wenn doch, dann nur etwas präzisiert: „Ich wollt' ich wär ein Huhn in NRW“.

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