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Starökonom "Regierungen bringen den Planeten an den Rand der Zerstörung"

Der US-Ökonom Jeffrey Sachs warnt in einer aufrüttelnden Rede vor den Gefahren des Klimawandels.

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Ende Januar fand im Emirat Abu Dhabi der World Future Energy Summit statt. Im Nachbarland von Dubai stellten rund 600 Unternehmen neue und nachhaltige Technologien aus und Experten berichteten über die neuesten Entwicklungen im Bereich Solarenergie, Windkraft und Stromspeicher.

Einer der prominenten Gastredner bei dem Treffen war der renommierte Umweltökonom und UN-Berater Jeffrey Sachs, der das Earth Institute an der New Yorker Columbia University leitet. Das Thema seines rund 15 Minuten kurzen Vortrages: Wie die Menschheit derzeit an ihrer größten Herausforderung scheitert, nämlich dem Klimawandel. Wir haben seine wichtigsten Aussagen und Ideen in Auszügen dokumentiert. Warum man sie lesen sollte? Weil es derzeit wohl keine treffendere Beschreibung des Status quo beim Kampf gegen den Klimawandel gibt. Hier seine Rede:

"In Australien kollabieren Tennisspieler gerade bei den Australien Open wegen der extremen Hitze, Kalifornien erlebt eine historische Dürre und einige Länder Afrikas werden von schlimmen Überschwemmungen heimgesucht."

Das seien die Vorboten des Klimawandels, der sich derzeit andeute. Sachs weiter:

"Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, dass wir dieses Problem lösen. Denn während viel Geld in Erneuerbare gesteckt wird, wird sehr viel mehr Geld in die Förderung von Öl, Gas und Kohle investiert, die den Planeten zerstören.

Wir können uns drüber freuen, dass so viel Geld in Erneuerbare fließt. Aber verändert das irgendetwas? Nein.

Was kann man also tun?

Unsere Regierungen nehmen den Klimawandel immer noch nicht ernst und ignorieren die drohende Gefahr. Ein paar Zahlen zeigen aber schon, wie wir dieses Problem lösen können und vor allem, wie wir unsere Energieversorgung verändern müssen.

Die Atmosphäre kann nur eine bestimmte Menge Kohlendioxid aufnehmen, bis es zu einem starken Klimawandel kommt. Diese Menge CO2 ist unser Treibhausgas-Budget. Es gibt derzeit aber keine ernsthaften Pläne, um dieses CO2-Budget einzuhalten. Denn vor lauter Positiv-Geschichten darüber, wie viel Erneuerbare wir nutzen, vergessen wir die negativen Geschichten. Nämlich, dass kein Liter Öl, kein Kilogramm Kohle weniger auf der Welt genutzt wird. Ganz im Gegenteil.

Wir machen uns also etwas vor, wenn wir denken, dass wir Fortschritte machen.

Das Klima interessiert es nicht, wie viele Solaranlagen es auf der Welt gibt, es interessiert nur, wie viel CO2 in der Atmosphäre ist.

Unser Verbrauch von fossilen Energieträgern steigt unverändert schnell an. Was wir brauchen, ist ein wirklicher Systemwechsel. Wir sollten nicht nur Erneuerbare um ihrer selbst willen zubauen. Denn wenn sie den CO2-Ausstoß nicht senken, bringen sie uns gar nichts.

Also müssen wir über Ziele reden.

Dafür müssen wir uns erst einmal ansehen, was wirklich los ist: Die Klimawissenschaftler haben uns vorgerechnet, was wir tun müssen, um das 2-Grad-Ziel einzuhalten und einen Klimawandel mit schlimmen Folgen zu verhindern. Nur um zu verdeutlichen, was das bedeutet:

Wir haben schon rund ein Grad Erwärmung auf der Erde in den letzten rund 100 Jahren erlebt. Noch ein Grad mehr bedeutet gravierende Veränderungen. Wir sind aber auf dem Weg vier Grad mehr zu haben! Die Welt, wie wir sie kennen, gibt es dann nicht mehr.

Wie gesagt, wir haben schöne Projekte, die lösen das Problem aber nicht. Wir stoßen 35 Milliarden Tonnen CO2 in diesem Jahr aus. Im Jahr 2050 dürfen es bei einer sehr viel größeren Weltwirtschaft nur noch 15 Milliarden Tonnen sein. Konkret: Die Wirtschaft wird drei Mal größer sein, aber wir dürfen weniger als die Hälfte an CO2 ausstoßen.

Das heißt: Die Kohle muss im Boden bleiben, wir brauchen Batteriefahrzeuge und radikal andere Baustandards. Die Energie, die wir produzieren, darf die Atmosphäre statt mit aktuell 700 Gramm CO2 pro Kilowattstunde nur noch mit 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde belasten.

Das ist reine Mathematik. Aber die Politiker ignorieren das. Sie sagen der Kohleindustrie nicht, dass ihre Kohle - solange es keine Möglichkeit gibt, das CO2 in den Schornsteinen einzufangen - im Boden bleiben muss. Sie sagen der Ölindustrie nicht, dass ab 2030 Autos nur noch mit sauberem Strom fahren dürfen. Wenn wir das Problem ernst nehmen, müssten sie es sagen. Das zeigt: Derzeit nehmen wir das Problem nicht ernst.

Mehr als 1000 neue Kohlekraftwerke sind weltweit geplant, wir werden in den kommenden Jahren zig Millionen neue Autos mit Verbrennungsmotoren auf die Straße bringen. Wir müssen das endlich ernst nehmen. Mehr Effizienz bei den Motoren oder bei den Kraftwerken reicht uns nicht.

Die einzigen Energieformen, die es in Zukunft noch geben kann sind Atomkraft, Wind, Sonne, Erdwärme, und fossile Kraftwerke, wenn die ihr CO2 neutralisieren - das ist ziemlich einfach. Wir müssen das ganze System ändern.

Was sollten wir also tun? Wir müssen unseren Politkern erklären, dass sie den Planeten nicht weiter an den Rand der Zerstörung bringen dürfen. Und wir dürfen uns nur noch über Erneuerbare freuen, wenn die den CO2-Ausstoß wirklich reduzieren.

Ich will von den Ölunternehmen hören, was sie gegen den CO2-Ausstoß tun. Wir messen derzeit den höchsten CO2-Wert in den vergangenen drei Millionen Jahren. Ich will von den Ölkonzernen hören, was sie tun, um das Problem zu lösen?

Mein Vorschlag: Wir dürfen nur noch die derzeit bekannten Reserven von Erdöl und Erdgas nutzen, die Kohle bleibt im Boden. Aber wir werden keine neuen unkonventionellen Öl- und Gasreserven mehr entwickeln. Sprich, wir sollten keine neuen Ölfelder mehr suchen. Wir haben genug fossile Brennstoffe, bis unser CO2-Budget aufgebraucht ist. Es macht also gar keinen ökonomischen Sinn, neue Felder zu suchen.

Statt Milliarden Dollar in die Exploration und Suche zu stecken, sollten wir sie in saubere Energie investieren, weil wir heute schon genug Öl und Gas für unser verbleibendes CO2-Budget haben.

Das wäre im Übrigen auch für Investoren eine gute Nachricht. Denn wie es derzeit steht, werden sie all ihr Geld verlieren, wenn die Regierungen entscheiden, dass das Öl im Boden bleiben muss. Die Investoren werden sich dann fragen: Warum haben wir noch so viel Geld in die Suche investiert?

Das bringt uns zum nächsten Problem: Die Banken und Investoren sind noch kurzsichtiger als unsere Politiker. Sie denken nicht in Jahren, sondern Quartalszahlen. Wenn Banken wirklich das machen, was sie machen sollten, dann müssen sie Industrien finanzieren, die einen Zeithorizont von 30 oder 40 Jahren haben und auch dann noch einen Wert haben.

Derzeit sind die Menschen in den Banken Händler und keine Investoren. Nicht nur die Erdölindustrie hat also ein gravierendes Problem, sondern auch die Banken. Sie müssen eigentlich Industrien unterstützen, die Wert haben.

Die Rentenfonds sind leider auch nicht besser: Diese eigentlich an langfristigen Investitionen interessierten Anleger investieren in kurzfristige Erfolge. Das ist absurd. Sie sollten langfristig erfolgreiche Projekte investieren. Das ist besser für die Rentner.

Ich gebe zu: Es gibt keine Energieversorgung, die nur Vorteile hat. Wir müssen aber das geringste Übel wählen. Ich persönlich unterstütze die Atomkraft. Nicht, weil sie perfekt und vollkommen sicher ist, aber weil sie weniger Schaden anrichtet als ein Energiesystem, das mit fossilen Energieträgern funktioniert. Wir brauchen Solar- und Windanlagen, nicht weil sie perfekt sind, aber weil sie besser sind als Öl, Kohle und Gas, die das Leben von hunderten Millionen Menschen bedrohen.

Die gewaltige Herausforderung vor der wir stehen, zeigen ein paar weitere Zahlen: Unser jährlicher Co2-Ausstoß muss, wie gesagt, von 35 Milliarden Tonnen auf 12 oder 13 Milliarden Tonnen im Jahr 2050 sinken. Pro Erdenbewohner berechnet, bedeutet das: Fünf Tonnen pro Person sind es heute; mit neun Milliarden Menschen auf der Erde muss dieser Wert 1,8 Tonnen betragen - und das in einer wachsenden Wirtschaft.

Die Regierungen der Welt müssen jetzt Pläne machen, wie sie die Energieversorgung verändern wollen. Die USA haben in ihrer Geschichte noch nie einen Plan für ihre Energieversorgung gemacht. Elektro-Autos und Gebäude, die nur noch ein Fünftel der Energie verbrauchen, müssen her und Strom muss grün werden. Das sind viele Fronten, und die ganze Welt muss mitmachen.

Alle Technologien, die wir brauchen, sind verfügbar. Wir müssen aber die Kosten weiter senken und sie weiterentwickeln. Solange CO2 keinen weltweiten Preis hat, werden wir das aber nicht schaffen.

Wenn wir das Ziel aber erreichen und wir unser CO2-Budget einhalten, dann werden wir eine bessere Energieversorgung haben, eine luxeriösere Mobilität, lebenswertere Gebäude, mehr Lebensqualität und saubere Luft. Und wir werden das Überleben unseres Planeten gesichert haben. Von diesem Ziel sind wir aber derzeit meilenweit entfernt."

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