Studie Wenn wir wollen, wäre CO2-neutraler Strom möglich

... aber komplett klimafreundlicher Strom wäre mit technischen Maßnahmen verbunden, die viele Menschen ablehnen.

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Im Jahr 2050 könnte Deutschland seinen gesamten Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. So steht es in einer Studie, die die deutschen Akademien der Wissenschaften unter Federführung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) vorgelegt haben.

Dazu seien gewaltige Investitionen nötig, heißt es, ohne dass die Autoren Zahlen nennen. Es werde sich allerdings lohnen. Die Stromerzeugungskosten würden dann sechs Cent pro Kilowattstunde betragen. Heute werden an der Börse im Durchschnitt rund vier Cent gezahlt. Würde man noch zehn Prozent Strom aus konventionellen Kraftwerken zulassen läge der Stromerzeugungspreis ähnlich hoch wie der heutige Börsenpreis.

Die Studie untersucht unterschiedliche Möglichkeiten, die schwankende Stromerzeugung an den jeweiligen Bedarf anzupassen. Eins sei dabei sicher: "Ununterbrochen durchlaufende Kraftwerke werden in keinem der betrachteten Szenarien mehr benötigt." Das heißt, Braunkohle- und Kernkraftwerke, die heute für die Grundlast zuständig sind, wären überflüssig.

Das System der Wissenschaftler basiert auf dem massiven Ausbau der Erzeugung von Wind- und Solarstrom. Um das schwankende Angebot auszugleichen, sei eine Reihe von Technologien nötig. Zum einen sind es Speichertechniken wie Pumpspeicherkraftwerke, Batterieblöcke, Power-to-Gas-Anlagen, die Wasserstoff und/oder Methan mit Hilfe von Strom erzeugen, und Power-to-Heat- Anlagen, die Überschussstrom in Wärme verwandeln.

Keine Energiewende ohne intelligente NetzeAußerdem plädieren die Autoren für flexible Verbraucher. Dazu zählen im Industriebereich Anlagen, die sehr viel Strom verbrauchen, in angebotsschwachen Zeiten aber abgeschaltet oder gedrosselt werden können. Im Haushalts- und Gewerbebereich zählen dazu Kühlhäuser, die bei Stromüberschuss auf eine Temperatur unter der üblichen gekühlt werden, um bei Strommangel vorübergehend abgeschaltet zu werden.

Intelligente Netze könnten dafür sorgen, dass Großverbraucher im Haushalt wie Wäschetrockner, Spül- und Waschmaschinen oder Gefriertruhen bevorzugt dann in Betrieb genommen werden, wenn zu viel Strom ins Netz eingespeist wird. Dazu müssten intelligente Stromzähler (Smart Meter) flächendeckend eingebaut werden, die mehr können als die, die heute schon sporadisch installiert werden. Sie müssten Steuerfunktionen haben, die auf Strompreisinformationen basieren – der Strompreis entwickelt sich parallel zum Überangebot und Mangel.Das wird allerdings immer noch nicht reichen.

Deshalb müsse eine Reihe von flexiblen Stromerzeugern einspringen, wenn der Wind zu schwach weht und die Sonne streikt. Das sind vor allem Gaskraftwerke, die bevorzugt mit Biogas und synthetischem Methan betrieben werden sollen. Biogasanlagen könnten so gefahren werden, dass sie ihre Leistung steigern, wenn Strommangel herrscht. Holzkraftwerke sollen einen Beitrag leisten, ebenso Strom aus Nordafrika, der mit supraleitenden Kabeln nach Europa transportiert wird.

CO2-neutraler Strom technisch möglich ...Selbst konventionelle Kraftwerke, die Kohle verfeuern, wollen die Autoren nicht völlig abschreiben, sofern sie flexibel betrieben werden. Voraussetzung ist die Abtrennung von Kohlendioxid aus den Abgasen und dessen Nutzung zur Herstellung von Methan in Kombination mit Überschussstrom. Möglich sei auch eine Lagerung des Klimagases in tiefen Gesteinsschichten. Auch die Geothermie, also die Nutzung der Erwärme in tausenden Metern Tiefe könnte einen Beitrag zur Anpassung der Stromerzeugung an den -verbrauch leisten.

Technisch sei alles möglich und ohne unzumutbare Belastungen machbar. Die Autoren fürchten allerdings, dass die Vielzahl an Maßnahmen an Einsprüchen von Bürgern, Politikern und Umweltverbänden scheitern. Etwa eine alpenüberquerende Leitung für den Transport von Strom aus Nordafrika, eine Frage, die sich möglicherweise gar nicht stellen wird, weil es in dieser Region an politischer Stabilität fehlt.

Auch Windenergieanlagen und große Solarkraftwerke werden nicht automatisch akzeptiert, ebenso wenig wie Biogasanlagen, die Gerüche verbreiten und landwirtschaftliche Flächen benötigen, die für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden könnten. Akzeptanz zu schaffen sei eine ebenso große Aufgabe wie die Verwirklichung der unzähligen technischen Maßnahmen.

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