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Outdoor-Firma Patagonia will einen besseren Kapitalismus

In einer neuen Werbe-Kampagne stellt Patagonia unser Wirtschaftssystem infrage. Das Porträt einer Firma, von der viele etwas lernen können.

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Der Deutsche kommt gern pünktlich, isst sogar zum Frühstück Wurst – und trägt Outdoorjacken von Jack Wolfskin, The North Face und Co. Wenn Europäer beschreiben, wie die Deutschen so sind, kommen sie selten an den bunten Jacken vorbei, die so auffällig unser Straßenbild prägen. Die Jacken sind praktisch: Warm, wasserdicht und windabweisend. Und immer strahlen sie auch ein Stück Naturverbundenheit aus.

Dabei sind sie selten so naturverbunden, wie sie wirken. Mit umweltschädlichen Jacken lässt sich aber schlecht Werbung machen – sie passen nicht zu den Werbeplakaten mit schönen Menschen, die „draußen zu Hause“ sind. Doch der kalifornische Hersteller Patagonia macht genau das: „Kauft diese Jacke nicht“ stand seit Ende 2011 in großen Lettern auf Werbeplakaten in den USA, pünktlich zum Start des Konsumrauschs im amerikanischen Weihnachtsgeschäft.

Das Unternehmen schlüsselte die Umweltbilanz einer ihrer meistverkauften Jacken genau auf: Für deren Herstellung brauchte es 135 Liter Wasser, der Transport nach Kalifornien verursachte mehr als zehn Kilogramm CO2. Bis sie am Firmensitz in Kalifornien ankam, fiel für sie Müll in Höhe von zwei Dritteln ihres Eigengewichts an. Und das, obwohl die Jacke schon zu 60 Prozent aus recyceltem Material besteht.

Bitte denkt zweimal nach, bevor ihr die Jacke kauft, ob ihr sie auch wirklich braucht, forderte Patagonia seine Kunden damit auf. Wir geben uns Mühe, umweltfreundlich zu wirtschaften – und doch verursachen unsere Jacken mehr Umweltkosten, als unsere Kunden dafür bezahlen. Ökonomen nennen solche virtuellen Kosten Externalitäten, also die (guten oder schlechten) Auswirkungen des Wirtschaftens auf Dritte, die in keinem Marktpreis auftauchen. Würde das Unternehmen alle Umweltkosten in seine Preise einrechnen, wäre kaum noch jemand bereit, dafür zu bezahlen.

Gegen Shopping als UnterhaltungPatagonia hat sich zum Ziel gesetzt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Jetzt geht der Hersteller den nächsten Schritt und wird noch grundsätzlicher. Für den kommenden Herbst haben die Kalifornier eine neue Kampagne geplant, mit der sie das ganze Wirtschaftssystem infrage stellen. Das Ziel sei, eine neue Messgröße für den Erfolg eines Unternehmens zu finden, die nicht darauf beruht, immer mehr Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Etwas Ähnliches bewirbt auch der Ex-Banker Pavan Sukhdev, der auf Veranstaltungen Patagonia und seine Werbekampagne gern als eines seiner Lieblingsbeispiele.

„Wir wollen diskutieren, wie eine verantwortungsvollere Wirtschaft aussehen würde, eine, die nicht nur auf Konsum beruht“, sagte Vincent Stanley, Neffe des Firmengründers Yvon Chouinard, dem Guardian. Er wolle herausfinden, was Leute allgemein zufrieden macht, wie man sich von der Idee verabschieden kann, Shopping als Unterhaltung zu begreifen.

Dabei klingt ein Aufruf, weniger zu kaufen, nach einer für einen Bekleidungshersteller riskanten Strategie. Schließlich ist auch Patagonia darauf angewiesen, ständig neue Jacken und andere Outdoor- und Surf-Kleidung zu verkaufen, um als Firma zu überleben. Doch das passiert auch: Zum Start der „Kauft diese Jacke nicht“-Kampagne Ende 2011 verkündete Marketing-Chef Rob Bondurant, das Unternehmen habe in den zwei Jahren zuvor so viele Jacken verkauft, wie noch nie. „Wir glauben nicht, dass es die Verkäufe beeinflusst, wenn wir Leuten sagen, sie sollten weniger kaufen. Wenn überhaupt, hat es sie gesteigert“, sagte er damals.

Umsatzsprung mit Anti-WerbungDahinter steckt also mindestens genau so geschäftliches Kalkül wie Umweltbewusstsein: Der anspruchsvolle potenzielle Patagonia-Kunde entscheidet sich wegen des guten Rufs des Unternehmens für eine teure Fleecejacke aus Kalifornien und gegen eine billige Alternative. Die Patagonia-Jacke hält dann länger, der Hersteller repariert sie bei Bedarf, untersützt Wiederverkäufe und recycelt sie, wenn es sein muss. Dadurch kaufen die Leute insgesamt weniger Jacken – Patagonia aber verkauft mehr.

Zwischen April 2011 und April 2012 machte das Unternehmen 540 Millionen Dollar Umsatz, 30 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die L.A. Times zitiert Analysten, die den Erfolg des Unternehmens direkt mit seinem Umweltengagement verknüpfen. Firmengründer Chouinard sagte im vorigen Jahr, er erwarte künftig moderatere Wachstumsraten – immerhin noch 15 Prozent mehr Umsatz pro Jahr.

„Es ist uns wichtig, Geld zu verdienen und das Unternehmen gesund zu halten“, sagt BonDurant, „aber wir existieren auch, um zu zeigen, dass ein Unternehmen Nachhaltigkeit in sein Geschäftsmodell einbauen kann.“ Inzwischen hat das Unternehmen seinen Kunststoff-Kreislauf so gut es geht geschlossen. Schon in den Neunzigern machte Patagonia auf sich aufmerksam, als es Plastikflaschen in seinen Jacken verarbeitete. Inzwischen nehmen sie ganze Jacken zurück, schneiden sie auseinander, und verwerten die Einzelteile wieder.

Und doch kein ParadebeispielDer 74-Jährige Yvon Chouinard hatte mehr als 40 Jahre Zeit, zu erfahren, was langfristiger Erfolg bedeutet. Das hat er kürzlich mit seinem Neffen in dem Buch „The Responsible Company: What We’ve Learned From Patagonia’s First 40 Years“ aufgeschrieben. Die Autoren betonen, sie wollten nicht Patagonia als Paradebeispiel präsentieren – weil sie nach eigenen Angaben keines sind. „Wir tun nicht alles, was ein verantwortungsvolles Unternehmen tun kann. Das tut niemand, den wir kennen. Wir können aber zeigen, wie jede Gruppe von Menschen, die ihr Geschäft voranbringen will, sich gleichzeitig ihrer Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft bewusst werden und daran arbeiten kann.“

Vom Bekleidungshersteller, der sich nicht bewusst war, welchen Schaden er mit der Produktion seiner Produkte anrichtet, zum grünen Vorreiter, der jeden Schritt seiner Lieferkette mitsamt Folgen für Umwelt und Gesellschaft  auf seiner Webseite dokumentiert und ein Prozent seines Umsatzes für Umweltprojekte spendet. Patagonia lebt von diesem Image und seiner Pflege – und genau davon können trotz der Widersprüche viele Unternehmen noch etwas lernen.

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