Innovationspreis Die Sieger: Impfung gegen Krebs, innovative Handy-Chips und Dichtungen gegen Gifte

Die Sieger des Innovationspreises: Immatics entwickelt eine Impfung gegen Krebs, Infineon setzt auf einen innovativen Chip für Handys und Jungtec hält mit Dichtungen Gifte ab.

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Immatics: Impfung gegen Krebs

Immatics-Pioniere und -Manager Singh, Emmerich, Weinschenk, Quelle: Deniz Saylan für WirtschaftsWoche

Erfolg kann ganz schön lästig sein. Niels Emmerich und Harpreet Singh hatten im Rahmen ihrer Doktorarbeiten am Institut für Immunologie der Universität Tübingen einige besonders seltene und interessante Eiweiße isoliert. Bald waren diese sogenannten Proteasomen, die andere Eiweiße in kleine Bruchstücke – die Peptide – zerteilen können, weltweit bei Forschern gefragt; alle wollten Material von ihnen haben, um selbst mit diesen biologischen Eiweißhäckslern zu forschen.

Die beiden beklagten sich bei ihrem Chef, Professor Hans-Georg Rammensee: „Wir kommen kaum noch zu unserer eigenen Arbeit“, sagten sie. „Dann verkauft das Zeug doch und gründet ein Unternehmen“, riet der Schwabe Rammensee, der selbst aus einer Unternehmerfamilie stammt.

Aus für Tumorzellen

Emmerich und Singh griffen die Idee begeistert auf und gründeten im Jahr 2000 mit Unterstützung ihres Professors das Unternehmen Immatics Biotechnologies. Eine Zeit lang verschickten sie noch gegen Bezahlung Eiweiße an andere Forscher. Bald entwickelten sie aber etwas Neues: eine therapeutische Impfung, die Rückfälle bei Krebspatienten verhindert. Mit ihrer Idee kamen sie nun beim Innovationspreis der deutschen Wirtschaft in der Kategorie Startups auf den ersten Platz.

Der Trick bei der Krebsimpfung: Wie bei einer vorbeugenden Impfung gegen Grippe oder andere Krankheitserreger macht sie das Immunsystem aufmerksam auf den Feind. Ohne Impfung sind die körpereigenen Abwehrtruppen unfähig, die Gefahr zu erkennen, die von Tumorzellen ausgeht. Die entscheidende Technik steuerte Toni Weinschenk bei, den Singh und Emmerich aus der Arbeitsgruppe Rammensee zu Immatics geholt hatten. Weinschenk war es gelungen, einzelne Moleküle von der Oberfläche der Krebszellen abzulösen und sie in einem Massenspektrometer zu analysieren.

Anhand dieser Oberflächen-Moleküle – genau solcher Eiweiß-Bruchstücke, wie Emmerichs und Singhs Proteasomen sie herstellen – erkennt die körpereigene Immunabwehr normalerweise Eindringlinge wie Viren oder Bakterien und eliminiert sie. Nur bei Tumorzellen ist die Immunabwehr blind, weil ein bestimmtes zweites Signal fehlt, das sogenannte kostimulatorische Signal.

Die Idee der drei Forscher: Diese Erkennungsmoleküle, die auf den Tumorzellen sitzen und tumorassoziierte Peptide (kurz Tumap) heißen, abzupflücken und daraufhin zu untersuchen, welche charakteristisch sind für bestimmte Tumorarten. So fand das inzwischen auf über 60 Mitarbeiter angewachsene Immatics-Team allein beim Nierenzellkrebs zehn ganz typische Peptide. Diese bauten sie im Labor nach. Das ist viel günstiger als bisherige Krebstherapien, bei denen etwa Antikörper hergestellt werden. Die zehn Peptide mixten die Forscher zu einem Impfstoff.

Impf-Cocktail in die Haut gespritzt

Die krebstypischen Peptide allein würden allerdings nicht ausreichen, um die Immunabwehr zu aktivieren. Dazu mischten die Forscher noch einen Hilfsstoff in den Impf-Cocktail. Dieser Stoff bringt einige der Immunzellen dazu, das fehlende Signal selbst zu produzieren.

Die Impfung funktioniert so: Ein Patient, dessen Nierentumor erfolgreich entfernt wurde, erhält den Impf-Cocktail in die Haut gespritzt. Das Ziel: Die Immunabwehr soll auf mögliche noch im Körper verstreute Tumorzellen oder Ableger-Tumore, die Metastasen, gehetzt werden. In der Haut treffen Peptide und Hilfsstoff auf einen bestimmten Typ von Abwehrzellen, die dendritischen Zellen. Sie nehmen die Peptide auf und erzeugen das fehlende Signal.

Dann wandern sie in die Lymphknoten, wo sie eine zweite Gruppe von Immunzellen, die T-Zellen, aktivieren und in Killerzellen verwandeln. „Sie erhalten die Lizenz zum Töten“, wie Singh es ausdrückt. Jetzt machen sich Tausende von Killerzellen auf, um nach dem Peptid-Motiv, das sie tragen, zu suchen. Findet die Killerzelle eine Krebszelle im Körper, bringt sie diese um.

Tatsächlich konnte Immatics seit Beginn der Studien an Menschen im Jahr 2006 zeigen, dass diese Art der Impfung sehr effektiv ist und inoperable Tumore oder Metastasen schrumpfen lässt. Ganz ähnliche Ergebnisse erzielte eine Studie mit einem Impfstoff gegen Dickdarmkrebs, der aus 13 Peptiden besteht. Ein neuer Impfstoff gegen Hirntumore steht schon bereit, um am Menschen erprobt zu werden.

Grundsätzlich können sich Emmerich und Singh, die sich im vorigen Sommer mit Paul Higham einen erfahrenen Biotech-Manager als Vorstandsvorsitzenden an Bord holten, auch vorstellen, eines Tages eine vorbeugende Krebsimpfung auf der Grundlage der Tumorpeptide zu entwickeln. Es müsste eine Mischung sein, die alle wichtigen Erkennungssignale sämtlicher Tumorarten enthält. „Das ist Zukunftsmusik“, bremst Higham die Begeisterung. Ihm reichen zunächst die hervorragenden Ergebnisse der Tumap-Cocktails, und er hofft, mit einer solchen Impfung tatsächlich in etwa fünf Jahren auf dem Markt zu sein.

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