Grüne Pioniere Der Öko-Ölbaron

Benzin und Öl aus Wasser, Luft und Sonne – früher erntete Bodo Wolf für seine Ideen nur Gelächter. Heute ist er einer der wichtigsten Vordenker für die Zukunft der Mobilität. Der grüne Sprit könnte ein Viertel des deutschen Kraftstoffbedarfs decken.

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Bodo Wolf, Chef von Sunfire Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Bodo Wolf ist 15 Jahre alt, als er das erste Mal mit dem Stoff in Berührung kommt, der sein Leben prägen wird. Der Junge hat noch nicht mal einen Bart, aber schon einen Presslufthammer. Damit soll er – mehr als 1000 Meter tief unter dem sächsischen Zwickau – das schwarze Gold aus den Steinkohleflözen schlagen. Für Bergbaulehrlinge gibt es die größte Lebensmittelration. 1955 ist das. Das Abitur kann warten, denkt Wolf. Erst mal soll Schluss sein mit dem Hunger.

Der Stoff für seine Geschichte ist genau genommen nicht die Kohle. Sondern der darin enthaltene Kohlenstoff. Als über Jahrmillionen verrottete und unter die Erde gepresste Überbleibsel von Pflanzen, Algen und anderer Biomasse ist dieser Kohlenstoff auch in Öl und Erdgas gebunden – und damit die Basis für unsere Industrie und Mobilität.

Kohle, Öl und Erdgas aus Luft, Wasser und Sonne

Doch 20 Jahre nachdem Bodo Wolf das erste Mal in den Schacht fuhr, wird ihm klar, wie begrenzt und klimaschädlich die fossilen Brennstoffe sind. Wolf ist mittlerweile wissenschaftlicher Leiter des zentralen Energieforschungszentrums der DDR, dem Deutschen Brennstoffinstitut in Freiberg, und erforscht auch den Kohlenstoffkreislauf der Erde. Was heute Allgemeinwissen ist, interessiert damals zwischen Ostberlin und Moskau niemanden. Umso verrückter ist die Idee, die Wolf hinter dem Eisernen Vorhang entwickelt: Er will Kohle, Öl und Erdgas herstellen, mithilfe von Luft, Wasser und Sonne. Sein Vorbild ist die Natur – die Fotosynthese der Pflanzen, die Sonnenenergie in Biomasse umwandelt.

Daran arbeitet Wolf bis heute. Doch heute hört man ihm zu. Der drohende Klimawandel und die steigenden Rohstoffpreise haben ihn zu einem gefragten Mann gemacht: Der WWF hat ihn zum "Ökomanager des Jahres" gekürt, der Automobilkonzern Daimler beschäftigte ihn als Berater. Und mittlerweile hat Wolf drei Unternehmen aufgebaut, die, basierend auf seinen Ideen und Patenten, unter anderem Biosprit und Kohle aus Pflanzenresten herstellen.

Die grüne Energie ist das Thema seines Lebens. In seiner hell getünchten, dreistöckigen Villa vor den Toren Berlins am Ufer des Scharmützelsees ist das kaum zu übersehen: In die Hauswände sind zwei Windräder zur Stromerzeugung eingelassen, die aussehen wie riesige Belüftungsventilatoren. Auf dem Dach schimmern Solarpaneele – Sonne und Wind decken den gesamten Energiebedarf des Anwesens.

Die drei von der Ökotanke Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Ähnliches sollen Wind und Sonne bald auch im Rest des Landes leisten, und das sei gut so, sagt Wolf. Nur für den flüssigen Kohlenstoffspeicher, das Öl, gibt es noch immer keinen Ersatz. Bis jetzt.

Denn auch dafür hat Wolf eine Idee: Erst vergangenes Jahr gründete der 71-Jährige mit drei jungen Ökonomen und Ingenieuren das Startup Sunfire. Ziel ist es, aus grünem Strom, Kohlendioxid und Wasser Treibstoffe wie Diesel, Kerosin und einen Ölersatz für die Industrie herzustellen.

Von Churchill lernen

Von der Terrasse seiner Villa hat Wolf einen weiten Blick über den See und die großen, alten Bäume im Garten. Wenn er nicht im Allgäu bei seiner Familie ist, sitzt er hier im Sommer manchmal von drei Uhr nachts bis Sonnenaufgang und entwirft Strategien für seine Unternehmen. Zu rasten ist nicht Wolfs Ding. Noch heute springt der ehemalige Zehnkämpfer fast täglich in den See und dreht seine Runden.

Auch über den Ölersatz grübelte Wolf nächtelang. Davon erzählt er in einem eindringlichen, fast messianischen Ton. Dabei spicken seine Sätze chemische Gleichungen und physikalische Formeln wie Stolperfallen. Doch wenn Wolf eine wichtige Botschaft verkündet, kann er auch anders: "Wenn wir genug regenerative Energie haben, können wir grüne Treibstoffe herstellen, bis die Schwarte kracht", sagt er. Wie sehr Wolf mit seinen Ideen begeistern kann, davon schwärmt auch Carl Berninghausen, einer der Sunfire-Gründer.

Dass die Herstellung des Ökoöls jetzt in greifbare Nähe rückt, hat vor allem mit Wolfs Hartnäckigkeit tun – und mit Weltpolitik. Damit er loslegen konnte, musste erst der Eiserne Vorhang fallen. Denn bis 1990 häufte er zwar Unmengen an Wissen über die Veredelung von Kohle zu Gas und Kohlenstoffchemie an. Umsetzen konnte er es wegen sturer Bürokraten in den Ministerien kaum.

Geblieben ist Wolf aus der Zeit vor 1990 neben seinem Wissen eine 39-bändige Karl-Marx-Ausgabe, die im Flur der Villa das Bücherregal belegt. Politisch sei Marx nicht sein Fall, sagt Wolf. Als Wissenschaftler schätzt er ihn, weil seine Analysen Pionierarbeit waren. Neben dem Marx-Wälzer stehen Dutzende Biografien. Vor allem Churchill und Bismarck haben es ihm angetan – „weil sie in widrigen Umständen an ihren Überzeugungen festhielten“. Ein bisschen spiegelt das Wolfs eigene Geschichte. Mit dem Ende der DDR gründete Wolf sein eigenes Ingenieurbüro. Aber anfangs meinte es der Kapitalismus nicht besser mit ihm als der Sozialismus. Denn jetzt musste er Geldgeber überzeugen. Die zeigten sich skeptisch, ebenso wie die Forscherkollegen.

Wolf berichtet von einem Vortrag Mitte der Neunzigerjahre, in dem er auf einer Konferenz der Rohstoffindustrie sein Verfahren erläutert: Wie er zunächst mit regenerativem Strom Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Wie sich Wasserstoff dann in einer chemischen Reaktion mit Kohlendioxid zu einem Synthesegas umwandelt. Und wie dieses Gas schließlich in einer weiteren chemischen Reaktion zu einem Treibstoff- oder Ölersatz verarbeitet wird. Nach dem Vortrag lachte der Saal. Ein "Belustigungsfaktor“ sei er gewesen, sagt Wolf.

Dass seine Idee funktioniert, hat Wolf nun mit Sunfire bewiesen. Das Startup produziert eine durchsichtige Flüssigkeit mit den chemischen Eigenschaften von Diesel und Kerosin. Um Benzin und einen Ölersatz zu schaffen, müsste die Flüssigkeit in einer Raffinerie verarbeitet werden.

Kontakt zum Investor entstand zufällig

So neu die Technik ist, sie ist schon heiß umstritten. Der Physiker Klaus Lackner von der Columbia-Universität New York zeigte in einer Studie, dass grüne Kraftstoffe, wie Sunfire sie herstellt, den gesamten Treibstoffbedarf der USA decken könnten – zu heutigen Kraftstoffpreisen. Kritiker aber sprechen von Stromverschwendung. Denn bei der Umwandlung von Elektrizität in grünen Sprit geht über 30 Prozent der Energie verloren.

Diesen Vorwurf kontert Wolf mit dem Argument, dass batteriegetriebene Flugzeuge, Schiffe und selbst Autos auch in Zukunft keine weiten Strecken fahren können. Zudem passten seine Kraftstoffe zur bestehenden Infrastruktur. Dass Wolf seine Idee nach Jahren vergeblicher Investorensuche realisieren konnte, verdankt er einem Treffen auf einer Party. Dort erzählte er einem Gast von seiner Technik. Der schickte ihn zu seinem Onkel. Der Onkel war Hanns Arnt Vogels, ehemals Chef des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns Messerschmitt-Bölkow-Blohm und ein bestens vernetzter Manager.

VW und Daimler waren interessiert

Vogels war so begeistert von Wolfs Ökosprit, dass er ihm Termine bei den Chefs von VW und Daimler besorgte. Aber die Idee, mit Luft und Wasser zu fahren, war den Auto-Zaren Ferdinand Piëch und Jürgen Schrempp zu abenteuerlich. Immerhin konnte Wolf sie für ein Projekt mit ähnlicher Technik gewinnen: Diesel aus Biomasse wie Holz herzustellen.

Mit den prominenten Geldgebern im Rücken baute Wolf im sächsischen Freiberg den Biodieselproduzenten Choren auf. Das Potenzial des Verfahrens galt als enorm: Die staatliche Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe schätzte, dass Biokraftstoffe à la Choren künftig ein Viertel des deutschen Treibstoffbedarfs decken könnten. Bis zu 270 Millionen Liter Treibstoff sollten die Anlagen des Unternehmens, das zwischenzeitlich 300 Mitarbeiter beschäftigte, im Jahr herstellen. Anfang 2011 stand die Technik, um Holzschnipsel in Diesel zu verwandeln, kurz vor der Marktreife. Doch das Verfahren erwies sich als komplizierter, als Anfangs gedacht. Nachdem bei Testläufen Schwierigkeiten auftraten, musste Choren im Juli 2011 Insolvenz anmelden.

Bodo Wolf bekam von den Schwierigkeiten nichts mehr mit. Denn schon 2005 hatte er die Unternehmensführung abgegeben, um sich neuen Projekten zu widmen. Unter anderem dem Unternehmen Suncoal, das an Techniken arbeitet, um aus Pflanzenabfällen Kohle herzustellen. Biomasse in Diesel und Kohle umzuwandeln, waren für Wolf nur Etappensiege. "Das sind zwar meine Erfindungen", sagt er, "aber die Lösung ist es nicht."

Kohle, Gas und Öl müssen endlich unter der Erde bleiben

Denn die Biomasse, die Choren und Suncoal verwenden, reiche nicht, um die Energiefrage zu lösen. Warum, erklärt Wolf mit einem Verweis auf seinen Garten. Die jahrzehntealte, haushohe Eiche, die dort steht, würde nur ein Fass Diesel liefern, sagt Wolf. Sprit für 2000 Kilometer. Deshalb will er die Biomasse mit künstlichen Kohlenstoffverbindungen aus dem Sunfire-Verfahren ersetzen. "Kohle, Gas und Öl müssen endlich unter der Erde bleiben", sagt Wolf. Einen Ersatz hätte er – der grüne Ölbaron der Zukunft – parat.

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