Stummelfußfrosch mit Rüschenröcken? Sumatra-Nashorn mit Haarwuchs? Nie gehört? Schade. Denn lange wird es sie nicht mehr geben.
Experten gehen davon aus, dass wir zurzeit das verheerendste Massensterben erleben, seit vor 65 Millionen Jahren ein Asteroid auf die Erde einschlug. Dieses Mal kommt das Unheil jedoch nicht aus dem All, sondern wir selbst sind dafür verantwortlich. Elizabeth Kolbert schildert in ihrem mit dem Pulitzer-Preis gekürten Buch die dramatische Zerstörung der Tierwelt.
Vor etwa 65 Millionen Jahren gab es das fünfte große Massensterben – die Zeit, in der die Dinosaurier ausstarben. Heute, so sagt Elizabeth Kolbert, sind wir am Anfang des „sechsten Sterbens“ - oder wissenschaftlicher ausgedrückt: Das Erdzeitalter Anthropozän hat begonnen.
Beim aktuellen Niedergang der Artenvielfalt geben nicht, wie bei den fünf vorherigen großen Erd-Veränderungen, Naturkatastrophen, Klimaveränderungen oder Meteoritenhagel den Ausschlag, sondern wir sind es selbst: Es ist unser wirtschaftlicher Expansionsdrang, mit dem wir nichts anderes bewirken, als die Biosphäre Millimeter für Millimeter zu zerstören.
Evolutionsschmöker mit drastischen ErkenntnissenNeu ist Kolberts These freilich nicht. Bereits 1996 widmeten Richard Lewin und Richard Leakey dem Thema ihr Buch „Die sechste Auslöschung“. Kolbert bezieht sich nicht nur auf dieses Buch, sondern erweitert es mit aktuellen Zahlen und Daten und überzeugt durch ihren mitreißenden Erzählduktus und Detailreichtum.
Evolutionsgeschichte wird so zu einem regelrechten Schmöker – mit erstaunlichen Erkenntnissen: 99 Prozent aller Arten, die die Erde einst bevölkert haben, sind schon längst wieder verschwunden. Doch nicht jede der fünf großen Zerstörungswellen brachte nur Unheil. Die Veränderungen in der Kreidezeit sorgten für ein Feuerwerk der Artenvielfalt und brachten unter anderem die Säugetiere hervor.
Furchterregend wirkt die sechste Zerstörung – nämlich die heutige. Um sie zu ergründen, bereiste Kolbert die entlegensten Orte der Welt – im Regenwald, in den Anden und bei den Korallenriffen. Als „Säuretopf“ bezeichnet sie die von CO2-Emissionen versauerten Weltmeere, die schon bald für ein weiteres Sterben tausender Arten sorgen werden. Die Versauerung der Ozeane in den kommenden Jahrhunderten sei höher als in den vergangenen 300 Millionen Jahren. Und: Die Erderwärmung werde dafür sorgen, dass möglicherweise bis zu 52 Prozent verschiedener Tiere und Pflanzen verschwinden.
Nach uns die Sintflut? Von wegen!Nun könnte man angesichts von Millionen von Jahren evolutionärer Veränderung über all das achselzuckend hinweggehen. Doch der fundamentale Wandel könnte schneller kommen, als uns lieb ist – und vielleicht schon unsere Kinder treffen.
Rainer Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, bringt es auf den Punkt: Selbst, wenn wir weitere Lücken in die Biodiversität reißen würden, sei zwar mit dem Verschwinden der kompletten Homo-sapiens-Sippe vorerst nicht zu rechnen. Aber er gibt zu bedenken: „Die Gefahr ist groß, dass wir uns an extreme, unangenehme Lebensbedingungen anpassen müssen. Es geht nicht darum, ob wir aussterben oder nicht, sondern was wir tun können, um den Schaden an unserer Umwelt im eigenen Interesse zu minimieren.“
Ein faszinierendes, unglaublich detailreiches Buch, das nicht nur Wissenschaftler interessieren dürfte, sondern jeden, der sich für Artenschutz und die Vielfalt unserer Biosphäre interessiert.
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Über die Autorin: Elizabeth Kolbert, 54, ist Journalistin und Autorin. Sie gilt heute als eine der renommiertesten Autorinnen zu Fragen des Klimawandels. Für ihr Sachbuch „Das sechste Sterben“ erhielt sie in diesem Jahr den Pulitzer-Preis. Ihre Karriere begann Kolbert 1983 in Deutschland als freie Mitarbeiterin für die New York Times. Seit 1999 arbeitet die Amerikanerin für das Magazin „The New Yorker“.
Elizabeth Kolbert: Das sechste Sterben – wie der Mensch Naturgeschichte schreibt, Suhrkamp, Berlin 2015
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