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Studie Fracking in Deutschland soll gegen hohe Energiepreise helfen

Ökonomen warnen vor steigenden Energiepreise für die deutsche Wirtschaft - und fordern Erdgas-Fracking als Lösung.

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Was die knapp zwanzig Autoren des US-Think-Tanks IHS in einer aktuellen rund 70 Seiten starken Studie anführen, hat es in sich: Der deutschen Wirtschaft gingen pro Jahr wegen zu hoher Rohstoff- und Strompreise Milliardenumsätze verloren, steht da unter anderem. Zusätzlich verlagerten sich Milliardeninvestitionen von Deutschland ins Ausland, vor allem in der chemischen Industrie.

Entstanden ist die Studie unter Leitung des renommierten Energieanalysten und Pulitzerpreisträgers Daniel Yergin. Der sperrige Titel des Reports lautet: "Energiewende im globalen Kontext: Sicherung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit unter neuen Rahmenbedingungen an den Energiemärkten”. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass die Studie mitten in die Diskussion um eine Reform der Energiewende platzt.

Yergin sieht durch die Energiewende gar die Wirtschaftsleistung Deutschlands insgesamt bedroht. "Der derzeitige Weg der Energiewende führt zu einer sinkenden Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, zu Einbußen bei Arbeitsplätzen und Investitionen und legt Unternehmen und Haushalten zusätzliche Kostenbelastungen auf", warnt er.

Der Hauptgrund: Während weltweit die Preise für Strom stagnieren und in den USA die Preise für Erdgas im freien Fall sind, steigen in Deutschland die Kosten sowohl für Erdgas als auch für Elektrizität. IHS fordert deshalb einen Kurswechsel bei der Energiewende. Der Ausbau der Erneuerbaren solle gebremst und deutsche Erdgasvorkommen durch Fracking erschlossen werden.

Ganz neu sind diese Forderungen nicht. Vertreter der Wirtschaftsverbände stimmen sie seit Monaten in einem immer lauteren Chor an. Da verwundert es nicht, dass sich die Liste der Auftraggeber für das Papier wie ein Who-is-Who der in Deutschland ansässigen Erdgas- und Chemieindustrie liest. Unter anderem dabei: der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung, BASF, Bayer, BP, Dow, Evonik, ExxonMobil, Linde und Total.

Die Untersuchung deshalb als "Lobbypapier" abzutun, wäre aber vorschnell. Denn es ist die wahrscheinlich bisher ausführlichste Studie, die sich mit den aktuellen Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft befasst. Außerdem wird sie wohl in den nächsten Tagen und Wochen auf den Schreibtischen vieler Politiker landen. Deshalb lohnt eine ausführlichere Betrachtung der Ergebnisse. Denn ganz unproblematisch sind die Berechnungen nicht (die Kritik an der Studie findet sich am Ende des Textes).

Das sind dabei die drei wichtigsten Aussagen:

1. Die Wirtschaft leidet unter steigenden Strompreisen"Hohe und im internationalen Vergleich stark steigende Strompreise waren in den vergangenen sechs Jahren verantwortlich für einen Verlust an Nettoexporten der deutschen Wirtschaft in Höhe von 52 Milliarden Euro. Betroffen waren nicht nur die energieintensiven Branchen, sondern vor allem auch mittlere und kleinere Unternehmen", stellt die Studie fest.

Der logische Gedanke dahinter: Wenn Energie teurer wird, werden auch die Waren teurer, die Unternehmen produzieren. Dadurch verkaufen sie sich im Ausland schlechter.

Zwar konnte die deutsche Industrie ihre Exportrate in den vergangenen Jahren erhöhen. Doch wenn Energie- und Strompreise sich moderat wie in anderen Ländern entwickelt hätten, hätte es allein im Jahr 2012 Mehrexporte im Wert von 15 Milliarden Euro gegeben.

Eine weitere Auswirkung, die IHS berechnet hat: Wegen der hohen Strom-und Energiepreise wurden Milliardeninvestitionen in zweistelliger Höhe ins Ausland verlegt.

Gerade erst gab der Chemieverband der USA bekannt, dass in den vergangenen Jahren Investitionen in neue Fabriken und Produktionsanlagen im Wert von 100 Milliarden Dollar getätigt oder angekündigt wurden, auch von deutschen Unternehmen. Zurückzuführen sei das vor allem auf die niedrigen Preise für Erdgas und die dadurch verfügbaren chemischen Grundstoffe. Die Investitionen könnten zu rund 600.000 neuen Arbeitsplätzen in den USA führen.

Und tatsächlich, die Entwicklung in Deutschland ist für die Industrie insgesamt wenig erfreulich: Ihre durchschnittlichen Strompreise sind seit 2007 um 60 Prozent gestiegen. In den USA und China waren es weniger als 10 Prozent. Zahlten Unternehmen im Jahr 2007 durchschnittlich noch 8 Cent pro Kilowattstunde für ihren Strom waren es 2013 laut der Berechnungen der Internationalen Energieagentur, die IHS zitiert, rund 13 Cent.

Diese Zahlen sind allerdings durchaus umstritten, da die Preise an der deutschen Strombörse seit Jahren sinken. Große Unternehmen, die ihren Strom direkt dort kaufen, zahlen faktisch weniger für ihre Elektrizität als früher. Allerdings: Die große Mehrheit der Unternehmen profitiert nicht davon. Zudem sind die allermeisten Betriebe in Deutschland nicht wie die energieintensiven Unternehmen von den Kosten für die Energiewende befreit. Für sie sind die steigenden Strompreise schmerzlich, wie die folgende Grafik zeigt:

Die Ausnahmen bei der Energiewende-Umlage für energieintensive Unternehmen - eine Art Oase in der Wüste steigender Strompreise - müssten deshalb beibehalten werden, schreibt IHS. Fallen sie weg, würde das 1,1 Millionen Arbeitsplätze gefährden - die Hälfte davon in der Industrie. Das scheint auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zu fürchten. Denn er kämpft derzeit in Brüssel dafür, dass Deutschland die Rabatte behalten darf.

IHS betont auch, dass die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Unternehmen vor allem in der Chemiebranche weniger unter hohen Strompreisen leide, denn unter den Preisen für die Rohstoffe, die zum Beispiel bei der Gasförderung anfallen. Auch die Schere beim Gaspreis zwischen Deutschland und den USA geht seit Jahren auseinander:

Interessant bei der Analyse ist, dass die IHS-Ökonomen einen ganzheitlichen Ansatz wählen und auch die Auswirkungen hoher Strompreise auf die Lieferketten betrachten. Damit begegnen sie einem Argument, das häufig in der Diskussion über die Auswirkung hoher Strompreise in der Wirtschaft auftaucht: Nämlich dass Preissteigerungen zum Beispiel für die Autoindustrie unerheblich sind, da sie vergleichsweise wenig zu den Produktionskosten beitragen.

Allerdings, schreibt IHS, seien viele der Zulieferer der Autounternehmen auch kleinere Glas-, Stahl- und Aluminiumbetriebe, die höhere Preise durchaus merken. Wandern sie aus Deutschland ab, trifft das somit die gesamte Wirtschaft.

2. Kurskorrektur bei der Energiewende"Eine Neuausrichtung der Energiewende kann die Kosten der Stromerzeugung in Deutschland zwischen 2014 und 2040 insgesamt um 125 Milliarden Euro verringern – vor allem durch einen gedämpften Ausbau von Windenergie auf hoher See", schreiben die Autoren.

Dass eine Bremse beim Ausbau der Offshore-Energie nötig ist, hat inzwischen auch Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel erkannt. Eine Studie des deutschen Think-Tanks Agora Energiewende geht allerdings nur von Einsparungen von zwei Milliarden Euro pro Jahr aus.

Aber auch der Ausbau der anderen Erneuerbaren Energien soll laut IHS so gebremst werden, dass im Jahr 2040 nur rund 40 Prozent der Elektrizität aus Ökostromanlagen kommt. Laut den aktuellen Plänen der Regierung würde dieses Ziel schon um das Jahr 2025 erreicht.

Die restlichen 60 Prozent der Energie verteilen sich in dem IHS-Szenario auf Kohle und günstiges Erdgas, das mit dem umstrittenen Frackingverfahren gewonnen wird. Einem durchschnittlichen Haushalt soll die Grünstrombremse 2020 rund 40 Euro im Jahr sparen und im Jahr 2040 dann 65 Euro. Auch die Strompreise für kleinere und mittlere Unternehmen würden sinken, wenn Deutschland bei der Energiewende auf die Bremse tritt, glaubt IHS:

3. Deutschland sollte auf Schiefergas setzenIHS schätzt, "dass ab dem Jahr 2030 mehr als 20 Milliarden Kubikmeter Schiefergas pro Jahr in Deutschland gefördert werden können - das würde rund 25 Prozent des deutschen Bedarfs decken." Wenn dieses Erdgas die Kohle als Energieträger ersetze, würde die Energiewende auch zu einem Erfolg für das Klima.

Die wirtschaftlichen Effekte eines deutschen Schiefergasbooms wären laut IHS enorm: 2020 könnte das BIP um 28 Milliarden Euro höher sein als ohne Fracking, 200.000 neue Jobs würden entstehen, die Mehreinnahmen für die Staatskasse lägen vor allem durch die Erdgasförderung bei 40 Milliarden Euro im Jahr 2030.

Dass eine zunehmende heimische Erdgas-Produktion positive wirtschaftliche Effekte hätte, ist kaum zu leugnen. Vor allem weil Deutschlands Erdgas-Vorkommen, die mit konventionellen Mitteln förderbar sind, in zehn Jahren erschöpft sein werden.

Um allerdings das volle Schiefergas-Potenzial in Deutschland auszuschöpfen, müssten insgesamt 1200 Erdgasbrunnen entstehen, vor allem in Niedersachsen und im grün regierten Baden-Württemberg. Der Rohstoff wäre im besten Fall laut IHS rund ein Fünftel günstiger als das Erdgas, das aktuell in Deutschland gehandelt wird.

Das Problem ist aber: Wegen der bisher weitgehend unerforschten Umweltfolgen des Frackingverfahrens gibt es derzeit in Deutschland und Westeuropa keine Mehrheit für seine Anwendung- weder politisch noch gesellschaftlich.

Die Berechnungen des Potenzials von Fracking in Deutschland sind so etwas wie das Herzstück der IHS-Studie und wahrscheinlich die bisher ausführlichsten zu dem Thema - auch was die möglichen ökonomischen Auswirkungen angeht. Dafür haben die IHS-Experten die gesamten deutschen Schiefergasvorkommen analysiert. Aufgrund von geologischen Vergleichen mit den USA haben sie das Potenzial in Deutschland errechnet.

Aber was ist jenseits spannender Einzelergebnisse von der Studie generell zu halten?

Ersteinmal: Vor allem Verfechter der Energiewende sollten sich die Kapitel über die Auswirkungen des Anstiegs der Strompreise für die deutsche Wirtschaft ansehen. Denn eine Energiewende, die den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet, wird im Ausland keine Nachahmer finden - und wohl auch in Deutschland keine Zukunft haben. Hier liefert die Analyse von IHS viele wertvolle Daten für eine informierte Diskussion.

Etwas anders sieht es dagegen bei der Lösung aus, die die IHS-Experten für das aktuelle Strompreisproblem empfehlen. Fracking, so schreiben die Autoren selbst, würde nur unter optimalen Bedingungen die Erdgaspreise in Deutschland senken.

Der größte Kritikpunkt an der Studie sind aber die Preisentwicklungen für die einzelnen Energieträger, auf die sich die Berechnungen stützen: Bei Kohle, Öl und Gas sehen die Autoren keine (!) Preissteigerungen bis ins Jahr 2040. In Zeiten von knapper werdenden Vorkommen und weltweit steigender Nachfrage gibt es wohl derzeit nur wenige Energieexperten, die diese Voraussage so unterschreiben würden.

Für die Erneuerbaren Energien gehen die Autoren dabei nur von moderaten Kostensenkungen von rund 20 Prozent bis 2040 aus. Auch das ist sehr konservativ gerechnet, da zum Beispiel die Kosten von Solarstrom in den USA allein in den vergangenen vier Jahren um 50 Prozent gefallen sind.

Wenn IHS nun empfiehlt, künftig auf billige Kohle und günstiges Erdgas zu setzen, statt auf teure Erneuerbare ist das eher gewagt. Denn wahrscheinlich ist eher, dass fossile Energieträger teurer werden und Erneuerbare sehr viel billiger, als von IHS erwartet. In diesem Fall würde sich ein stärkeres Engagement bei Wind- und Solarenergie künftig doch lohnen - nicht nur für das Klima, sondern auch für die Wirtschaft.

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