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Städte Wie sie in Zukunft wirklich lebenswert werden

Lebenswert, sauber und sicher soll sie sein, die Stadt der Zukunft. Und bezahlbar! Geht das überhaupt? Von Jutta Deffner

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Von Jutta Deffner. Die Raum- und Umweltplanerin leitet den Forschungsschwerpunkt Mobilität und Urbane Räume am ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung, Frankfurt am Main.

Wie die Stadt der Zukunft aussieht? Vielleicht so: In 30 Jahren schweben wir auf waveboard-ähnlichen Objekten durch die Straßen. Oder wir beamen uns ins Büro, zu Freunden oder zum Einkaufen. Alternativ gleiten wir über riesige Rutschen von Haustür zu Haustür oder nutzen fliegende elektrische Autos mit über 1000 PS. Wir nennen lediglich das gewünschte Ziel, bevor der Autopilot das Steuer übernimmt.

Aber egal ob Beamen oder Elektroauto – Hauptsache der Verkehr der Zukunft pustet kein CO2 in die Luft. Der Klimawandel macht sich deutlich bemerkbar. Denn das ist das andere Bild der Stadt der Zukunft: Es ist heiß, Pflanzen sterben, die Sonne brennt und es wachsen keine Blumen mehr. Ein Aufenthalt im Freien ohne Schutzanzüge ist unmöglich.

Wahrscheinlich leben wir ohnehin alle unter der Erde in riesigen Tunnels, in denen die Natur, wie sie einmal war, nachempfunden wird. Oder in riesigen sonnenbesegelten Hochhäusern. Denn in der Zukunft werden immer mehr Menschen in Städten leben, also gibt es immer weniger Platz.

Wie Kinder die Stadt von Morgen sehenDas sind die Visionen der Stadt der Zukunft - zumindest aus Sicht des achtjährigen Timo und anderer Kinder, mit denen ich kürzlich an einem Sonntagvormittag im Kinderradio des WDR auf Sendung war! Ganz schön krass diese Bilder.

Sie haben mir bewusst gemacht, was die Diskussionen der Erwachsenen zu Klimawandel und postfossiler Zukunft in den Köpfen der Kinder auslöst. „CO2 sparen, kein Erdöl mehr, nichts mehr umweltverschmutzen, weniger Klimawandel.“ So ähnlich wiederholten sich die Kinder-O-Töne mantraartig.

Ich frage mich also, steht unser Leben in den Städten der Zukunft tatsächlich nur unter dem Diktat des CO2-Sparens? Gibt es darüber hinaus keine positiven Bilder, die zeigen, wie unser Leben in den – ja tatsächlich – zunehmend verstädterten Gegenden aussehen könnte?

Doch, denn auch auf diese Frage liefern Timo & Co. Antworten zum Nachdenken. Timos Lieblingsort ist der Gemeinschaftsgarten Neuland, dort dreht er am Liebsten den fertigen Kompost durch eine Trommel – eine herrliche Gartenarbeit für Kinder! Ganz archaisch, ganz mit Kopf, Herz, Hand. Andere Kinder wünschen sich Roboter, die alten Leuten über die Straße helfen oder beim Einkaufen zur Hand gehen. Oder Straßen zum Spielen, „einen See, wo man mit Oma und Opa mal grillen kann, oder Ruhe findet, um ins Tagebuch zu schreiben“, sagt zum Beispiel Meli aus Duisburg.

Die Kinder haben also ganz konkrete Vorstellungen davon, was eine Stadt lebenswert macht. Wie könnte hingegen die „Post-Oil City“ jenseits der großen technikgeprägten Visionen aussehen? Inspiriert von ihren Ideen, habe ich mir auch ein paar Gedanken gemacht, wie wir ganz konkret in den Städten der Zukunft leben wollen – und was sie tatsächlich lebenswerter macht.

Harte und weiche Faktoren machen eine Stadt lebenswertZum einen spielen soziale Gesichtspunkte eine Rolle, wie zum Beispiel erschwingliche Mobilität und auch für eine alternde Gesellschaft erreichbare Geschäfte und Treffpunkte. Die harten Faktoren sind: Sicherheit im öffentlichen Raum, erschwingliche und naheliegende Einkaufs- und Erholungsmöglichkeiten, attraktive Arbeitswege und Arbeitsstätten. Hinzu kommen erschwingliche Wohnungen, die diese Bedürfnisse aufnehmen, wenig Energie verbrauchen und die flexibel anpassbar sind für ein Leben zwischen 20 und 90.

Meine Utopie wäre, dass der Fahrradkeller eben kein Keller (sondern wunderbar ebenerdig ist) ist, die Treppe zur S-Bahn wie eine Heublumenwiese duftet (und nicht wie ein Urinal stinkt) und vor meinem Haus keine Autos parken.

In meiner Utopie diskutieren und gestalten mein Vermieter, meine Nachbarn und ich trotz unserer unterschiedlichen Lebensstile gemeinsam eine Vision der Stadt von Morgen. Und meine Stadtpolitikerinnen und Stadtpolitiker denken darüber nach, wie sie eine tatsächlich funktionale Stadt schaffen können. Eher mit intelligent und ästhetisch gestalteten Rückzugsräumen und offenen Plätzen, die einen freien Blick in die Ferne gestatten, dafür weniger futuristisch anmutende MegaKonsumtempel, mit riesigen Tiefgaragenzufahrten.

Klingt nach Sozialromantik? Ist es aber nicht. Denn auch in 30 Jahren werden Kinder in unseren Städten leben und aufwachsen. Wie sollen sie heranreifen zu aufgeschlossenen Menschen werden, wenn sie nicht mehr eigenständig die Stadt erobern können? Wäre es wirklich attraktiv, würde es wirklich Spaß machen, sich immer nur passiv fortzubewegen – per Autopilot und auf Knopfdruck?

Vorfahrt für Radler! Autos müssen wartenDie Vision von Verkehrssystemen, die uns vollautomatisch irgendwo hinbringen, ist für den öffentlichen Verkehr, der schnell, flexibel und sicher sein soll, durchaus geeignet und attraktiv. So gesehen bin ich an jenem Sonntag auch sehr futuristisch ins Studio angereist: In der Hochgeschwindigkeitsblechröhre (dem ICE) über Taunus und Westerwald „gerutscht“. Fast so wie Timo sich das wohl vorstellt.

Aber für mein „nach dem Öl“-Leben in der Stadt Zukunft wünsche ich mir, dass mir mal einer eine richtig coole Vision einer Fußgeherinnen- und Fahrradfahrerinnen-Stadt entwirft! Dazu gehört, dass Autos kaum unser Gehen und Flanieren unterbrechen, weil wir grüne Welle haben und Gehwegparken gar nicht mehr geht, weil ein Sensor zwischen Auto und Gehsteig das verhindert. An großen Kreuzungen sind es die Autos, die durch unattraktive Unterführungen geleitet werden.

Natürlich gäbe es dann auch überirdisch eine grüne Welle auf vierstreifigen Radwegen mit genügend breiten Kurven und sorgfältig gebaute Bordsteinkanten. Nicht zu vergessen der Jackenservice im Supermarkt für Wind- und Wettergeher und -radler, Ausleihanhänger fürs Velo gegen Pfand beim Bau- und Gartenmarkt und unzählige Trinkbrunnen gegen die Plastikflascheritis, Parkbänke und Fahrradständer … das wäre meine Vision für eine Stadt der Zukunft. Ist doch gar nicht so schwer, oder?

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