Stuhl, Lampe, Tisch – diese Möbel werden angepflanzt

Statt Möbel zusammenbauen, kann man sie auch wachsen lassen. Ein Brite möchte diese bislang als Kunst betrachtete Idee nun marktreif machen.

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Warum eigentlich noch Bäume fällen, zersägen und zu Möbeln zusammensetzen, wenn man Tisch und Stuhl auch direkt anbauen kann? Diese Frage stellte sich der Brite Gavin Munro - und er fand für sich keine befriedigende Antwort. Also hat er ein Unternehmen gegründet und lässt Holz für seine Full-Grown-Möbel nun gleich in der Form von Stühlen, Lampen oder Tischen wachsen.

Dazu pflanzt er Eschen, Weiden, Platanen, Eichen, Kirsch- und Wildapfelbäume und biegt deren Äste entlang von Plastikschablonen. Außerdem gibt er den Ästen nicht nur die richtige Richtung vor, sondern lässt sie untereinander ebenfalls zusammenwachsen, damit sie stabil genug für den Einsatz als Sitzgelegenheit oder Küchentisch werden - „natürlicher 3D-Druck“ nennt er sein Verfahren.

Nicht zuletzt will er so Ressourcen einsparen. Schließlich wachsen die Bäume für die Möbelproduktion oftmals 40 bis 50 Jahre in Monokulturen. Wenn die Bäume dann gefällt werden, müssen sie zersägt und transportiert werden. Des Weiteren entsteht bei der Möbelproduktion selber Verschnitt, so dass nur ein Teil des Holzes letztendlich verbaut wird. Nach Munros Rechnung verbrauchen seine Möbel aufgrund der effizienteren Produktionsweise nur ein Viertel der CO2-Emissionen herkömmlicher Modelle. Außerdem ist illegal geschlagenes Holz bei den geformten Möbeln unnütz.

Munro ist bei weitem nicht der Erste mit dieser Idee

Bereits vor Jahrtausenden sollen Griechen und Ägypter Stühle angepflanzt haben. Im alten China  gruben historische Designer gar Löcher, legten stuhlförmige Steine hinein und pflanzten Bäume auf diese Stellen. Die Wurzeln wanden sich dann um den Stein und bildeten so den späteren Stuhl. Doch auch in der jüngeren Vergangenheit gibt es Beispiele wie den amerikanischen Bauern und Banker John Krubsack, der 1904 Stühle anbaute. Die brauchten allerdings noch 11 Jahre bis zur „Ernte“. Heute sind vor allem Peter Cook, Becky Northey, sowie Christopher Cattle für ihre gepflanzten Möbel bekannt. Besonders Cattle machte mit seiner Online-Anleitung für das Pflanzen eines Hockers auf sich aufmerksam.

Munro unterscheidet sich mit seinen Full-Grown-Möbeln allerdings dahin gehend von seinen Konkurrenten, dass er das Möbelpflanzen im großen Stil aufziehen will.  Im Herbst dieses Jahres will er bereits die erste „Möbelernte“ einfahren, die Premieren-Lampen und -Spiegelrahmen sollen im kommenden Frühjahr erhältlich sein. Der Großteil der ersten Stühle soll jedoch erst 2017 in den Handel kommen - immerhin brauchen die in Form gebrachten Bäumchen bis zu acht Jahre, um stabil zu sein. Hinzu kommt eine gewisse Zeit um das Holz zu trocknen, bei einem Stuhl ist dafür immerhin etwa ein Jahr nötig.

Wer nun denkt, das Geschäftsmodell bestehe darin, einmal gepflanzten Bäumen beim Wachsen beziehungsweise Trocknen zuzuschauen, liegt falsch. Während der gesamten Wachstumsphase muss sich das Full-Grown-Team um die Form der Bäume kümmern - das heißt die Mitarbeiter müssen die Äste justieren, fixieren und wenn nötig beschneiden.

Nicht zuletzt die arbeitsintensive Herstellung macht die gewachsenen Möbel zu teuren Einrichtungsgegenständen. Munro ruft Preise von mehreren tausend Pfund pro Stuhl auf - das macht sie eher zu Designerstücken, als zu einer wirklichen Alternative zu konventionellen Sitzgelegenheiten. Doch das soll sich, laut Gavin Munro, eines Tages ändern. Zudem seien die Möbel um ein Vielfaches günstiger, wenn sie vorbestellt würden, betont er.

Aber: Zerstören die Plastikschablonen die Umweltbilanz des Möbelpflanzers?

Munro sagt, dass sie die Plastikformen, die den Bäumchen die Möbelform geben, so oft wie möglich verwendet werden. Zusätzlich nutze Full Grown ausschließlich Solarenergie und Komposttoiletten für den Betrieb ihres kleinen Unternehmens. Das Team hat einen jährlichen Energieverbrauch errechnet, der der achtstündigen Nutzung von acht 60 Watt-Lampen entspricht.

Können Landwirte und Waldbesitzer mit dieser Idee Tischler werden?

Nicht ganz – in Deutschland ist die Herstellung von Möbeln ein geschütztes Handwerk und setzt einen Meisterbrief pro Betrieb voraus. Auch ist der Aufwand für eine größere Produktion nicht zu unterschätzen. Wer jedoch aber Spaß hat, Bonsaibäumchen auf dem Fensterbrett in die gewünschte Form zu bringen, kann es ja vielleicht mal mit einem „Möbelbäumchen“ im Garten probieren.

***Dem Autor auf Twitter folgen: Follow @MariusHasenheit

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