Pellworm Eine Nordeseeinsel wird energieautark

Trotz viel Ökostroms brauchte die Insel Pellworm Energie vom Land - das soll sich mit kluger Technik und Speichern nun ändern.

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Eine glühende afrikanische Steppe oder ein karges asiatisches Hochgebirge - spricht man über die Stromversorgung entlegener Regionen, hat man von diesen häufig die exotischsten Vorstellungen. Dabei könnte sich eine autarke Versorgung mit Erneuerbaren auch für deutsche Inseln rentieren.

Lässt man die Energie aus Sonne und Wind in ein intelligentes Stromnetz einfließen, bei dem innovative Speicher auch bei Dunkelheit und Windstille Strom bereitstellen, ist das mittlerweile möglich - und das soll die kleine Nordseeinsel Pellworm zeigen. Ziel des bundesweit einmaligen Projekts ist es, gleich mehrere Herausforderungen der Energiewende anzugehen: die schwankende Einspeisung erneuerbarer Energien sowie deren bessere Verwertung vor Ort.

Pellworm ist rund 37 Quadratkilometer groß, hat etwas über 1000 Einwohner und vor allem im Sommer kommt noch ein Schwung Touristen dazu. Auch die erneuerbare Energien schon seit langer Zeit eine große Rolle: Bereits 1983 wurde auf der Insel einer der damals größten Solarparks Europas gebaut und 1989 mit der Kombination von Windkraft zum größten Hybridkraftwerk Europas erweitert.

Obwohl jährlich über 22 Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom erzeugt werden, reichen der Insel sieben Millionen. Auf der anderen Seite steht der Strom aus Sonne und Wind nicht immer dann zur Verfügung, wenn er gerade benötigt wird. Noch ist die Nordseeinsel daher auf Energie vom Festland angewiesen, um die Schwankungen auszugleichen und den Überschuss ins Netz einzuspeisen. Eine Situation, mit der die Pellwormer nicht glücklich sind.

Fast jedes sechste Haus hat bereits Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach. Und 13 Windenergieanlagen leisten über fünf Megawatt (MW). Das hat einen guten Grund. „Die Insel ist ganz besonders von der Sonne verwöhnt“, erklärt Dieter Haack, Leiter Technischer Netzservice Nord der E.ON Hanse AG. In der jährlichen Sonnenscheindauer könne Pellworm mit süddeutschen Städten wie Freiburg oder München mithalten. Die Ausbeute beträgt 1.000 kWh je Quadratmeter und Jahr. Und wenn in der dunklen Jahreszeit die Sonne kaum zu sehen ist, weht eine besonders kräftige Brise.

Hybride Speicher sollen helfenUm die regenerativ gewonnene Energie optimal zu nutzen, wurde nun in dem fast zehn Millionen Euro teuren Projekt ein sogenanntes hybrides Speichersystem eingerichtet, um den Eigenverbrauch aus erneuerbaren Energien auf der Insel zu erhöhen. Wird bei Starkwind und Sonne zu viel Strom erzeugt, fließt dieser in zwei Großspeichersysteme von Lithium-Ionen-Batterien mit einer Energiekapazität von 560 kWh und Redox-Flow-Batterien mit 1200 kWh.

Die beiden unterschiedlichen Technologien werden in Bezug auf Wirkungs- und Lebensdauer sowie Ent- und Beladung unter extremen Bedingungen einem Härtest unterzogen. Gibt es kaum Wind oder Sonne, liefern die Batterien den Strom für die Inselbewohner. Gesteuert wird dies von einem vom Fraunhofer Anwendungszentrum Systemtechnik entwickelten Energiemanagement-System, das Energieprognosen aus Einflussfaktoren wie Temperatur, Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit und Niederschlag verwendet.

„Leistungsstarke Batterien, Haushaltsspeicher, Elektrospeicherheizungen sowie Elektroautos ermöglichen das lokale Speichern von regenerativ erzeugtem Strom. So brennt das Licht auch dann noch, wenn sich die Mühlen bei Flaute mal nicht drehen“, so Dieter Haack, Projektleiter SmartRegion Pellworm und Leiter Verteilnetze West bei Schleswig-Holstein Netz. Dazu muss sich der Verbrauch an der Erzeugung orientieren, weshalb mittlerweile etwa 25 Ortsnetzstationen den Strom auf der Insel verteilen. Diese Stationen steuern einzelne Ortsteile an, sind mit Datenschnittstellen und Automatisierungstechnik ausgestattet und informieren die Projektpartner auch über Verbrauch oder Spannung.

Für das Innovationsprojekt SmartRegion Pellworm hat die zur HanseWerk-Gruppe gehörende Schleswig-Holstein-Netz den German Renewables Award 2015 in der Kategorie „Projekt des Jahres“ gewonnen, der vom Cluster Erneuerbare Energien Hamburg vergeben wird. „Was heute auf Pellworm bereits in kleinem Maßstab realisiert wird, trägt dazu bei, die alten Abhängigkeiten der neuen Energiewelt zu reduzieren und durch Kopplung von Energieerzeugung und -verbrauch die Erneuerbaren Energien besser zu nutzen“, so Udo Bottländer, Vorstand der HanseWerk-Gruppe.

Möglichkeiten der neuen BatterienRedox-Flow-Batterien sind ein Hoffnungsträger der Speicherwelt, da sie mit verfügbaren, harmlosen Substanzen auskommen und flüssig geladen werden, eine Batterie später also tendenziell unendliche Kapazitäten haben könnte. Das Red steht für Reduktion (Elektronenaufnahme), Ox für Oxidation (Elektronenabgabe) und Flow für Durchfluss. Durch eine elektrochemische Reaktion (Reduktion) wird die Batterie geladen und durch eine erneute Reaktion (Oxidation) wieder entladen. Als Elektrolyte dienen Vanadiumsalze. Mit einer Speicherkapazität von 1.600 kWh und einer maximalen Leistung von 200 kW kann die Batterie auf Pellworm in acht Stunden komplett geladen oder entladen werden, so dass sie als Langzeitspeicher eingesetzt wird. Forscher arbeiten derzeit daran, die Energiedichte in der Salzlösung weiter zu erhöhen.

Die leistungsfähige Lithium-Ionen-Batterie mit einer Speicherkapazität von 560 kWh lässt sich in rund einer halben Stunde komplett entladen und innerhalb einer Stunde laden. Somit fungiert sie als Kurzzeitspeicher. Viele einzelne Lithium-Ionen-Batteriezellen sind modular in größeren Einheiten zusammengefasst, bis sie mit einem Batteriemanagementsystem einen ganzen Container füllen.

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