Urban Farming Gemüsezucht mit Recycling-Wasser

Urban Farming mit intelligentem Wassermanagement: Die Roof Water-Farm produziert Fisch und Gemüse mit recyceltem Wasser.

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Sanftes Plätschern erfüllt das Gewächshaus, ruhig ist es hier – dabei ist der Lärm der Großstadt nur wenige Meter entfernt: Das Glashaus, in dem Schleie und Afrika-Welse heranwachsen und wo Endivien und Pak Choi-Kohl sprießen, steht mitten in Berlin-Kreuzberg. Stetig fließt Wasser aus den beiden Fischbecken auf die Pflanzentische, eine Pumpe lässt es von dort wieder zu den Fischen zurückfließen.

Aquaponik nennt sich diese Kombination aus Fischzucht und Gemüseproduktion. Aqua bedeutet Wasser, „Ponik“ kommt vom altgriechischen „Ponos“, was „Arbeit“ bedeutet. Das Wasser übernimmt in diesem Fall die Düngearbeit: Über die Ausscheidungen der Fische gelangen Nährstoffe durch das Wasser, zu den Pflanzen, die diese zum Wachsen brauchen.

Die Idee wird weltweit verfolgt und zum Teil auch schon im größeren Maßstab genutzt: Aquaponik spart Wasser und Platz und eignet sich damit besonders gut für den Einsatz in der Stadt. Das Projekt in Kreuzberg geht noch einen Schritt weiter: Für die Fischbecken und zur Pflanzenbewässerung nutzen die Betreiber recyceltes Grauwasser in Badewasserqualität von 250 Bewohnern aus dem umliegenden Häuserblock – also Abwasser aus Duschen, Badewannen, Spül- und Waschmaschinen.

Im Juli hat außerdem eine Schwarzwasser-Aufbereitungsanlage den Betrieb aufgenommen. Darin wird das Toilettenwasser von 50 Personen zu einem Flüssigdünger aufbereitet, der künftig das Gemüse in den „fischlosen“ Hydroponik-Testbeeten mit zusätzlichen Nährstoffen versorgen wird. Roof Water-Farm heißt das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt.

Dezentrale Wertschöpfung in der Stadt„Beim Projekt Roof Water-Farm geht es uns darum, die Zukunftsstadt aus der Perspektive des Wassers und der Nahrungsmittelproduktion zu denken und zu untersuchen: Wie kann Dezentralisierung praktisch funktionieren?“, sagt Koordinatorin Grit Bürgow vom Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Zusammen mit ihrer Kollegin Anja Steglich hat sie das Projekt ins Leben gerufen, sieben weitere Partnerinstitutionen sind daran beteiligt.

Der Zusatz „Roof“ (Dach) ist allerdings irreführend: Noch steht die Test-Farm am Boden. Erst in der nächsten Projektphase könnte die Produktion tatsächlich AUF ein Gebäude verlagert werden. Möglich ist das unter anderem, weil die Pflanzen ohne schwere Erde nur in Hydrokultur wachsen. „Wir schauen nun, wie man diesen technologischen Ansatz auf verschiedene Gebäudetypen übertragen kann und wie beispielsweise anwohnerorientierte oder auch kommerzielle Nutzungsmodelle aussehen könnten“, so Grit Bürgow.

Statt das Abwasser aus der Stadt hinaus und die Lebensmittel von weither in die Stadt hinein zu schaffen, erprobt die Roof Water-Farm eine Alternative, die auf dem Denken in Kreisläufen beruht. Das Projekt soll die Möglichkeiten einer ressourcenschonenden regionalen Wertschöpfung in der Stadt ausloten – also dort, wo die Flächen schon heute besonders knapp sind.

Hier erklärt Grit Bürgow das Projekt:

Nah am Konsumenten produzieren: Die Landwirtschaft kehrt zurück in die Stadt

Mit dem Plan, die Nahrungsmittelproduktion zurück in die Stadt zu holen, sind die Roof Water-Farmer nicht alleine. Neben den Gemeinschaftsgärten, die in vielen Städten sprießen, gehen auch immer mehr kommerziell ausgerichtete Modelle an den Start. Prominentes Beispiel: die ECF Farm auf dem Gelände einer alten Malzfabrik in Berlin-Tempelhof. Seit dem Frühjahr produziert die nach Angaben der Betreiber größte urbane Aquaponikfarm Europas auf insgesamt 1800 Quadratmetern Fisch und Gemüse im wassersparenden Kreislauf-Prinzip.

Hier wird Regenwasser gesammelt, aufbereitet und zunächst in die Fischbassins, dann in die beiden Gewächshäuser gepumpt. Meterhoch ranken die Tomatenpflanzen im sogenannten Warmhaus. Als Nährstoff-Transporteur dienen vergleichsweise winzige Päckchen aus Steinwolle, in denen die Sträucher wurzeln – das ist im ersten Moment irritierend. Doch nicht nur optisch können die prallen roten Früchte mühelos mit ihren Freiland-Kollegen mithalten, auch mit ihrem Aroma überzeugen die Schnitze, die ECF-Mitarbeiterin Marie Schönau Besuchern gerne als Kostprobe reicht.

35 Tonnen Gemüse und 30 Tonnen Fisch wollen die Betreiber Nicolas Leschke und Christian Echternacht hier künftig jedes Jahr produzieren. Mit dem Start in die erste Saison sind die beiden zufrieden: Die rund 250 Gemüsekisten-Abos, die sie für Endkunden anbieten, waren bereits nach zwei Wochen ausgebucht. Im Oktober startet auch der Fischverkauf.

Eine ihrer Farmen haben die Unternehmer bereits in die Schweiz verkauft, für vier weitere Interessenten arbeiten sie derzeit an Planungsstudien, eine davon in Berlin.

500 Kilometer weiter westlich, in Oberhausen, forscht das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT im Rahmen des Projektes inFARMING an Konzepten zur urbanen Landwirtschaft. Ein gebäudeintegrierter Gemüsegarten entsteht dort auf dem Dach des neuen Job-Centers: die tatsächlich erste Dachfarm Deutschlands. Im Juni haben die Gebäudebetreiber und die UMSICHT-Wissenschaftler eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet.

Nicht nur ein Thema für Megacities„Urbaner Gartenbau ist nicht nur ein Thema für die Megacities in Asien und Amerika“, sagt Volkmar Keuter, Projektleiter inFARMING. „Auch in Deutschland wachsen die Städte und auch hier ist es sinnvoll, Lebensmittel in unmittelbarer Nähe zum Verbraucher anzubauen. Gemüse kann so viel frischer an den Mann und an die Frau gebracht werden.“

Außerdem könnten so auch viele alte Sorten „wiederbelebt“ werden, die heute weitgehend aus dem Sortiment verschwunden sind, weil sie nicht für die langen Transportwege geeignet sind. Ein Allheilmittel freilich sei der urbane Gartenbau nicht, betont Keuter. „Wir maßen uns nicht an, die Lösung für alle Probleme der Landwirtschaft parat zu haben.“

Ein zentraler Bestandteil des Stadtfarm-Konzepts der Oberhausener Forscher ist die Wasseraufbereitung. „Wenn man schon in der Nähe eines Gebäudes ist, sollte man neben den Energieressourcen wie etwa der Abwärme auch die Nährstoffe aus dem Gebäude nutzen“, so Volkmar Keuter. Für die Berliner Roof Water-Farm hat sein Team die Anlage zur Schwarzwasser-Aufbereitung konzipiert, in der seit kurzem ein hygienisch sicheres Verfahren erprobt wird, um Düngemittel aus Toilettenabwasser zu gewinnen.

Getrennte Abwasserleitungen sind Voraussetzung für WasserrecyclingDer Standort in Kreuzberg ist gut geeignet, um die urbane Lebensmittelproduktion mit nachhaltigem Wassermanagement zu kombinieren: In einem Teil des Gebäudekomplexes, der die Roof Water-Farm umgibt, fließen Grau- und Schwarzwasser in getrennten Leitungen ab – das ist Voraussetzung für das Wasserrecycling.

Aufbereitet werden die Abwässer in einer dezentralen Kläranlage, die im Innenhof nahe dem Gewächshaus in einem kleinen Gebäude mit Holzfassade und begrüntem Dach untergebracht ist. „Hausherr“ hier ist Erwin Nolde. Der Umweltingenieur hat sich auf innovative Wasserkonzepte spezialisiert. Besonders häusliches Abwasser ist für ihn eine wertvolle Ressource mit hohem Einsparpotenzial für die Städte. So lassen sich per Schwarzwasser-Aufbereitung wertvolle Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphat und Kalium (NPK) aus den Fäkalien zurückgewinnen, die unerlässlich für das Pflanzenwachstum sind.

Auch ein System zur Wärmerückgewinnung aus Grauwasser hat Nolde entwickelt. „Kläranlagen sind normalerweise der größte Energieverbraucher in einer Kommune“, sagt er. „Wir wollen hier zeigen, dass und wie eine energiepositive Kläranlage funktioniert.“

Badewasserqualität nach neun ReinigungsstufenIn der von Nolde konzipierten Recyclinganlage durchläuft das Abwasser neun Stufen. Die Reinigung übernehmen Mikroorganismen. „Wir reinigen hier hochbelastetes Grauwasser auf rein biologischer Basis“, sagt der Ingenieur und füllt etwas Wasser aus einem der hinteren Behälter in ein Glas – es ist klar. Am Ende des Reinigungsprozesses hat das Wasser eine deutlich bessere Qualität als sie in herkömmlichen Kläranlagen erzielt wird. Es darf deshalb nicht nur als sogenanntes Betriebswasser, etwa für die Toilettenspülung, von den Mietern wiederverwendet werden, sondern auch für die Roof Water-Farm. Regelmäßig werden Fische und Pflanzen auf Vitalität, Wuchsverhalten und Spurenstoffe wie etwa Arzneimittelrückstände untersucht. Erste Zwischenergebnisse des Projektpartners und Betreibers des Forschungsgewächshauses Terra Urbana Umlandgesellschaft zeigen, dass die Qualität der Aquaponik-Produkte unbedenklich ist. „Das Wasser in der Anlage ist besser als das aus der Spree“, so Grit Bürgow.

In einer Gebäudestudie haben sie und ihre Kollegin errechnet, dass ein 400 Quadratmeter großes Gewächshaus ausreichen würde, damit 70 Bewohner eines fünfgeschossigen Wohnblocks 80 Prozent ihres Bedarfs an Obst, Gemüse und Fisch decken könnten. „Mit unserem Projekt wollen wir der Kreislaufstadt näher kommen, der Stadt, die sich aus sich selbst heraus erneuert“, sagt die Wissenschaftlerin.

Herausforderung: Die Umsetzung in der PraxisIhre Aufgabe ist es nun, im Rahmen ihrer Forschung die Schlüsselakteure zu identifizieren, die die Umsetzung der Roof Water-Idee im größeren Maßstab vorantreiben. Das jedoch ist nicht so einfach. Ein Problem: Nur sehr wenige Gebäude verfügen über die notwendigen getrennten Abwasserleitungen. Auch bei Neubauten ist ein doppeltes Leitungsnetz nur selten vorgesehen, obwohl sich die Investitionskosten laut Umweltingenieur Erwin Nolde dank des geringeren Verbrauchs rasch amortisieren. Nolde ärgert das. „Wie die Mülltrennung müsste auch ein doppeltes Abwassernetz für Neubauten gesetzlich vorgeschrieben sein“, findet er. Alles andere ist in seinen Augen Ressourcenverschwendung. Auch die zentralen Wasserver- und -entsorgungsbetriebe reagieren laut den Projektpartnern eher zurückhaltend auf das Konzept. Nolde möchte sie gern als zukünftige Anlagenbetreiber gewinnen – bisher befürchten sie ihm zufolge allerdings eher, dass ihnen durch den geringeren Wasserverbrauch Einnahmen entgehen.

„Der Druck, um aktiv zu werden, ist offenbar noch nicht groß genug. Noch haben wir hier genug Wasser beziehungsweise Geld für den Transport von Lebensmitteln von weit her“, so Anja Steglich. Da das nicht ewig so bleiben dürfte, setzen sie und Grit Bürgow auf Weitblick und halten Ausschau nach Umsetzungspartnern, die sich wie sie schon mal auf den Weg gemacht haben in Richtung Zukunft.

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Dieser Text ist Teil der Reihe “Die Zukunft vor der Haustür: Grüne Innovationen aus den Regionen”, die im Rahmen einer Kooperation zwischen WiWo Green und dem Studium Nachhaltigkeit und Journalismus der Leuphana Universität Lüneburg entstanden ist. Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

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