Hirnforscher Ernst Pöppel Training fürs Gedächtnis

Auf dem World Economic Forum in Davos traf ich vor einigen Wochen einen amerikanischen Unternehmer wieder, der mich vor vier Jahren in New York gefragt hatte, was er denn tun müsse, um geistig fit zu bleiben.

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Auf dem World Economic Forum in Davos traf ich vor einigen Wochen einen amerikanischen Unternehmer wieder, der mich vor vier Jahren in New York gefragt hatte, was er denn tun müsse, um geistig fit zu bleiben. Wir hatten uns damals auf einem Empfang unterhalten, und wie es bei solchen Ereignissen üblich ist, war die Zeit zu knapp, um mehr als ein paar Empfehlungen zu geben. Zehn Sekunden müssen manchmal reichen. Doch der Geschäftsmann wusste noch genau, was ich ihm geraten hatte: täglich ein Gedicht auswendig lernen, regelmäßig Sport treiben, der Wirkung von Gingko-Extrakt vertrauen, und jeden Abend ein Glas Wein trinken. Besonders auf den Wein habe er sich verlassen, verriet er mir beim Wiedersehen. Dass er sich noch so gut erinnern konnte, heißt wohl, dass die Empfehlungen gewirkt haben – gerne nimmt man etwas für sich in Anspruch, wenn es erfolgreich war. Das Wichtigste, um geistig fit zu bleiben, ist es zu wollen, und dies war bei meinem Gesprächspartner der Fall. Ohne eigene Bereitschaft, sich anzustrengen, geht es nicht. Wer sich nicht mehr bewegt, verliert Muskelkraft, und wer nicht mehr denkt, verliert Gedankenkraft. Das Gehirn ist wie ein Muskel, auch wenn es medizinisch gesehen kein Muskel, sondern ein Geflecht von abermilliarden Zellen ist. Es muss trainiert werden, sonst erschlafft es. Mein Unternehmerfreund hatte dies erkannt, wobei seine berufliche Tätigkeit genug geistige Herausforderungen bot, um geistig beweglich zu bleiben. Doch nicht jeder hat beruflich das Glück, sein Gehirn in einem guten Trainingszustand zu halten. Was kann man dann tun, um seine geistigen Möglichkeiten auszuschöpfen? Zu einem Trainingsprogramm des Geistes gehört auf jeden Fall körperliche Bewegung. Neue Studien haben ergeben, dass man die Wahrscheinlichkeit vermindert, später an einer Demenz zu erkranken, wenn man regelmäßig Sport treibt. Der Mensch ist zur Bewegung geboren. Für mich selbst ist das Gehen besonders wichtig, sei es auf Wanderungen in den Bergen oder bei Trainingseinheiten auf dem Laufband. Letztere sollten mindestens jeweils eine dreiviertel Stunde dauern und möglichst jeden Tag stattfinden. Das Gehen hebt nicht nur das körperliche Wohlbefinden, auch der Kopf ist nach der Anstrengung wie gereinigt. Viele Menschen, wie auch ich, haben ihre wichtigen Einfälle beim Gehen. Zwei Schritte pro Sekunde sind ein gutes Zeitmaß. Gehen und auch Laufen sind Tätigkeiten, die den Geist beflügeln und kreativen Einfällen die Tür öffnen. Warum Gedichte auswendig lernen? Es muss nicht unbedingt ein Gedicht sein: Sie können auch einen anderen Text wählen, doch sinnvoll sollte er schon sein und in die Landkarte des eigenen Interesses passen. Täglich zehn Minuten etwas auswendig zu lernen füllt nicht nur den Gedächtnisspeicher mit neuem Material, das man bei passender Gelegenheit abrufen, und damit andere beeindrucken kann, sondern man verbessert sein Gedächtnis ganz allgemein und damit auch die Gedankenfabrik.

Manche hoffen auf einen „Nürnberger Trichter“, doch den gibt es nicht. Man kann ohne konzentriertes Lernen seinen Gedächtnisspeicher nicht aufladen. Aktivität, innere Beteiligung sind notwendig für die Einspeicherung des Neuen. Womöglich stehen in einigen Jahres erste Medikamente bereit, die helfen, unsere geistige Fitness zu verbessern und lange auf hohem Niveau zu halten. Der amerikanische Nobelpreisträger Eric Kandel hat solche Pillen, die das Gedächtnis fördern, angekündigt (siehe WirtschaftsWoche-Titel 30/2005). Noch stehen solche Präparate allerdings nicht zur Verfügung – und es wird wohl noch einige Zeit dauern. Andere Stoffe mit einer positiven Wirkung auf das Gedächtnis gibt es schon länger, wie etwa Gingko-Extrakte. An meinem Institut haben wir untersucht, ob noch andere Wirkungen in diesen Stoffen verborgen sind, und wir stellten fest, dass Bewegungsabläufe präziser werden, dass man sich besser konzentrieren kann und dass die Stimmungslage erhöht wird. Besonders in Krisensituationen blieben die Probanden lockerer und schafften es so besser, den Stress zu meistern. Der Grund für diese positiven Wirkungen ist wohl der, dass der Energiehaushalt der Nervenzellen und damit deren Aktivität verbessert wird. Unsere Beobachtungen mögen auch sportlich Aktive interessieren: Wer hätte nicht gerne einen präziseren Aufschlag beim Tennis, und welcher Golfspieler tut nicht alles, um sein Handicap zu verbessern? Somit heißt die Empfehlung: Täglich etwas Neues lernen, und damit die Plattform für kreatives Denken erweitern; regelmäßig körperlich aktiv sein; geistige Beweglichkeit auch wirklich zu wollen, um nicht in mentale Dumpfheit zu verfallen. Und was ist mit dem Wein, auf dessen Segnungen der Unternehmer aus New York vertraut? Studien haben gezeigt, dass der moderate Konsum von Wein nicht nur eine schützende Wirkung für das Herz und seine Funktionen hat, sondern sich auch positiv auf die geistige Fitness auswirkt. Es können auch andere alkoholische Getränke sein, doch müssen sie moderat genossen werden. Es geht einem mit Herz und Hirn dann besser als jenen, die gar nichts, oder jenen, die zu viel trinken. Doch dabei immer an den römischen Dichter Horaz denken und das richtige Maß beachten. Ernst Pöppel (65), Professor für Psychologie und Sinnesphysiologie, leitet das Institut für Medizinische Psychologie, das Humanwissenschaftliche Zentrum sowie das Generationen-Forschungsprogramm der Universität München.

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