Kernenergie Atommülllager Asse wird zum strahlenden Grab

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Asse Grafik

Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass nicht der Platz das entscheidende Problem ist. Königs Strahlenschützern läuft schlicht die Zeit davon. Selbst wenn noch zehn Jahre bis zum Einsturz blieben, die Bergung sofort beginnen und die Fachleute rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche arbeiten würden: Pro Fass blieben den Experten trotzdem gerade einmal unrealistische 40 Minuten, um vor dem Einsturz fertig zu werden.

In dieser Zeit müsste jeder Behälter von einem ferngesteuerten Fahrzeug mit Greifarm gepackt und zu einer sogenannten Konditionierungsanlage gefahren werden, die zunächst in 700 Meter Tiefe errichtet werden müsste. Dort würde der Behälter zerkleinert und samt Inhalt mit gewaltigem Druck zu einem kompakten Paket gepresst.

Endstation sind doppelwandige strahlensichere Behälter, wie sie jetzt schon in den oberirdischen Zwischenlagern stehen. Ist der Container voll, werden die Zwischenräume mit Beton ausgegossen. Schließlich bekommt das Paket einen luftdicht abschließenden Deckel. Erst wenn eine abschließende Messung ergibt, dass der Behälter keine Strahlung abgibt, ist er bereit für den Transport zum Förderkorb.

Zweifel an der Belastbarkeit

Der aber kann wegen seiner geringen Tragfähigkeit allenfalls zwei Fässer gleichzeitig ans Tageslicht befördern. Zudem ist zweifelhaft, ob die Anlage noch Zehntausende Seilfahrten übersteht. Sie ist mehr als 30 Jahre alt. Und schließlich sausen nicht nur Förderkorb und Gegengewicht durch den Schacht: Er transportiert auch Luft in die Tiefen des Bergwerks und nimmt sämtliche Versorgungsleitungen auf. Sicherheitsexperten wie Klaus-Jürgen Brammer von der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) in Essen warnen deshalb: „So eine Ein-Schacht-Anlage wäre heute aus Sicherheitsgründen nicht mehr genehmigungsfähig.“

Angesichts der Zeitnot und der technischen Risiken trauert der Entsorgungsexperte Brammer daher den verpassten Chancen der Vergangenheit nach: „Man hätte die Anlage schon in den Achtzigerjahren stilllegen und verfüllen sollen.“ Genau das – Option drei in den BfS-Konzepten – hält der Essener Experte angesichts der aktuellen Probleme für den einzig sinnvollen Ansatz zur Sanierung der Asse und zur Sicherung des dort lagernden Strahlenmülls: Die Abfälle sollen bleiben, wo sie sind – und dort sicher eingeschlossen werden, dass sie für Tausende von Jahren von der Umwelt abgeschottet bleiben. Ob das allerdings überhaupt möglich ist, will inzwischen nicht einmal mehr die Atomlobby versprechen.

Bisher ist das Verfüllen der Asse nur Inhalt eines Notfallplans des BfS, der kurzfristig realisiert werden soll, falls es größere Wassereinbrüche gibt und akute Einsturzgefahr droht. Dann sollen – bei der sogenannten „geordneten Verfüllung“ – die Müllberge mit Sorel-Beton, der keine radioaktiven Strahlen durchlässt, vollständig bedeckt werden. Ein Teil der verbleibenden Hohlräume könnte mit Salz verfüllt werden. Schon jetzt hat das BfS mehr als zwei Millionen Tonnen von einer Halde bei Hannover in die oberhalb der Atommülllagerstätten entstandenen Hohlräume pressen lassen.

Paradoxer Plan

Um die verbleibenden Löcher zu stopfen haben die Wissenschaftler den vermeintlich paradoxen Plan entwickelt, die Anlage ausgerechnet mit Wasser zu fluten. Darin allerdings sollen Natrium-, Kalium- und Magnesiumchlorid bis zur Sättigungsgrenze gelöst sein, jene Salzarten, die in der Asse von Natur aus vorkommen. Sinn der Sache: Derart angereichert kann die Lake kein zusätzliches Salz lösen. Das strahlende Grab wäre abgeschottet – und zwar dichter und dauerhafter, als das mit Beton allein möglich wäre. Der nämlich verliert mit der Zeit an Festigkeit.

Das aber wäre fatal. Immerhin enthält ein Teil von ihnen extrem langlebiges strahlendes Material. Besonders heikel sind bis zu 28 Kilogramm Plutonium sowie Uran. Beides stammt vor allem aus der inzwischen weitgehend abgebauten Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK), in der aus verbrauchten Reaktorbrennelementen die Wertstoffe Uran und Plutonium zurückgewonnen wurden.

Und die lagern – trotz des von ihnen ausgehenden Risikos – geradezu sträflich ungeschützt. So sicher waren sich die -wissenschaftlichen und politischen Väter der Asse, dass das Salz den Müll dauerhaft von der Oberfläche abschotten würde,dass sie mit Plutonium und Uran kontaminierten Müll, vor allem Filtermaterial, ohne Abschirmung in einfachen Behältern einlagerten. Die Filter sorgten dafür, dass die WAK keine radioaktiven Partikel an die Umwelt abgab.

Dass das Bergwerk irgendwann „absaufen“ würde, wie es im Fachjargon heißt, war den Verantwortlichen wohl schon vor gut 30 Jahren klar. Nur hofften sie, dass dabei kein radioaktiver Abfall aus gut 700 Meter Tiefe an die Oberfläche gespült werde und das Salz als Abschirmung schon reiche.

Heute ist man da schlauer. Was die Experten allerdings in 30 Jahren von der Lagerung in Beton und Salzwasser halten werden, ist noch völlig offen.

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