Jungunternehmer Millionenimperium aus Müll

Der 29-jährige Tom Szaky sammelt tonnenweise Abfälle und fertigt daraus Produkte aller Art. In den USA hat ihn das zum Star gemacht. Nun will er in Deutschland starten.

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Terracycle-Gründer Tom Szaky

Jung, dynamisch und Multimillionär – da sitzt er in einer Hamburger Bar: Tom Szaky, geboren 1982 in Budapest, aufgewachsen in Kanada und heute Amerikas grüner Shootingstar: Aus dem Nichts hat er in zehn Jahren mithilfe von Müll ein beachtliches Imperium aufgebaut. Sein Unternehmen Terracycle sammelt Abfälle und lässt daraus neue Produkte entstehen. Zwei Milliarden Verpackungen hat Terracycle bereits in 15 Ländern gesammelt und zu Flugdrachen, Toilettensitzen oder Lautsprechern weiterverarbeitet. Diese Idee, mit der er in den USA bekannt geworden ist, will er nun auch nach Deutschland bringen.

Tom Szaky lässt sich entspannt auf einen Stuhl fallen, unrasiert wie oft. Neben ihm steht sein Rucksack, darin sein Laptop. Wie bei fast allen Meetings trägt er eine grüne Baseballkappe, dazu ein knallgrünes T-Shirt und darüber ein offenes Hemd. Durchschnittsklamotten für einen Durchschnittstypen, so scheint es. Doch Szaky ist alles andere als durchschnittlich.

Sechs Niederlagen bis zum Erfolg

Er ist Unternehmer durch und durch. Schon mit 14 Jahren gründet er eine Agentur für Web-Design. Drei Angestellte hatte er damals und gewann landesweite Design-Wettbewerbe in Kanada. Wirtschaftlich erfolgreich war er zunächst nicht.

Doch Szaky ist kein Typ, der aufgibt. Wenn er spricht, sprüht er vor Einfällen, seine braunen Augen funkeln. Eloquent, konzentriert und ohne jegliche Arroganz spricht er über sein Leben und seine Pläne. Er weiß, wie man Menschen begeistert. Dieses Wissen nutzt er, wo er kann.

Sechs seiner Gründungen scheitern. Erst als er 2001 an der Princeton University im US-Bundesstaat New Jersey mit einem Studienfreund das Startup Terracycle gründet, kommt der ersehnte Erfolg: Heute beschäftigt Terracycle mehr als 100 Mitarbeiter, 2010 machte das Unternehmen einen Gewinn von 150 000 Dollar. Ende 2011 will Szaky 20 Millionen Dollar umsetzen und in 20 Länder expandieren.

"Es ist großartig, dass ich Geld verdienen und gleichzeitig dem Planeten helfen kann", sagt er. "Geld verdienen ist für mich das Wichtigste. Daraus entsteht alles andere." Dieser Satz sagt viel aus über den grünen Pionier aus Amerika.

Kinder mit Capri-Sonne Getränken

Dabei ist sein Geschäftsmodell simpel: Haben sich Schulen, Vereine oder Privathaushalte auf der Terracycle-Web-Site registriert, können sie Abfälle wie Plastikflaschen, Schokoladenverpackungen, Chips- oder Trinktüten sowie Handys portofrei an Terracycle schicken. Ihnen wird dafür ein kleiner Geldbetrag gutgeschrieben und an eine gemeinnützige Organisation gespendet.

Den Müll vermittelt Terracycle an Unternehmen, die ihn zu Rohstoffen weiterverarbeiten, etwa indem sie Chipstüten pressen und daraus Einkaufstüten oder Parkbänke herstellen. Bezahlt wird der Transport und die Spende von Sponsoren, im Falle der Chipstüten ein Snackhersteller, der dafür das Terrcycle-Logo auf seine Verpackung drucken darf.

Zugleich arbeitet ein Team aus Wissenschaftlern und Designern an immer neuen Möglichkeiten, den Müll wiederzuverwerten und ihn in Grundstoffe für neue Produkte zu zerlegen – oder sie zur Grundlage für neue Designs zu machen: Dabei sind schon Jacken aus Capri-Sonne-Tüten entstanden und Kleider aus M&M-Verpackungen, die Unternehmen etwa für Marketingzwecke bestellen.

Grüne Recyclingsensation

In Deutschland hat der 29-Jährige mit dem Kugelschreiberhersteller Bic und der Marke Capri-Sonne erste Partner gefunden – nun müssen nur noch die Konsumenten mitspielen. Bislang sammeln in Deutschland laut Terracycle rund 8200 Konsumenten, darunter rund 60 Schulen, Unternehmen, Universitäten und Kindergärten. Nicht nur Radiosender und Weblogs berichten über die Aktion: Auch das Bundesumweltministerium wirbt dafür.

In den USA machen schon 12,5 Millionen Menschen mit und mehr als 60 Prozent aller Schulen. Zu den Partnern auf Unternehmensseite zählen Konsumgütergrößen wie Kraft, Mars und L’Oréal.

Für Amerikas Bürger, die vom Recycling bisher so viel verstanden wie ein Walfisch vom Stricken, ist Szakys Idee eine Sensation. In Deutschland hingegen wird das Konzept kritisch beäugt: "Es entsteht der Eindruck, dass die Förderung gemeinnütziger Ideen zu Werbezwecken missbraucht wird", meint Abfallwirtschaftler Klaus Wiemer vom Witzenhausen-Institut bei Kassel.

Leere Flaschen Quelle: AP

Zudem gibt es mit dem Grünen Punkt und dem Dualen System ein umfangreiches Recyclingkonzept. Doch damit will es Terracycle gar nicht aufnehmen. Szaky will in Deutschland eher Produkte wiederverwerten, die ansonsten verbrannt würden, weil sie vom Rest des Mülls schwer zu trennen sind – Plastikstifte zum Beispiel. Deshalb werde Terracycle in den nächsten sechs Monaten eine Kooperation mit dem Dualen System starten.

Neben dem Geldverdienen liebt Szaky es, sein nachhaltiges Image zu pflegen. Zwar ist er auch ein wenig stolz darauf, dass er im Jahr Abertausende Kilometer durch die Welt fliegt, um neue Kooperationen anzuleiern. Dafür betont er seine Sparsamkeit an anderer Stelle: Sein Lieblingsblazer sei zehn Jahre alt, und als Domizil besitze er lediglich ein bescheidenes Haus in der Nähe von Princeton.

Als ihn 2010 seine Frau mit allen Möbeln verlässt, erzählt er der englischen Zeitung "The Telegraph", dass er nur das Nötigste neu anschaffte. "Ich wollte keine Ikea-Möbel, die ich nach drei Jahren wieder wegschmeißen muss", sagte er, "sondern nur wenige Dinge, die auch halten." Selbst in seine Unternehmenszentrale in einer rauen Gegend von Trenton im US-Bundesstaat New Jersey investiert er nur in das Notwendigste, wie er sagt. Etwa in Solarmodule, um Strom zu sparen.

Mit Wurmmist zum Erfolg

Am Anfang der Geschichte von Terracycle ist allerdings der Wurm drin – und zwar im Wortsinne. Nach dem ersten BWL-Semester in Princeton besucht Szaky Freunde in Montreal. Fasziniert beobachtet er, wie deren Marihuana-Pflanzen dank der Ausscheidungen von Würmern, die Küchenreste gefressen hatten, prächtig gedeihen. "Ich habe sofort ans Geld gedacht, das man mit solch einem Dünger verdienen könnte", sagt er. Und schon wieder hat er eine Idee.

Er leiht sich 20 000 Dollar von Freunden und kauft eine Maschine, die massenweise Wurmmist produziert. Den will er anschließend in gebrauchte Flaschen füllen, und als Dünger verkaufen. Um seine Würmer zu füttern, überredet Szaky die Uni, ihm Küchenreste der Mensa zu überlassen und schaufelt das stinkende Zeug zehn Stunden pro Tag auf das Laufband in einer Garage. "Es war einer der schlechtesten Sommer meines Lebens", sagt er. "In diesem üblen Geruch zu arbeiten." Außerdem will zunächst niemand in seine Idee investieren.

Schild eines Walmart Einkaufszentrums Quelle: dapd

Der "Wormboy", wie Szaky in den USA genannt wird, mit Heißhunger nach "Wormpoop" schmeißt das Studium. Seine Eltern, die mit ihm 1987 von Ungarn nach Toronto ausgewandert sind, sind wenig begeistert. Sie halten es für dumm, eine angesehene Uni zu verlassen. Seine Geschäftsidee haben sie sowieso gehasst. Aber sie können ihn nicht stoppen.

Szaky arbeitet täglich bis zu 18 Stunden. Und das zahlt sich aus: 2004 nehmen der US-Einzelhändler Walmart und die US-Baumarktkette The Home Depot seinen Wurmdünger in ihr Programm auf. Kurz darauf steigt die Nachfrage, und schließlich gehen ihm die Flaschen aus. Daher bittet Szaky Schulen, ihm gebrauchte Flaschen zu schicken, und sucht Sponsoren, die den Transport finanzieren. Die Idee des gesponserten Sammelns ist geboren.

Eines Tages fragt ihn Seth Goldman, der Gründer des US-Getränkeherstellers Honest Tea, ob er nicht auch aus seinen gebrauchten Tee-Trinktüten Neues kreieren könne. Tom entwirft eine Tasche und Goldman ist begeistert. Als ihn daraufhin Dutzende weitere Konsumgüterfirmen beauftragen, aus ihren Verpackungen Neues zu schaffen, ändert Tom die Richtung und macht Terracycle, das bis dahin den Dünger herstellte, recycelte Flaschen sammelte und Taschen fertigte, zu einem Rohstoffvermittler.

Vom Internet ins Geschäft

Seitdem suchten er und seine Kollegen zwar weiterhin nach neuen Möglichkeiten der Wiederverwertung. Doch die Masse des Mülls vermitteln sie an Unternehmen, die ihn weiterverarbeiten – nach den Konzepten von Szaky.

Ende 2012 sollen von Terracycle entwickelte oder zertifizierte Recyclingprodukte wie Stiftehalter, Gießkannen oder Mülltonnen, die es bisher nur online zu kaufen gibt, auch bei den ersten deutschen Einzelhändlern zu haben sein. Stolz zieht Szaky ein Capri-Sonne-Mäppchen aus seinem Rucksack.

"Für die Umwelt wäre es die beste Lösung, wenn Menschen so wenige Produkte wie möglich erwerben würden", sagt er. "Aber das ist unrealistisch." Und weil Szaky dann kein Geld mehr verdienen könnte, würde er das auch nicht wirklich wollen.

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