Plastikmüll im Meer Wie eine Deutsche die Ozeane retten will

Computermodell der Reinigungsanlage: Sie soll täglich mehr als 350 Tonnen Plastikmüll herausfischen Quelle: Presse

Eine Architektin aus Aachen will Atlantik und Pazifik von gigantischen Bergen aus Plastikmüll befreien und gleichzeitig saubere Energie gewinnen. Was Marcella Hansch antreibt – und wie realistisch ihr Projekt ist.

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Wenn Marcella Hansch über ihr großes Vorhaben spricht, vibriert ihre Stimme vor Leidenschaft. Ihre dunklen Augen funkeln angriffslustig unter dem langen, braunen Haarschopf hervor. Es ist nicht zu übersehen und zu überhören: Der Skandal, dass unsere Weltmeere von den Stränden bis in die Tiefsee an Plastikabfall zu ersticken drohen, bringt die 30-Jährige in Rage. „Wir müssen damit aufhören, die Natur zu zerstören“, sagt sie heftig und ihre Gestik verwehrt jeden Widerspruch.

Doch der Jungarchitektin aus Aachen ist bloße Empörung nicht genug. Sie will etwas Handfestes gegen den Umweltfrevel tun. Dafür hat sie einen kühnen Plan ausgeheckt, dessen Umsetzung sie inzwischen praktisch ihre ganze Freizeit opfert, der sie kaum noch eine Sekunde loslässt. „Da hängt mein Herz dran“, sagt sie.

Schwimmende Plattformen, groß wie Kreuzfahrtschiffe, sollen die Millionen Tonnen Kunststoff herausfischen, die sich überall angesammelt haben. Ob im Atlantik, im Indischen Ozean, in der Nordsee oder im Pazifik: Der Plastikschrott gefährdet über die Nahrungskette das Leben von Mensch und Tier.

Jungarchitektin Marcella Hansch zieht ihr Projekt gegen alle Zweifler durch. Quelle: Presse

Und nicht nur das. Hanschs Konzept sieht vor, den Müll vor Ort zu Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) zu verarbeiten. Der Wasserstoff soll die Anlagen mittels Brennstoffzellen mit sauberer Energie versorgen: Strom und Wärme. Mit dem CO2 will sie Algen füttern und aus ihnen wiederum biologisch abbaubare Kunststoffe herstellen. „Der Kreislauf wäre geschlossen“, sagt sie. Und ebenso wichtig: Ein Schritt zur Finanzierung des Projekts ist getan, ohne die all die schönen Ideen Makulatur bleiben. Doch wird das Projekt dadurch schon realistisch? Und kann die komplexe Technologie, die in der Plattform steckt, wirklich funktionieren?

"Nörgler gibt es immer"

Hansch kennt solche Einwände zur Genüge. Als Architektin, die für das Aachener Planungs- und Beratungsbüro Carpus + Partner mit Standorten in Frankfurt und München arbeitet und dort Bürokonzepte oder Forschungsgebäude etwa für Konzerne wie den Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck entwirft, ist sie jedoch geerdet genug, keine Luftschlösser zu bauen. „Ich verplempere meine Zeit nicht mit Utopien“. Was sei denn die Alternative, fragt sie rhetorisch? Den Zustand der Meere beklagen und Nichtstun? Wohl kaum. Es müsse dringend eine Lösung her.

Dass sie dabei Neuland betritt, ist ihr klar. Und gerade daraus bezieht sie Anreiz, Motivation und Kraft, das Projekt gegen alle Widrigkeiten, Herausforderungen und teils hämische Zweifel („Nörgler gibt es immer“) durchzuziehen. Als Mädchen vom Land, erzählt sie, habe sie früh gelernt, die Natur als kostbares Gut zu schätzen. Zugleich entwickelte sie in diesen Jahren ihre Abneigung, nur eingetretenen Pfaden zu folgen. Als 2013 die Abschlussarbeit ihres Architekturstudiums anstand, war für sie rasch klar, keines der üblichen Themen zu wählen, etwa einen Kindergarten oder ein Theater zu entwerfen. "Das hat mich nicht gereizt."

Dennoch war es purer Zufall, dass sie sich zur Retterin der Meere aufschwingen sollte. Auf dem Flug zu einem Tauchurlaub auf den Kapverdischen Inseln vor Westafrika las sie in einer Zeitschrift zum ersten Mal von dem Problem der zunehmenden Vermüllung mit Kunststoffen. Und als sie sich bei ihren Unterwasserausflügen selbst immer wieder in Plastikflaschen und –tüten verhedderte, stand ihr Entschluss fest: Darüber schreibst du deine Arbeit.

Heraus kam das Konzept, das Hansch „Pacific Garbage Screening“ (PGS) taufte,  weil im Nordpazifik zwischen Hawaii, dem nordamerikanischen Festland und Asien die größte Müllhalde der Welt wabert und inzwischen die zweifache Größe Deutschlands erreicht hat. Um diese unglaubliche Fläche zu reinigen, darüber brauchte sie nicht lange nachzudenken, musste sie eine Anlage konzipieren, die tägliche riesige Mengen unschädlichen machen könnte.

Die zweite Herausforderung: Strömungen und der Austausch zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser in den Ozeanen ziehen einen Großteil des Plastiks wie ein Strudel bis zu 50 Meter unter Wasser, obwohl es eigentlich an der Oberfläche schwimmt, weil die Kunststoffe leichter als Wasser sind. Hansch musste also etwas konstruieren, dass den Müll auch in diesen Tiefen zuverlässig einsammelt.

Im Modell funktioniert die Meereswaschmaschine schon

Was sie am Computer entwarf, erinnert der äußeren Form nach ein wenig an einen riesigen, etwas exotischen Rochen. An drei Seiten geschlossen, mit Räumen für Maschinen, Besatzung und Material, dreht sich die 400 mal 400 Meter große, mit Drahtseilen am Meeresboden verankerte Anlage in die Strömung. Die treibt den Müll in zahllose Kanäle, die sich zur vierten Seite wie ein Kamm öffnen, dessen Zinken verbogen sind. Dort wird er aus dem Wasser gefischt. So das Grundprinzip. Die Kanalwände, und das ist der ganz besondere technische Clou, ragen wie Kiele 35 Meter tief ins Wasser und bremsen nach einem ausgeklügelten System die Strömung. Der Effekt: Das Plastik steigt an die Oberfläche und kann abgeschöpft werden.

Zumindest im Computermodell reinigt die Plattform die Gewässer höchst effektiv. Längst ist es der Architektin gelungen, ein 15-köpfiges Team zumeist gleichaltriger Ehrenamtlicher mit ihrem Enthusiasmus anzustecken, die nun ebenfalls in ihrer Freizeit das Projekt vorantreiben.

Alles Profis aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die ihr Wissen zusammenwerfen und so Neues schaffen: Strömungstechniker, Bau- und Umweltingenieure, Geographen, Maschinenbauer, Materialexperten. Hansch ist stolz auf das Team. „Wir verstehen etwas von der Sache und haben die richtigen Leute im Boot. Alle Berechnungen zeigen, dass die Technik im Prinzip funktioniert.“

Skizze des Reinigungssystems: Keile bremsen die Strömung und holen das Plastik aus der Tiefe an die Oberfläche (für vergrößerte Ansicht bitte anklicken) Quelle: Presse

Aber auch ihr ist klar, dass erst die Praxis zeigen wird, ob das Konzept technisch wie ökonomisch trägt. Um der Wahrheit schnell näher zu kommen, beantragt sie gegenwärtig Forschungsgelder und hofft auf baldige Zusagen etwa des Bundeswirtschaftsministeriums oder der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Mit den Geldern will sie Doktorandenstellen und Studienarbeiten finanzieren, um schon in wenigen Jahren einen Prototypen bauen und testen zu können. „Wir brauchen was zum Anpacken“, weiß Hansch.

Zu ihrem Überzeugungsfeldzug gehören auch Gespräche mit der Industrie. Kläranlagenbauer, Hersteller von Wasseraufbereitungsanlagen, sogar einen Schiffbauer hat sie schon aufgesucht. Über die Namen darf sie noch nicht reden. „Die Resonanz war jedenfalls gut“, verrät sie. Das wäre immerhin ein Zeichen, dass potenzielle Geldgeber und hart rechnende Experten ihre Idee nicht für Spinnerei halten.

Bioabbaubare versus biobasierte Kunststoffe

Gehen ihre Pläne auf, würde ihre Anlage ähnlich einer Ölbohrplattform vor der Küste in offenem Gewässer gebaut und anschließend an ihren Einsatzort geschleppt. Für die erste Erprobung und um Erfahrungen zu sammeln, schwebt ihr eine Flussmündung vor, zum Beispiel von Rhein oder Elbe, bevor es aufs weite Meer hinausgeht. Dort soll das Reinigungssystem dann in absehbarer Zukunft täglich mehr als jene 350 Tonnen Plastikmüll aus den Ozeanen filtern, die dort nach Berechnungen der Umweltschutzorganisation WWF täglich hineinkommen.

Das ist weit mehr als der junge Niederländer Boyan Slat sich mit seiner Kampagne „The Ocean Cleanup“ vorgenommen hat. Weiterer Unterschied: Die schwimmenden Fangarme seiner Meereswaschmaschine sammeln im Wesentlichen nur das Plastik auf der Meeresoberfläche ein. Es soll an Land gebracht und dort recycelt werden. Einen ersten Versuch mit einem Prototypen in der Nordsee musste der Luft- und Raumfahrtingenieur vergangenes Jahr abbrechen.

Auch Hansch ist auf Rückschläge eingestellt. „Bei einer so fundamental neuen Technologie ist das immer möglich.“ Dennoch ist sie vom Erfolg ihres Konzepts überzeugt. Ihre große Hoffnung: Ist der Nachweis erbracht, dass ihre Anlage zu vertretbaren Kosten funktioniert, setzt das die Politiker in aller Welt unter Zugzwang, endlich zu handeln und die Befreiung der Meere vom Plastikmüll zu finanzieren.

„Das möchte ich gerne schaffen“, sagt das Energiebündel. Und wie sie es sagt, lässt keinen Zweifel: Den langen Atem und die Hartnäckigkeit dafür hat sie.

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