Verkehr in Großstädten Die Welt ist im Seilbahn-Fieber

Rund um den Globus gelten Seilbahnen als günstiges Mittel gegen Stau, Smog und Verkehrschaos. Warum nicht in Deutschland?

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In einer Gondel hoch oben über der Elbe schweift der Blick zurück über die Stadt, die riesigen Containerschiffe im Hafen liegen zu Füßen: Wenn es darum geht, Menschen für Seilbahnen zu begeistern, genügt ein wenig Kopfkino. Hamburg von oben. Mövenperspektive. Na?

In den Köpfen der Hamburger im Bezirk Mitte haben sich wohl noch andere Dinge abgespielt, als sie vor einem Monat zu beinahe zwei Dritteln gegen den Plan des Seilbahn-Unternehmers Michael Doppelmayr und des Musical-Veranstalters Stage Entertainment stimmten. Er sah vor, drei Seile vom Millerntor nach Steinwerder zu spannen und die Stadt so um eine schnelle Verbindung in den Süden zu bereichern. Der Vorschlag scheint vor allem gescheitert zu sein, weil viele Bürger die Seilbahn als Touristenattraktion sahen, die zwar die Musical-Theater leichter erreichbar macht, aber das Hafenpanorama verschandelt und als Verkehrsmittel nutzlos ist.

Im Rest der Welt sind die Menschen offenbar leichter zu überzeugen. Anders als in Hamburg gilt die Seilbahn in immer mehr Städten als echte Alternative zu Bus, Bahn und Auto. Von London bis Hong Kong, am Zuckerhut und am Bosporus bringen an Stahlseilen aufgehängte Kabinen Fahrgäste über kilometerlange Strecken, verkürzen Fahrtzeiten zwischen Stadtvierteln und stehen für sauberen Verkehr.

Skyline-Panorama statt U-Bahn-MiefDie Seilbahn ist längst nicht mehr nur ein praktisches Gefährt für Skifahrer und Wander-Touristen – in überfüllten Städten wird sie zum Allheilmittel gegen Stau und Smog. Wenn es auf vielen Strecken in den Metropolen eng wird, ist die Frage meist nicht weit: Passt da auch eine Seilbahn hin?

So wie gerade in New York. Dort hat der Immobilienmakler Daniel Levy mit dem Namen „East River Skyway“ eine Vision geschaffen, bei der so mancher Pendler ins Träumen geraten dürfte, der morgens in einem stickigen U-Bahn-Schacht in Brooklyn mehrere volle Züge an sich vorbeifahren sieht, bis auch mal Platz für ihn ist. Skyline-Panorama statt U-Bahn-Mief? Verlockend, ja.

Levys dreistufiger Plan sieht zunächst eine Gondel-Verbindung mit zwei Haltestellen zwischen der Lower East Side über den East River nach Williamsburg bis zum Brooklyn Navy Yard vor. Spätere Abschnitte könnten den Finanzdistrikt und die Vereinten Nationen mit Williamsburg verbinden. Jeder Teil soll laut Levy zwischen 75 und 125 Millionen Dollar kosten und damit viel weniger als neue U-Bahnen oder gar Straßen, für die sowieso kein Platz mehr wäre.

Straßenbahnen sind mehr als doppelt so teuerDie Kosten und der Platz – das sind zwei schlagkräftige Argumente, mit denen Seilbahn-Befürworter Werbung für ihre Pläne machen. 10 bis 15 Millionen Euro kostet ein Streckenkilometer im Schnitt, weniger als halb so viel wie eine Straßenbahnlinie. Kein städtisches Verkehrsmittel lässt sich so leicht auf- und wieder abbauen, keines ist so leise, keines so emissionsarm. Der Trierer Verkehrsexperte Heiner Monheim, der auch Seilbahnbetreiber berät, nennt Kabinenbahnen deshalb „minimalinvasiv“.

Vor allem Gondelhersteller wie Doppelmayr aus Vorarlberg und Leitner aus Südtirol versprechen sich ein Zukunftsgeschäft in den Großstädten der Welt. Leitner hat sich jüngst einen lukrativen Auftrag in Mexico City gesichert (siehe die 3D-Grafik im Aufmacherbild).

In der schnell wachsenden Hauptstadt Mexikos sollen Gondeln des Herstellers künftig die nördlichen Stadtteile Via Morelos und San Andrès De La Cañada verbinden: Gleich zwei unabhängige Linien, sieben Haltestellen und eine Fahrzeit, die sich von 45 auf 30 Minuten reduziert. Schon Ende nächsten Jahres soll der Linienbetrieb losgehen. Zuletzt hatte die Seilbahn in der türkischen Hauptstadt Ankara eröffnet – auch sie ist ein Leitner-Prestigeprojekt.

Mit solchen wartet auch Konkurrent Doppelmayr auf, der mit seiner Hamburger Seilbahn gescheitert ist. Im bolivianischen La Paz entstehen gerade drei Seilbahnen mit elf Kilometern Strecke, die das Tal der Hauptstadt mit der Nachbarstadt El Alto auf 4000 Metern Höhe verbindet. Lateinamerika, so scheint es, ist zunehmend im Gondel-Fieber. Kürzlich gingen Strecken in Rio de Janeiro und in der kolumbianischen Millionenstadt Cali in Betrieb, auch im venezolanischen Caracas schwebt eine Kabinenbahn über der Stadt.

Die Koblenzer lieben ihre SeilbahnUnd in Deutschland? Vielerorts gibt es noch städtische Seilbahnen, wie in Köln über den Rhein, die aber bis auf schöne Aussichten kaum einen Nutzen haben und wirken wie Relikte aus längst vergessenen Zeiten. Tausende Strecken gebe es aber hierzulande, glaubt Verkehrsplaner Monheim, auf denen man Seilbahnen bauen könnte. Nur macht es kaum jemand. In Wuppertal wird gerade der Bau einer Seilbahn diskutiert, mit der Studenten die auf dem Berg liegende Uni besser erreichen würden. Berlin-Marzahn bekommt als Bonus-Attraktion für die Internationale Gartenschau 2017 ein paar Gondelstationen. Alles vereinzelte Projekte.

Und dann ist da noch der Blick über das Mittelrheintal in Koblenz. Auch dort war es eine Gartenschau, wegen der die Seilbahn gebaut wurde, die seit 2011 die Koblenzer Altstadt und die Festung Ehrenbreitstein am anderen Ufer verbindet. Heute sind die Koblenzer stolz auf ihre Seilbahn, sprachen sich zu 90 Prozent für deren Weiterbetrieb aus und setzten sie auch beim Komitee der Vereinten Nationen durch, das über den Welterbe-Status des Mittelrheintals befindet.

Der letzte offiziell verkündete Neubau einer Seilbahn findet hingegen wieder in klassischen Gefilden statt: Eine moderne und deutlich größere Anlage soll die 50 Jahre alte Eibsee-Seilbahn an der Zugspitze ablösen, wie Ende vergangener Woche beschlossen wurde. Der größte Seilbahnbedarf besteht in Deutschland eben doch noch im Gebirge.

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