Knapp vier Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima, die den deutschen Atomausstieg beschleunigte, fahndet die Bayerische Staatsregierung unverändert nach ihrem Konzept für die Energiewende. Angesichts der Brisanz des Themas verbieten sich „schnelle Festlegungen“, erklärte Ministerpräsident Horst Seehofer Mitte 2014.
Wer nicht weiter weiß, gründet einen Arbeitskreis – Wirtschaftsministerin Ilse Aigner startete folgerichtig vergangenen Herbst einen „Energiedialog“ mit allen Stakeholdern.
Symbolpolitik statt konkreter LösungenDas Ergebnis wurde kürzlich vorgestellt und man wusste, was man schon vorher wusste: Die Industrie setzt auf neue Stromtrassen, die Naturschützer auf Dezentralität und die möglicherweise vom Trassenbau betroffenen Regionen auf das St. Florians Prinzip. Sprich, es wurde nichts entschieden.
Macht nix, sagt jetzt wieder Seehofer: Die wichtigen Entscheidungen treffe man ohnehin nicht in München, sondern in Berlin.
Fazit: Alles bleibt wie es ist. Und die Zukunft bleibt offen.
Man könnte diese Gemengelage jetzt achselzuckend als unvermeidlichen Bestandteil politischer Folklore zur Kenntnis nehmen.
Doch leider ist das bayerische „Jetzt red I“ nur Sympton einer fatalen Entwicklung. Volksdebatte als Politikersatz. Round Tables anstelle von Entscheidungsfindung. Symbolpolitik statt konkreter Ansätze. Merke: Wer viel diskutiert, muss nichts verabschieden.
Dazu passend der Eindruck, dass die meisten politischen Entscheidungen ohnehin nur noch als Ergebnis von Meinungsumfragen fallen. Nur konsequent legte kürzlich die bayerische Staatsregierung ein Gesetz für unverbindliche „Volksbefragungen“ vor. Statt Politik übernehmen Infas und Allensbach die Richtlinienkompetenz.
Nachhaltigkeit braucht VerlässlichkeitSollte dann doch mal ein Mehrheitsvotum fallen, oder ein Gesetz verabschiedet werden muss dieses häufig umgehend nachgebessert werden.
Fatal für alle, die auf die Zukunft angewiesen sind. Und auf die Sicherung ihrer Zukunft.
Das trifft vor allem auch die Industrie, die – na klar - ihre Interessen besitzt, aber vor allen Dingen eines benötigt: zuverlässige Rahmenbedingungen. Wer in die Maschinen von übermorgen investieren will, muss heute wissen, ob diese auch später noch in ein politisches Konzept passen.
Wer heute seine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet, will eine Ahnung haben, wohin sich Grenzwerte entwickeln. Wem heute die Befreiung von der Energieumlage angekündigt wird, muss sicher sein, dass diese auch morgen noch gilt.
Diese Unsicherheit ist umso ärgerlicher, als alle das Wort Nachhaltigkeit im Munde führen. Nachhaltigkeit bedeutet Zukunftssicherung und die Entwicklung langfristiger Strategien. Unmöglich, wenn man entweder keine Zukunftsvisionen verabschiedet oder sich der konkreten Debatte darüber gleich ganz verweigert.
Rechtzeitige Entscheidungsfindung ist ein Teil von Nachhaltigkeit. Die bayerische Regierung zeigt derzeit, wie es nicht geht.
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Andreas Knaut ist Experte für Unternehmenskommunikation und CSR. Er verantwortete jahrzehntelang den Bereich Corporate Communications und Nachhaltigkeit, in internationalen Unternehmen, darunter Danone, SCHUFA Holding sowie Gruner + Jahr. Inzwischen arbeitet er mit der Stuttgarter Reputationsagentur dokeo sowie bei der Veranstaltungsreihe CSR-Forum. Bei WiWo Green schreibt Andreas Knaut regelmäßig über das Engagement von Wirtschaft und Unternehmen im Bereich Umwelt und Soziales.