Intelligente Stromzähler Attacke im Sicherungskasten

Intelligente Stromzähler sollen beim Energiesparen helfen. Doch sie bieten auch Einfallstore für Hacker und Saboteure.

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Stromzähler

Bernhard Fenn weiß, wo in seinem Keller die Spione sitzen. Er geht voran, die Treppe hinab und öffnet den Sicherungskasten an der Wand. Der Blick fällt auf zwei Stromzähler: keine Drehscheibe mehr, kein roter Punkt, sondern Stromzähler der modernen Art. Der linke ist für die Elektroheizung, der rechte für alle anderen Geräte des Fennschen Haushalts.

Solche digitalen Zähler alleine sind nichts Besonderes mehr“, sagt Fenn, „davon sind inzwischen mehr als 30.000 in ganz Deutschland registriert“. Nein, das Besondere sind zwei schwarze Antennenstümpfe, knapp zehn Zentimeter lang, die über den Stromzählern in die Luft ragen. Alle paar Sekunden senden sie aus dem Leben der Fenns ein paar Details in eine ferne Zentrale: Ist die Waschmaschine angegangen? Hat jemand den Toaster eingeschaltet? Ist der Boiler in Sparstellung? Lässt der Durchlauferhitzer ein heißes Bad einlaufen? Das Leben der Fenns – als sekundengenau erfasstes Stromnutzungsprofil.

Nachfrage und Angebot optimieren

Der 43-jährige Ingenieur Fenn arbeitet bei einem Energieversorger namens HEAG Südhessische Energie in Darmstadt. Er gehört zu den Teilnehmern an einem Pilotversuch, der die Energieversorgung revolutionieren könnte: Web2Energy. In ein paar Jahren sollen sämtliche Stromzähler ihr zuständiges E-Werk auf dem Laufenden halten, wie viel Strom im Haushalt (oder Industriebetrieb) gerade verbraucht wird. Dann sollen alle E-Werke auch zurückfunken können, dass der Strom gerade reichlich fließt oder dass er knapp und teuer ist und wie es voraussichtlich in den nächsten Stunden aussieht. Vielleicht hat der Wetterbericht ja mehr Wind angekündigt? Fegt der erst über die Felder, setzt er die Flügel in Gang; und dann gibt es viel Strom.

Das Ziel solcher Versuche ist, die Stromnachfrage mit dem schwankenden Stromangebot aus erneuerbaren Quellen besser in Einklang zu bringen. Es gibt eine Menge elektrischer Geräte, die nicht sofort oder ständig laufen müssen, die man also nur bei reichlichem Stromangebot einschalten müsste: den Kompressor in der Kühltruhe zum Beispiel, den Heißwasserboiler, eine programmierbare Wasch- oder Spülmaschine, die irgendwann laufen kann.

Science-Fiction-Ökowelt

Seit Jahren fordern Energieexperten, dass sich der Stromverbrauch am laufenden Stromangebot ausrichten soll: Dann erst könne Ökostrom aus Wind und Sonne eine noch größere Rolle spielen als heute. Er fließt ja nicht kontinuierlich ins Netz, sondern im Takt mit den Launen des Wetters. Um die Vision zur Wirklichkeit zu machen, müssten Kraftwerke, Netzbetreiber, Stromzähler und Haushaltsgeräte über ein intelligentes Computernetz verbunden sein, ein smart grid . Die Elektrogeräte könnten dann untereinander und mit dem allwissenden Stromzähler aushandeln: Wann gehen sie sinnvollerweise in Betrieb?

Doch während das in den Ohren von Energieexperten und Netzbetreibern wie eine wunderschöne Science-Fiction-Ökowelt klingt, schlagen etliche Datenverarbeitungsexperten die Hände über dem Kopf zusammen. „Davor graut es mir ehrlich gesagt“, sagt Felix Freiling, ein Informatikprofessor an der Universität Mannheim, der Sicherheitsfragen rund um Computernetze erforscht. „Eine einzige Katastrophe“, urteilt auch der Technikexperte Sandro Gaycken von der Universität Stuttgart.

Ihr Albtraum: In den Pilotversuchen deutet wenig darauf hin, dass diese neuartigen Steuerungssysteme vor Hackern, Spionen und Saboteuren auch nur halbwegs sicher sein werden. „Wenn Sicherheitsfragen nicht von Beginn an eine große Rolle bei der Entwicklung spielen, wenn sie quasi später als add-on oben draufgesetzt werden, dann wird daraus meistens auch nichts“, befürchtet Sandro Gaycken. In den USA, wo schon Millionen intelligenter Stromzähler (smart meters) in den Haushalten installiert sind, interessieren sich Hacker brennend für die neue Technik. Auf ihrer jährlichen Generalversammlung, der Black Hat Convention in Las Vegas, gibt es seit Jahren passende Fortbildungsangebote. „So hacken Sie das smart grid“, hieß 2008 der Titel eines instruktiven Vortrages. Bei der Konferenz im Juli dieses Jahres stand eine praktische Frage im Mittelpunkt: „Gratis-Strom?“ Es folgte eine Präsentation voller Diagramme, Baupläne und praktischer Tipps.

Woher kommt der Strom? Die Quelle: APN

Der amerikanischen Sicherheitsfirma IOActive ist es schon gelungen, Viren und Computerwürmer auf neuartigen Stromzählern in den USA zum Einsatz zu bringen. „Unter Umständen können Hacker eines Tages die Lichter ausschalten“, warnt ihr Chef Joshua Pennell. Und das ist nur eine von mehreren Sorgen. Könnten Haushaltsvorstände mit technischem Know-how künftig ihre Stromabrechnungen fälschen oder die eigene Rechnung dem Nachbarn aufbrummen?

In Hackerkreisen freut man sich schon darauf, dass die smart grids bei den Netzbetreibern mit einer höchst wackligen Infrastruktur verbunden werden müssen. „Da gibt es so viele bekannte viele bekannte Lücken mit so vielen funktionierenden Angriffstechniken, dass man gar nicht viel Forschung betreiben muss“, sagt Jonathan Pollett von der Sicherheitsfirma Red Tiger Security in Houston. Hacker sollen schon in Stromnetze, Kraftwerke und andere wichtige Infrastruktureinrichtungen eingedrungen sein, um sie auszuspionieren oder gar um Sabotagetechniken auszuprobieren.

Als Reaktion erklärte die US-Regierung Anfang Juli, dass sie einen Schutzschild gegen solche Cyberattacken errichten wolle – um im Notfall sogar die USA komplett vom Internet abzutrennen. Vor wenigen Wochen erregte ein neuartiger Computerwurm namens Stuxnet viel Aufmerksamkeit in Technikerkreisen: Seine Schöpfer hatten ihn speziell dafür programmiert, Steuerungssysteme der Industrie zu verwunden.

„Das geht im Extremfall bis zu Doktor-No-Szenarien“, sagt der Stuttgarter Technikprofessor Gaycken. „Man könnte großflächig den Strom abschalten. Oder den Strom in vielen Haushalten in schneller Folge an- und ausschalten.“ So etwas könnte Systeme in den Kollaps treiben. Im Extremfall würden Staaten auf diese Weise erpressbar.

„Gefahrenszenarios sind nicht denkbar“

Herstellerfirmen wiegeln indes ab: Die Sorge sei reichlich übertrieben. Beim Elektrogerätehersteller Miele, der gerade ein System zur intelligenten Stromsteuerung vorstellte und passende Trockner und Waschmaschinen dazu, heißt es: „Gefahrenszenarios sind nicht denkbar.“ Die drahtlosen Funknetze der Benutzer seien geschützt. Das „Miele-Gateway“ benötige ein Passwort. „Es ist zum Beispiel nicht möglich, ein Gefriergerät zu deaktivieren oder ein Kochfeld anzustellen, da sicherheitsrelevante Funktionen über das Gateway nicht gesteuert werden können“, sagt ein Sprecher.

Doch andererseits überschlagen sich die Anbieter gerade mit neuen Ankündigungen. Große Energienetzbetreiber und winzige Ingenieurbüros, Innovatoren aus dem Silicon Valley wie althergebrachte Telekommunikationskonzerne wittern gute Geschäfte. Der Chef des Internetausrüsters Cisco meint, das smart grid werde zehn- bis hundertmal so groß wie das Internet. Der Industriekonzern ABB kooperiert mit der Deutschen Telekom, um ein smart grid zu bauen – was man bei der Telekom für „einen Milliardenmarkt“ hält. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little, der Softwarehersteller SAP – auch sie wollen mitverdienen am Internet der Energie.

Der Internetriese Google und der Softwarekonzern Microsoft vertreiben inzwischen schon selbst Programme zur Messung von Strom. Sie tun sich zunehmend mit Herstellern von smart meters und Steuerungsgeräten für das sogenannte intelligente Haus zusammen. Der Chiphersteller Intel vertreibt seit dem Frühjahr einen „drahtlosen Sensor, der jedes Gerät in Ihrem Haus anhand seines eindeutigen elektronischen Signals identifizieren kann“ – zur Messung und zur Steuerung des Verbrauchs.

Google, Nokia, General Electric, Intel und Hewlett-Packard gehörten zu einem Konsortium von 40 Unternehmen, die im April den US-Präsidenten zum Handeln aufforderten: Er solle doch bitte sicherstellen, dass jeder Haushalt im Land via Computer, Smartphone oder andere Geräte seinen Energieverbrauch „ablesen und managen“ könne.

Die Zahl der Möglichkeiten dürfte künftig explodieren – auch hierzulande, wo die Bundesregierung den Ausbau von smart grids vorantreibt. Im neuen Energiewirtschaftsgesetz steht, dass bei Neubauten und Renovierungen digitale Zähler eingesetzt werden müssen. Das ist eine Grundvoraussetzung, um überhaupt den Energieverbrauch von Sekunde zu Sekunde zu analysieren. Von 2011 an sollen alle Energieversorger mindestens einen Tarif anbieten, der mit der Tageszeit oder mit der Last steigt und fällt. Das wäre ein erster Schritt zur intelligenten Steuerung des Energieverbrauchs in Abhängigkeit vom erzeugten Strom.

Informatiker aber warnen: Wenn das alles so schnell geht, entstehen aus der Hektik Fehler. „Es kommt oft vor, dass eine Technik anfangs für einen eng umschriebenen Kreis von Funktionen gedacht war“, sagt Götz Schartner, ein Kenner der Hackerszene und Chef der Ludwigshafener Sicherheitsfirma 8com. „Dann aber werden die Dinge für völlig andere, zusätzliche Zwecke benutzt.“ Im Voraus und am grünen Tisch, sagt der Mannheimer Informatikprofessor Freiling, „könnte man den Umfang dieser Gefahren gar nicht analysieren“. Da würden nur Erfahrungswerte helfen. Um die zu sammeln, brauche man Zeit.

Übertriebene Panikmache

Und Bernhard Fenn, der Mann mit dem Pilotversuch im Keller? Er sagt: „Die Panikmache ist übertrieben.“ Wenn jemand Terror oder Sabotage verüben wolle, könne er wohl viel einfacher ein paar Leitmasten umsägen, als aufwendig über Computersysteme einzudringen. Und die Daten in seinem eigenen Keller? „Ja, wenn das jemand möchte, könnte man meine Messwerte vermutlich abhören, sie werden ja per Mobilfunk übertragen“, sagt Fenn. „Es ist ja im Augenblick noch eher eine Bastellösung. Aber was sollte man mit den Daten anfangen?“

Selbst der Optimist Fenn ist indes der Meinung, dass es eine Grenze geben muss. Die Stromunternehmen sollten sich um die Energielieferung und um die Fütterung der intelligenten Zähler kümmern – aber nicht auch noch um die Steuerung der Systeme im Haus. Umgekehrt sollten die Verbrauchsdaten der einzelnen Geräte nicht über den Stromzähler hinaus an die Elektrowerke gemeldet werden. „Allein schon aus Datenschutzgründen sollte man das trennen“, sagt Fenn. Der Austausch sei auch gar nicht nötig. Und zu gefährlich. „Ich habe Jungs, die können Energie liefern. Aber ich kann nicht im großen Stil datentechnische Probleme lösen oder Firewalls gegen Hacker installieren.“

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