Innovationen Die Zukunftsmacher: Hightech aus Deutschland

Mobilität, Umwelt, Krebstherapie: Eine exklusive Studie des Europäischen Patentamtes zeigt, bei welchen Technologien Deutschland Weltspitze ist. In einer dreiteiligen Serie porträtiert die WirtschaftsWoche die Forscher, in deren Labors die Jobs und Produkte von morgen entstehen.

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Siemens-Forscher Maximilian Fleischer Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Behutsam schiebt Maximilian Fleischer das fingernagelgroße Plättchen auf seinem Schreibtisch hin und her. Es sieht auf den ersten Blick aus wie ein simpler Mikrochip. Doch das Silizium-Teilchen auf dem Tisch des Chefs der Sensorgruppe in der zentralen Siemens-Forschung ist viel mehr: Auf seiner Oberfläche kleben drei winzige Rezeptoren. Sie messen Kohlendioxid, Feuchtigkeit und Gerüche in der Luft. Mit Hilfe dieser Informationen kann der Chip die Belüftung in Gebäuden so steuern, dass immer ein gesundes, leistungsförderndes Raumklima herrscht und zu keiner Zeit Energie verschwendet wird.

Die Gebäudetechniker des Münchner Elektromultis Siemens suchen seit Jahren nach einem solchen Multitalent. Doch bislang war es unmöglich, so ein Gerät zu einem vertretbaren Preis zu bauen.

Dank Fleischers Erfindergeist geht das jetzt. Und ganz nebenbei eröffnet die Innovation aus dem Hause Siemens dem Münchner Konzern und der gesamten Elektronikindustrie einen neuen Milliardenmarkt. Denn mit Sensoren ausgestattete Chips werden zukünftig nicht nur in Gebäuden eingesetzt. Sie werden schon bald auch Klimaanlagen in Autos steuern, Motoren aller Art verbessern und sogar schwere Krankheiten wie etwa Lungenkrebs frühzeitig erkennen.

Wie geht es nach der Krise weiter?

Es sind die vielen kleinen und großen Innovationen, die Deutschland zu einer führenden Industrienation gemacht haben: vom Fernsehen über das Auto bis zum Computer. Seit Jahrzehnten sind Innovationen die Basis für unseren Wohlstand und unser Wirtschaftswachstum. Doch wie gut sind wir für die Entwicklungen von morgen aufgestellt? Mit welchen Ideen bereiten sich die Unternehmen zum Beispiel auf die künftige Energieversorgung vor? Wie werden die Produkte von morgen hergestellt? Und wie sehen umweltverträgliche Autos aus?

Gerade in der Krise fragen sich viele: Wie geht es anschließend weiter? Um Antworten zu finden, haben Redakteure der WirtschaftsWoche führende Unternehmen und Forschungseinrichtungen besucht, Wissenschaftler befragt und mit dem Europäischen Patentamt nach den wichtigsten Innovatoren Deutschlands geforscht.

Ermutigendes Fazit

Das Ergebnis ist eine dreiteilige Serie über die innovativsten deutschen Unternehmen, die wichtigsten Zukunftstechniken und die Menschen hinter den Erfindungen. Zugleich zeigt die Patentstatistik, wie Deutschland im internationalen Technologiewettlauf abschneidet, welche Unternehmen die meisten europäischen Patente anmelden und in welchen Sektoren Deutschland Schwächen hat.

Das ermutigende Fazit: Zahlreiche Produkte mit enormem Marktpotenzial stehen unmittelbar vor der Markteinführung. Im Münchner Forschungszentrum etwa unterzieht Siemens-Forscher Fleischer seine neuen Sensorchips gerade letzten Härtetests. Spätestens nächsten Sommer sollen seine Gas-Sensoren einsatzbereit sein. „Der Markt schreit danach“, sagt der 48-Jährige. Fleischer möchte nicht allein für wissenschaftlichen Ruhm arbeiten, sondern etwas bewegen. „Deshalb bin ich in die Industrieforschung gegangen.“

Die Integration mehrerer Messfühler auf Siliziumchips bringt Entwickler und Unternehmen der ganzen Welt dem Ziel näher, technische Systeme intelligenter zu machen. Bislang konnten Sensoren nur jeweils einen Stoff erkennen. Fleischers Sensoren füttern Klimaanlagen und Maschinen mit einem ununterbrochenen Strom an Daten über ihre Umwelt, ähnlich wie die menschlichen Sinne das Gehirn mit Informationen versorgen. Rund 25 Euro sollen die Chips kosten. Wegen ihrer geringen Größe lassen sie sich leicht einbauen, zum Beispiel in Lichtschalter.

Für Siemens könnte die neue Sensorgeneration zum Hebel für eine Fülle neuer Geschäfte werden. Fleischers Augen blitzen auf, wenn er die Möglichkeiten referiert. Auf 80 Milliarden Euro schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) den Weltmarkt für Heizungs-, Lüftungs- und Klimaprodukte. Mit einer Regelungstechnik, die rund ein Viertel des Energieverbrauchs eines Gebäudes einsparen kann, hätten die Münchner in dem wachsenden Markt ein wichtiges Argument für ihren neuen Sensorchip.

Vielseitige Verwendung für die neuen Chips

Aber nicht nur in Büros, auch in Autos können die neuen Chips die Klimatisierung feiner steuern. „Das spart bis zu 0,3 Liter auf 100 Kilometer“, sagt Fleischer. Zudem würde wegen der zunehmenden Beimischung von Biokraftstoffen in den nächsten fünf Jahren ein Sensor gebraucht, der die genaue Zusammensetzung von Benzin und Diesel misst und die Verbrennung darauf abstimmt.

In Zukunft können die Chips sogar die Medizintechnik erobern: Fleischer denkt etwa an einen Sensor, der Lungenkrebs schon im Frühstadium anhand einer charakteristischen Konzentration verschiedener Kohlenwasserstoffe riechen kann. Schon weit fortgeschritten ist die Entwicklung eines Geräts, das die Atemluft von Asthmatikern analysiert und vor einem Anfall warnt. An einem Alkohol-Sensor, der beschwipste Autofahrer am Starten ihres Wagens hindert, haben Saab und Volvo bereits Interesse signalisiert.

Siemens: neue Projekte bereits in Planung

Siemens-Forscher Fleischer hat für seine Gas-Sensoren bereits 20 Patente angemeldet, 160 hält er insgesamt. Es sind tatendurstige Pioniere wie er, die Siemens 2008 zu den innovativsten Unternehmen Europas gemacht haben.

Und nimmt man den Münchner zum Maßstab, wird der Ideenfluss bei Siemens nicht abreißen. Zu Fleischers neuesten Projekten gehört ein Sensor, der explosive oder toxische Gase aus sicherer Entfernung per Laserstrahl aufspürt. Oder ein mit ‧lebendigen Zellen besiedelter Chip, der vor gefährlichen Verunreinigungen im Wasser warnt.

Am Ende, das ist für Fleischer klar, muss bei aller Experimentierfreude ein verkaufsfähiges Produkt stehen. „Nur dann ist eine Idee wirklich eine Innovation.“ 

In neuem Glanz

Siteco-Entwicklungschef Michael Härtl Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Leuchtdioden bieten spektakuläre Möglichkeiten, Straßen und Plätze Strom sparend zu beleuchten.

Michael Härtl kennt kein Erbarmen. Wochenlang setzt der Entwicklungschef des mittelständischen Beleuchtungsspezialisten Siteco aus Traunreut am Chiemsee Leuchtdioden (LED) und Elektronik härtesten Tests aus: Stöße, Staub, Kälte und Hitze – die neue Beleuchtungstechnik für Straßen, Plätze und Fußgängerzonen muss all das aushalten. Die Langlebigkeit ist eines der wichtigen Argumente, das Kommunen in ganz Europa davon überzeugen soll, ihre Straßenlaternen gegen die leuchtenden Halbleitermodule aus Bayern auszutauschen.

In Ampeln und Bremslichtern werden Leuchtdioden bereits massenhaft eingesetzt: Ingenieure haben die Lichtstärke weißer LEDs inzwischen so weit verbessert, dass sie ganze Straßen beleuchten können. Der neue Audi R8 zum Beispiel ist mit LED-Scheinwerfern ausgestattet.

Siteco: Umsatzsteigerung durch neue Technik

Der nächste große Markt für die LED-Lampen entsteht jetzt bei der Beleuchtung von öffentlichen Plätzen, Gebäuden, Stadien, Flughäfen und Straßen auf der ganzen Welt. „Da wollen wir die Vorreiter sein“, sagt Siteco-Vertriebsgeschäftsführer Klaus-Peter Siemssen. Siteco will seinen Umsatz bis 2013 von heute 219 Millionen auf 350 Millionen Euro steigern. Und die neue Technik soll kräftig dazu beitragen.

Die Chancen dafür stehen gut. Denn unter Architekten und Lichtdesignern gelten die Traunreuter Beleuchtungsspezialisten als erste Adresse. Derzeit rüsten sie vier Stadien in Südafrika für die Fußballweltmeisterschaft 2010 mit Scheinwerfern und Flutern aus. Und der internationale Flughafen Barajas in Madrid ist ebenso mit Siteco-Lichtsystemen ausgestattet wie der neue Formel-1-Kurs im Scheichtum Abu Dhabi.

Ersatz für alte Straßenlaternen

Der gute Ruf von Siteco soll nun der neuen Lichttechnik Türen öffnen. Auslöser des LED-Booms könnte jedoch vor allem eine EU-Verordnung sein, die alte Straßenlampen von 2015 an verbietet. Natrium-Hochdruck- und Halogen-Metalldampflampen, aber eben auch LED-Systeme sollen die antiquierten Quecksilberdampflampen und Leuchtstoffröhren ersetzen.

Die Modernisierung der Straßenbeleuchtung würde die Stromrechnung der Kommunen in Deutschland um jährlich 2,7 Milliarden Kilowattstunden oder umgerechnet 400 Millionen Euro entlasten. Das hat der Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie ausgerechnet. Experten des britischen Beraterhauses Data Point Research schätzen, dass LED-Lampen bis 2015 einen Marktanteil von fast 15 Prozent erobern werden, während der Verkauf konventioneller Beleuchtungstechnik stagniert.

Im Designzentrum des Unternehmens führt Entwicklungschef Härtl, 43, die Vorzüge der Leuchtdioden vor: Sie lassen sich so ausrichten und lenken, dass ihr Licht genau dort hinfällt, wo es gebraucht wird. Die Helligkeit der Straßenlaternen lässt sich stufenlos ans Tageslicht anpassen. Integrierte bunte Dioden setzen markante Farbakzente. In Tunneln oder an Straßen könnten sich die Lampen nachts nur dann anschalten, wenn Autos oder Fußgänger vorbeikommen. Die Entwicklung der dafür notwendigen Software und Elektronik ist die Stärke der Traunreuter und Grundlage der meisten Patente des Unternehmens.

LED-Leuchten haben langfristig Zukunft

Im Vergleich zu einer gleich starken Leuchtstoffröhre sind LEDs zwar noch um das 100-Fache teurer. Und auch die Steuerung kostet mehr. Doch langfristig sind LED-Leuchten billiger. Sie kommen gegenüber den besten konventionellen Beleuchtungssystemen mit der Hälfte der Energie aus und halten ungefähr doppelt so lange. Zudem müssen sie frühestens nach acht Jahren gewartet werden. „Bei den meisten Anwendungen sind die Mehrkosten nach spätestens vier Jahren wieder drin“, verspricht Härtl.

Eine erste LED-Leuchte haben die Bayern auf dem Markt: Speyer und Königsbrunn bei Augsburg haben sie bereits in Betrieb. Im Herbst bringt das Unternehmen einen Nachrüstsatz für bestehende Straßenlaternen zum Stückpreis von 700 bis 900 Euro heraus. Die positiven Ergebnisse eines Tests in einem Darmstädter Wohngebiet, durchgeführt von der Technischen Universität der Stadt, stimmen die Siteco-Manager optimistisch: Die Anwohner fanden das eher kalte LED-Licht durchaus angenehm, so Lichttechnik-Professor Tran Quoc Khanh. Seine Prognose: „Leuchtdioden sind die Lichttechnik der Zukunft.“ 

Acht mit Macht

Harald Naunheimer ist Chefingenieur des Autozulieferers ZF Friedrichshafen Quelle: Simon Koy für WirtschaftsWoche

ZF Friedrichshafen will Motoren mit einem achtgängigen Automatikgetriebe sparsamer machen.

Harald Naunheimer neigt nicht zu Provokationen. Aber wenn der Forschungsleiter des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen auf das neue Automatikgetriebe blickt, auf die zylinderförmige Meisterleistung deutscher Maschinenbaukunst, sagt er es doch: „Handschaltgetriebe für Autos sind technisch überholt, die Automatik ist einfach besser als der Mensch.“

Beweis dafür sei das neue Achtgang-Automatikgetriebe, das in der neuen Oberklasselimousine BMW 760 serienmäßig eingesetzt wird: Die neue Automatik verbraucht rund 15 Prozent weniger Benzin als die gängigen Fünfgang-Schaltungen, ist zudem deutlich komfortabler und dabei nicht größer als ihr Sechsgang-Vorgänger.

Neue Getriebe helfen Sprit sparen

Früher sollten Automatikgetriebe den Fahrer lediglich von den ewig gleichen Tätigkeiten wie Kuppeln und Gangwechseln befreien. Der bezahlte den Komfort dreifach: Die Automatik kostete Aufpreis, sprach zudem nur träge auf Pedalbewegungen an und verursachte mindestens zehn Prozent mehr Benzinverbrauch im Vergleich zur Handschaltung.

Moderne Automatikgetriebe dagegen könnten helfen, die Zukunft von Oberklasselimousinen zu sichern. Denn die werden, zumindest auf langen Strecken, noch eine ganze Weile mit Verbrennungsmotoren fahren müssen: Nur mit den herkömmlichen Antrieben schaffen die Fahrzeuge Strecken von mehr als 500 Kilometern. Batteriebetriebene Elektroautos machen spätestens nach 150 Kilometern schlapp. Doch die Verbrennungsmotoren müssen sparsamer werden, daran besteht kein Zweifel, und dabei können ihnen – neben kleineren Motoren, Turboaufladung und geringerem Gewicht – auch neue Getriebe, wie ZF sie entwickelt hat, helfen.

Langer Weg zum Achtgang-Automaten

Das war Forschungsleiter Naunheimer und seinen Kollegen schnell klar. Und so versuchten sie, die Automatikschaltung neu zu denken. Es reichte ihnen nicht, an ein Sechsgang-Getriebe einfach zwei Gänge dranzuhängen. Die dafür nötigen Zahn‧räder und Kupplungen brächten mehr Reibung und Verluste innerhalb der Schaltung.

Doch der Weg zu einer besseren Lösung war lang. Neben den technischen Hürden, galt es, zuerst die Bedenken der Autohersteller auszuräumen. „Als deren Ingenieure hörten, dass wir einen Achtgang-Automaten planen, winkten die erst mal ab“, sagt der 46-Jährige, der bis Ende Juni die Entwicklung der Automatikgetriebe bei ZF leitete.

Doch die ZF-Entwickler ließen nicht locker. Für ihr neues Getriebe meldeten sie 100 Patente an, das war rund ein Sechstel aller Patente, die ZF im Jahr 2008 registrieren ließ. Damit ist ZF im Bereich Antriebstechnik das innovativste Unternehmen Europas, wie die Statistiken des Europäischen Patentamtes belegen.

Damit die zwei zusätzlichen Gänge sich wirklich verbrauchsenkend auswirken können, „haben wir uns etwas Besonderes einfallen lassen“, glaubt Naunheimer: Bei dem neuen ZF-Getriebe sind pro Gang immer nur zwei statt mindestens vier Kupplungen offen, die den Gangwechsel ermöglichen. Das ist ein Vorteil, denn das Offenhalten der Kupplungen verbraucht durch vermehrte Reibung zusätzlich Treibstoff.

Vielseitige Verwendungsmöglichkeiten

Auch Entwicklungskosten spart das Getriebe, und zwar durch seinen flexiblen Aufbau: Es kann leicht so verändert werden, dass es nicht nur in Oberklassemodellen wie die 7er-Reihe von BMW passt, sondern demnächst auch in Sportwagen wie Maserati und Lamborghini sowie in Kompaktautos wie die 1er-Reihe von BMW eingesetzt werden kann.

Der Automat lässt sich ebenso in vierradgetriebene Geländewagen und in Hybridautos einbauen, die von Elektro- und Verbrennungsmotoren angetrieben werden. Selbst eine Start-Stopp-Automatik, die den Motor an der roten Ampel automatisch abschaltet und bei Grün wieder startet, lässt sich integrieren. Sie senkt den Spritverbrauch noch einmal um fünf Prozent.

Der Fahrspaß bleibt nicht auf der Strecke

Doch Sparen bei Sprit und Produktionskosten waren nicht Naunheimers einzige Ziele. Auch der Spaß am Fahren sollte zunehmen. Und das gelang den Entwicklern: Der ausgeklügelte Innenaufbau des Getriebes und die nicht weniger aufwendige Elektronik erzeugen seidenweiche und trotzdem schnelle Schaltvorgänge. „Wenn der Fahrer im achten Gang bummelt und dann das Gaspedal zum Beschleunigen durchtritt, schaltet der Automat in 300 Millisekunden in den zweiten Gang“, sagt Naunheimer. Für Naunheimer ist klar: Nur beinharte Traditionalisten können diesem Getriebe noch die Sportlichkeit absprechen.

Revolution per Zufall

Klemens Massonne ist BASF-Chemiker

Mit Flüssigsalzen lassen sich bessere Solarzellen, rostfreie Windanlagen und billigere Stoffe herstellen.

Wer ein Wasserstoffauto betanken will, muss sich bislang oft 20 Minuten und mehr gedulden. Brennstoffzellenfahrzeuge, die am Stuttgarter Flughafen aufgetankt werden, sind schon nach wenigen Minuten wieder startklar. Das ermöglicht eine neue Pumpe aus dem Hause Linde, die gasförmigen Wasserstoff mit einem Druck von 700 bar in die Tanks der Fahrzeuge presst. Das ist 350-mal mehr als der Druck in einem Autoreifen.

Bisher ließ sich solch ein Druck nur mit mehreren Pumpen erreichen, weil die beim Verdichten entstehende Wärme nicht schnell genug abgeführt werden konnte. Ihre spektakuläre Leistung verdankt die Linde-Pumpe einer neuartigen Flüssigkeit, die den Wasserstoff in einem Arbeitsgang auf den extrem hohen Druck verdichtet. Ihr Arbeitsmedium ist eine Salzmischung, die bei Zimmertemperatur flüssig ist und beinahe wundersame Eigenschaften hat: Sie brennt nicht, sie verdampft nicht, sie leitet elektrischen Strom, ist chemisch stabil und zudem ein exzellentes Lösungsmittel. In dieser Kombination ist das einmalig.

Deutschland wird am meisten profitieren

Experten nennen diese flüssigen Salze ionische Flüssigkeiten. Und sie sehen in dem neuen Material eine Art Plattformchemikalie, die unzählige Produktionsprozesse vereinfachen und verbilligen wird. Die flüssigen Salze ermöglichen zum Beispiel eine neue Generation von Solarzellen, salzwasserresistente Windgeneratoren auf hoher See, und sie vereinfachen sogar die Produktion des glänzenden Innenfutters von Jacketts.

Innerhalb von zehn Jahren könne der Umsatz mit ionischen Flüssigkeiten weltweit auf einige Milliarden Euro wachsen und Tausende Arbeitsplätze schaffen, heißt es in der Branche. Und Deutschland wird davon voraussichtlich am meisten profitieren. „Ionische Flüssigkeiten sind eine fast rein deutsche Angelegenheit“, sagt Klemens Massonne, der bei BASF in Ludwigshafen für die Weiterentwicklung dieser Chemikalie zuständig ist.

Mit Know-how auf die Spitzenposition

Ein Grund für die Spitzenposition in diesem Sektor ist das Know-how von Menschen wie Massonne. Vor 19 Jahren stieß der heute 48-jährige Chemiker zur BASF. Er entwickelte zunächst Fotoinitiatoren, die Lacken zugesetzt werden, damit diese unter ultraviolettem Licht blitzschnell trocknen. Als der Chemieriese in die Entwicklung von ionischen Flüssigkeiten einstieg, war Massonne gleich dabei: „Es gibt kein Gebiet, auf dem man so viel Neues lernt“, sagt er.

Die Idee, ionische Flüssigkeiten in der Industrie einzusetzen, entstand allerdings in den USA, und zwar durch einen Zufall. Eigentlich wollte der amerikanische Chemieprofessor Robin Rogers von der University of Alabama die rote Farbe aus Krabbenschalen mit Flüssigsalzen herauslösen. Doch die Schalen lösten sich auf.

Das brachte den Wissenschaftler auf die Idee, es mal mit Cellulose zu versuchen, einem beinahe unlöslichen Bestandteil von Pflanzen, aus dem unter anderem Papier hergestellt wird. Cellulose ist auch Ausgangsmaterial für eine Faser zum Weben glänzender Stoffe, Innenfutter von Jacketts zum Beispiel. Um das widerstandsfähige Material aufzulösen, sodass es zu Fäden versponnen werden kann, sind schwerste chemische Geschütze und Unmengen Wasser nötig. Aus zehn Tonnen Ausgangsmaterial entsteht nur eine einzige Tonne Viskose. Der Rest ist stark verunreinigtes Wasser.

Ersetzt man die Chemikalien durch eine ionische Flüssigkeit, sieht die Bilanz besser aus. Aus 1,6 Tonnen Einsatzmaterial entstehen eine Tonne Viskosefasern sowie 0,6 Tonnen Abfälle. Das Verfahren versucht BASF nun in alle Welt zu vermarkten.

Möglichkeiten für die Solarindustrie

Massonne präsentiert stolz eine dicke Papprolle, auf die eine kilometerlange Faser aufgewickelt ist. „Die Qualität ist vergleichbar mit der herkömmlich hergestellter Fasern“, versichert Massonne. Auch wenn es bisher noch keine industriellen Anwender gibt, ist er sicher: „Wir werden die Welt der Viskosefasern nachhaltig verändern.“

Auch Solarzellenentwickler sind von der neuen Flüssigkeit angetan: Zum Transport der von der Sonne erzeugten elektrischen Ladungsträger brauchen sogenannte Farbstoffsolarzellen einen Elektrolyten. Das ist bisher eine organische Flüssigkeit, die unter Licht- und Wärmeeinfluss schnell zerfällt. Die Folge: Der Wirkungsgrad sinkt schon nach wenigen Jahren.

Korrosionsresistent durch Supersalze

Das Unternehmen G24 Innovations aus dem walisischen Cardiff setzt statt organischer Flüssigkeiten bereits flüssige Salze aus Ludwigshafen ein, die gegenüber Licht und Wärme völlig unempfindlich sind. Die Waliser bauen die auf Kunststoff gedruckten und daher hochflexiblen Zellen bereits in Serie.

Die neuen Supersalze könnten auch ein Problem der Hersteller von Offshore-Windstromanlagen lösen. Alle Bauteile sind wegen des Kontakts mit Salzwasser von Rostfraß bedroht. Absolute Korrosionsfestigkeit bietet nur aluminiumbeschichteter Stahl. Der wurde bislang oft unter Einsatz von Chemikalien hergestellt, die sich selbst entzünden können. Ionische Flüssigkeiten funktionieren genauso gut, sie sind aber unbrennbar, sodass teure Sicherheitsvorkehrungen überflüssig sind.

Für Massonne hat sich der Kreis mittlerweile geschlossen. Fotoinitiatoren für die Lackindustrie, die Massonne am Anfang seiner BASF-Karriere entwickelte, stellt der Chemieriese am Rhein jetzt auch mithilfe von flüssigen Salzen her. Das spart die Hälfte der bisher benötigten Ausgangsstoffe ein. Abfälle gibt es praktisch nicht mehr. 

Die Lustgewinner

Neurobiologe Bernd Sommer Quelle: Simon Koy für WirtschaftsWoche

Der Pharmakonzern Boehringer will mit einem Medikament für Frauen an den Erfolg von Viagra anknüpfen.

Um den Unterschied zwischen der Sexualität von Mann und Frau zu illustrieren, greift der Neurobiologe Bernd Sommer auf das Vokabular eines Stereoanlagenverkäufers zurück: „Es gibt so vereinfachte Darstellungen. Die zeigen bei Männern einen einfachen Verstärker mit Ein-/Aus-Schalter und bei Frauen eine hochkomplexe Anlage.“

Sommer muss es wissen. Der 52-Jährige und sein Team haben für Deutschlands – nach Bayer – zweitgrößten Pharmahersteller Boehringer Ingelheim die Sexualität der Frau erforscht. Das Ergebnis ihrer Arbeit könnte ein weltweiter Kassenschlager werden, eine Art Viagra für die Frau.

Milliardengewinne scheinen realistisch

Flibanserin ist ein Mittel, das Frauen bei deutlich nachlassender sexueller Lust helfen soll. „Es geht nicht darum, ihnen eine neue Krankheit einzureden“, sagt Sommer. „Unsere Pille ist ein Angebot an Frauen, die stark unter ihrem verminderten sexuellen Verlangen leiden.“ „Etwa zehn Prozent aller Frauen vor den Wechseljahren leiden darunter“, sagt die Aachener Sexualwissenschaftlerin Ulrike Brandenburg – „manchmal auch dann, wenn die Beziehung stimmt.“

Entsprechend groß ist das Interesse an den neuen Pillen. Boehringer Ingelheim hat in den vergangenen Jahren etliche innovative Medikamente auf den Markt gebracht und arbeitet aktuell an einer Vielzahl neuer Präparate gegen Krebs, Diabetes und Schlaganfall. Laut Europäischem Patentamt hat kein anderes deutsches Unternehmen mehr Medizin-Patente angemeldet.

Die Lustpille für Frauen könnte bald das bekannteste Mittel des Konzerns aus dem rheinland-pfälzischen Ingelheim sein. Flibanserin hat das Potenzial, eine der wichtigsten Medizin-Innovationen made in Germany zu werden. Ein solches Medikament gibt es noch nicht; Milliardenumsätze scheinen realistisch. Zum Vergleich: Knapp zwei Milliarden Dollar hat Pfizer im Jahr 2008 mit Viagra erwirtschaftet.

Die Einnahmen werden aber frühestens ab 2010 fließen. Ende dieses Jahres will Boehringer die Ergebnisse der klinischen Studien präsentieren. Vor zwei Jahren begannen die klinischen Tests. In Zeitungsannoncen ließ Boehringer nach Frauen suchen, deren Lust auf Sexualität nachgelassen hat, die aber Lust genug hatten, das neue Präparat zu testen. Bisher sind die Forscher auf keine bedenklichen Nebenwirkungen gestoßen, nur erhöhte Müdigkeit fiel in manchen Studien auf. Ansonsten ist zu hören, die Ergebnisse seien vielversprechend.

Neurobiologe Sommer imitiert mit seinen Händen eine Waage: „Wir haben Hinweise, dass das neurochemische Gleichgewicht bei Frauen, die kaum noch Lust auf Sex haben, gestört ist“, sagt er. „Das wollen wir wieder ins Lot bringen.“ Flibanserin setzt mit seiner Wirkung im Gehirn an – in Regionen, die für die Entstehung von sexuellem Verlangen verantwortlich sind. Das Medikament reguliert dort die Konzentration bestimmter Botenstoffe – der Monoamine, die wiederum die für das Sexualempfinden nötige Balance zwischen erregenden und hemmenden Faktoren sicherstellen.

 

Langfristige Hilfe

„Anders als Viagra wirkt Flibanserin langfristig“, erklärt Sommer. „Flibanserin soll Botenstoffe im Gehirn beeinflussen, Viagra dagegen reguliert die Blutzufuhr“, sagt Boehringer-Konzernchef Andreas Barner. Während die Männerpille nach Stunden wirkt, braucht es bei Flibanserin Wochen. Flibanserin löse keine „überschwängliche, unwählerische Leidenschaft aus“, so Sommer, „es müssen schon die entsprechenden Reize vorhanden sein, um das normale Lustempfinden wiederherzustellen.“

An Scherze über seinen Namen hat sich Sommer inzwischen gewöhnt. „Sind Sie der Dr. Sommer aus der Bravo?“, hat ihn einmal ein Zollbeamter gefragt. Dabei ist Sommer gar kein Sexualmediziner. Er leitet bei Boehringer die Forschung an Krankheiten des Zentralen Nervensystems. Zu Flibanserin kam er, weil das Mittel zunächst gegen Depressionen entwickelt wurde. Doch dazu taugte die Substanz nicht.

Wenn Sommer im Freundeskreis von seiner Arbeit erzählt, ähneln sich die Reaktionen: „Erst schmunzeln sie, dann kommt eine zweideutige Bemerkung“, sagt er. „Und dann fragen sie intensiv nach.“

Dickschiffe auf Diät

Matthias Küsell ist Cheftechniker bei Bosch Quelle: Volker Schrank für WirtschaftsWoche

Mit einem neuen Hybridantrieb wollen Bosch-Entwickler große Geländewagen sparsamer machen.

Ein unscheinbares Gebäude in der schwäbischen Gemeinde Tamm, zehn Kilometer nördlich von Stuttgart. Es gibt keine Namensschilder an den Klingeln. Und die Tür zum Hybridzentrum des Automobilzulieferers Bosch öffnet sich nur, wenn man sich mit einem Code ausweist. Keine Frage: Die Bosch-Entwickler arbeiten an einem verschwiegenen Ort.

Der Grund für die Geheimniskrämerei ist der Arbeitsbereich von Matthias Küsell, dem Cheftechniker für Hybridantriebe und Elektroautos bei Bosch: Der 46-jährige Maschinenbauer arbeitet in einem hochmodernen Labor mit 400 Kollegen daran, den Entwicklungsrückstand der deutschen Automobilindustrie gegenüber japanischen Wettbewerber wieder wettzumachen.

Zahl der Autos mit Hybrid-Antrieb nimmt zu

Seit Jahren werden deutsche Hersteller mit sparsamen Hybridmodellen von japanischen Konkurrenten wie Honda, Toyota und Lexus vorgeführt. Mit einer völlig neuen Antriebseinheit will Bosch nun endlich die ersten deutschen Hybridautos mit Verbrennungs- und Elektromotor so zum Laufen bringen, dass sie auch rein elektrisch vorankommen. Im nächsten Jahr soll es dann so weit sein: Die Hybridversionen der Geländewagen Porsche Cayenne und VW Touareg gehen mit dem neuen Antrieb in Serie.

Experten des Autoherstellers Daimler schätzen, dass im Jahr 2015 bereits 15 Prozent der verkauften Autos mit einem Hybridantrieb unterwegs sein werden. In Deutschland hatten im vergangenen Jahr jedoch weniger als ein Prozent der zugelassenen Fahrzeuge einen solchen Antrieb. In den USA dagegen liegt der Anteil der Hybridautos bereits bei 2,5 Prozent – ein halbes Prozent über dem Marktanteil für Dieselautos.

Projekt mit Anspruch

Die deutsche Aufholjagd im Hybridmarkt ist ein Projekt mit großem Anspruch. Genau das Richtige für einen wie Küsell. Der Maschinenbauer, der seit 1989 bei Bosch arbeitet, hat Erfahrung mit schwierigen Aufgaben. Er löste die schier unüberwindliche Aufgabe, die Benzindirekteinspritzung sparsamer und abgasärmer als herkömmliche Verfahren zu machen. „Wichtig ist es, das richtige Team aus erfahrenen und jungen Leuten mit neuen Ideen zusammenzubekommen“, sagt Küsell.

Diese Ideen sind die Triebfeder für die Innovationskraft von Bosch. 1.425 Patente haben die Forscher des Unternehmens im vergangenen Jahr angemeldet, sieben pro Arbeitstag – so viel wie kein anderes Unternehmen im Fahrzeugbau.

Als Küsell für Bosch vor gut vier Jahren mit dem Projekt Hybrid startete, stand er gleich mehrfach unter Druck: durch Kunden, die an der Machbarkeit zweifelten, und durch die japanische Konkurrenz. Toyotas Nobelableger Lexus bot mit dem RX 400h bereits einen ersten Hybridgeländewagen an, der mit 272 PS einen Durchschnittsverbrauch von 8,1 Litern versprach. Für die Zweieinhalb-Tonnen-Ungetüme ein respektabler Wert. Auf der Autobahn jedoch, wo der Elektromotor ausgeschaltet ist, schluckte der Lexus deutlich mehr.

Bosch wollte besser sein. Küsell und sein Team hatten eine Idee, wie der Antrieb einfacher und billiger gebaut werden könnte: Während der Lexus neben dem Verbrennungs- gleich zwei Elektromotoren unter der Haube hat, wollte Küsell einen Elektromotor einsparen.

Der Parallel-Hybrid spart Geld und Sprit

Dieser Elektroantrieb mit einer zusätzlichen Kupplung zwischen Ottomotor und Automatikgetriebe soll gemeinsam mit dem Verbrennungsmotor den Antrieb bilden, weswegen die Ingenieure dieses Konzept Parallel-Hybrid tauften. Bei der japanischen Variante, dem sogenannten leistungsverzweigten Hybrid, dient ein Elektromotor dem Vortrieb, der zweite der Energierückgewinnung beim Bremsen. Übernimmt ein einziger Motor beide Aufgaben, spart das Gewicht und Geld. „Unser Parallel-Hybrid kostet ein Drittel weniger und spart rund ein viertel Sprit“, sagt Küsell.

Lange Zeit bereitete den Technikern vor allem die Kupplung Probleme. Sie sollte „bei Minus 20 Grad genauso ruckfrei arbeiten wie bei Wüstenhitze“, sagt Küsell. Damit das funktioniert, steuert jetzt eine komplexe Leistungselektronik die Antriebseinheit. Dieses Gehirn koordiniert mehr als 20.000 Daten, rund viermal so viel wie bei einem herkömmlichen Motor.

Geräuschfrei durchs Wohngebiet

Die Elektronik steuert auch das abgasfreie elektrische Fahren, das bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 45 Kilometer pro Stunde und auf einer Strecke von etwa zwei Kilometern möglich ist. Lange genug, um beispielsweise geräuschfrei aus dem Wohngebiet zu fahren. Schaltet sich der Ottomotor zu, entwickeln die Motoren im Cayenne oder im Touareg eine Gesamtleistung von 374 PS. Der Treibstoffdurst soll mit einem Durchschnittsverbrauch von weniger als neun Litern pro 100 Kilometer um ein Viertel niedriger ausfallen als beim herkömmlichen Benzinmotor. Das System kann zudem einfach an kleinere Autos angepasst werden.

So könnte sich die Verspätung der deutschen Hersteller beim Hybridantrieb im Vergleich zu Honda, Lexus und Toyota am Ende zum Vorteil wandeln, weil das Bosch-System preisgünstiger, leichter und sparsamer ist. Einst rieten die Asiaten den Deutschen höflich, die Komplexität dieser Technik nicht zu unterschätzen, nachdem Porsche ablehnte, die ganze Lexus-Plattform einzukaufen. „Ich glaube, wir sind besser“, sagt Küsell selbstbewusst.

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