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Trotz 12-Punkte-Plans Chinas Metropolen fehlt der Wille zum nachhaltigen Wachstum

Ein Leitfaden für Stadtentwicklung soll in China das nachhaltige Wachstum vorantreiben.

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Kilometerlange Staus, ein überlasteter Nahverkehr, kaum Fahrradwege: Die meisten Städte in China sind stadtplanerischer Wahnsinn. Sie sind in den vergangenen Jahren unkontrolliert, wild und viel zu schnell gewachsen.

Bereits heute leben über die Hälfte der 1,3 Milliarden Chinesen in Städten. Bis 2030 werden noch weitere 200 Millionen Menschen in die Städte des Landes ziehen. Nun haben die China Development Bank Capital, die Beratungsfirma Energy Innovation und die Nichtregierungsorganisation Energy Foundation China einen 12-Punkte-Plan (pdf) erarbeitet, wie sich Chinas Städte zukünftig entwickeln sollen.

Grundlage für den Leitfaden sind Interviews mit über hundert Stadtplanern, Bürgermeistern und Experten aus der Industrie sowie Studien. "Wir wollten nicht nur eine lange Wunschliste möglicher Optionen erstellen", erklärt Zuo Kun, Vizepräsident der China Development Bank Capital in der Studie. Es soll auch praktisch anwendbar sein. Die Organisationen haben sich deshalb an Beispielen orientiert, die in dieser oder ähnlicher Form bereits in anderen Ländern funktionieren.

Gebäude für 25 Prozent der CO2-Emission in China verantwortlichDer rund sechzigseitige Leitfaden ist in drei Bereiche unterteilt: Städte, Transport sowie Energie und Ressourcen. Je nach Umgebung und Standort fordern die Organisationen eine Wachstumsgrenze für jede Stadt. Wohnblocks sollten maximal zwei Hektar groß und so gebaut sein, dass die Anwohner nicht weiter als 800 Meter von der nächsten Bus- oder U-Bahn-Station entfernt leben. Im gleichen Radius sollten auch mindestens sechs Einrichtungen wie Schulen, Postämter und Restaurants angesiedelt sein. So würden Jobs geschaffen und unnötige Wege vermieden werden. Zudem müssten 20 Prozent einer Siedlung öffentlicher Raum mit ausreichenden Grünflächen sein.

Siedlungsgebiete sollen zudem gemeinsame Heiz- und Abfallsysteme nutzen, mindestens 30 Prozent des Mülls kompostieren und noch einmal so viel recyceln. Zwischen fünf und 15 Prozent erneuerbare Energie soll in jedem Wohngebiet hergestellt werden, Wasser muss recycelt werden und Gebäude nach aktuellen Energiestandards gebaut sein. Aktuell sind Chinas Gebäude für 25 Prozent des Energieverbrauchs und der CO2-Emission in China verantwortlich.

Um den Straßenverkehr zu entlasten, sollen zusätzlich pro Quadratkilometer mindestens 10 Kilometer Fußgänger- sowie Fahrradwege gebaut werden. Zudem müssten die Stadtregierungen die absolute Zahl von Autos begrenzen und das Autofahren beispielsweise durch fehlende Parkplätze unattraktiv machen.

Weltweit ächzen die Städte unter der steigenden Zahl von AutosIn der Realität sind Chinas Städte weit von diesen Vorgaben entfernt. Als Fahrradfahrer ist es praktisch unmöglich, in den großen Städten sicher auf der Straße unterwegs zu sein. Die Fahrradwege, wenn vorhanden, werden von den Motorrollern genutzt und enden häufig einfach an einer riesigen Kreuzung, an der Fahrradfahrer auf die Autospur wechseln muss. Dazu kommt, dass es beispielsweise an U-Bahn-Stationen keine Möglichkeiten gibt, sein Fahrrad abzustellen. Fehlende Parkplätze werden durch das Abstellen des Autos auf dem Bürgersteig kompensiert – zum Ärger der Fußgänger.

In vielen mittelgroßen und kleineren Städten stehen Häusergruppen häufig ohne Einbindung in die städtische Infrastruktur einfach im Nichts. Umfassend konzipierte Siedlungsgebiete, wie von den Machern des Leitfadens konzipiert, existieren in dieser Form kaum. Die meisten chinesischen Häuser sind zudem weder ausreichend isoliert noch wird Müll getrennt, geschweige denn kompostiert.

Es fehlt der politische Wille zur VeränderungDie Situation in China ist indes nicht wirklich landesspezifisch. Weltweit ächzen die Städte unter der steigenden Zahl von Mensch und Auto. Die Infrastrukturen sind mangelhaft, die Städte an ihrer Kapazitätsgrenze. Das gilt in großen Städten wie Beijing, Neu-Delhi und Moskau besonders, aber auch in Ballungsgebieten wie beispielsweise dem Ruhrgebiet.

Grundsätzlich können Städte im Millionenbereich nachhaltig wachsen. Dafür muss aber gewährleistet sein, dass die Menschen nicht fürs Einkaufen, Arbeiten oder die Schule quer durch die Stadt fahren müssen. Dass es einen verlässlichen Nahverkehr gibt und gut geplante Wohneinheiten. Dass es nicht an schlüssigen Konzepten fehlt, zeigt der Leitfaden. Das Problem ist aber vor allem, dass auch der politische Wille für eine Veränderung vorhanden sein muss.

Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel des US-amerikanischen High-Line-Parks in New York. Er wurde auf einer Hochtrasse einer ehemaligen Eisenbahnlinie gebaut und lockt seit seiner Eröffnung 2009 nicht nur drei Millionen Besucher pro Jahr in den Park, auch sind in der näheren Umgebung die privaten Investments um 1,8 Milliarden Euro gestiegen, die Immobilienpreise haben sich verdoppelt, 8.000 neue Gebäude wurden gebaut und 12.000 Jobs geschaffen. Solche Projekte könnten auch in anderen Ländern Nachahmer finden und so manchen Bürgermeister überzeugen, in die Nachhaltigkeit ihrer Stadt zu investieren.

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