Kernenergie Wie die Atomindustrie Jobs in Deutschland schafft

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Siemens dagegen sucht sein Heil im Osten. Der gesamte Vorstand war vor zehn Tagen in Russland, um die geeigneten Partner für Atomkraftwerke zu erkunden. Gleichzeitig handeln die Siemens-Manager mit der alten Areva-Partnerin Lauvergeon aus, welche Wettbewerbsklauseln sie nach dem Verkauf ihres Areva-Pakets akzeptieren müssen. Am liebsten würde Madame Lauvergeon den Münchnern natürlich ganz verbieten, wenigstens acht Jahre lang Areva Konkurrenz zu machen. Eine solche Ausschlussklausel „würde heute allein aus EU-Wettbewerbsgründen vor keinem Gericht Bestand haben“, glaubt allerdings ein Siemens-Mann.

Siemens wird Sublieferant im Atomgeschäft – für konventionelle Kraftwerkstechnik wie etwa Turbinen. Das allein sei schon lukrativ, betont Siemens nimmermüde, schließlich stehe die Kraftwerks-Leittechnik für ein Drittel der gesamten Wertschöpfung beim Bau eines Atomkraftwerks. Siemens wirft deshalb ein Auge auf die drei verbleibenden Reaktorbauer neben Areva: die beiden amerikanisch-japanischen Bündnisse General Electric/Hitachi und Toshiba/Westinghaus sowie den russische Konzern Atomenergoprom. Zwar läuft die Produktion der Generatoren und der Leittechnik von Siemens für Kernkraftwerke zurzeit unter dem Dach von Areva in Deutschland. Doch die Produkte für die Atommeiler sind grundsätzlich nicht anders als für konventionelle Kraftwerke. Siemens könnte also technisch anknüpfen und schnell die Produktion einer eigenen Leittechnik aufziehen. Sollte es zu einer Zusammenarbeit mit dem russischen Reaktorbauer Atomenergomasch kommen, dürfte die Siemens-Leittechnik zum Zug kommen.

Allerdings ist dieser Schritt im Aufsichtsrat umstritten. „Muss sich Siemens mit seiner Kompetenz bei Kraftwerkskomponenten überhaupt an einen der Kernkraftanbieter binden?“, fragt ein Siemens-Aufsichtsrat von der Arbeitnehmerseite. „Bei diesen grundsätzlichen Fragen der Positionierung von Siemens im Kernenergiegeschäft besteht im Aufsichtsrat noch Diskussionsbedarf.“

Kleine Perlen im deutschen Atomgeschäft

Während Siemens und Areva um das große Geschäfts buhlen, gibt es in Deutschland auch kleinere Perlen, die im politisch ungeliebten Atomgeschäft mitmischen. Zu ihnen zählt zum Beispiel die deutsch-niederländisch-britische Firmengruppe Urenco im westfälischen Gronau. Dort wird der Rohstoff für die Brennelementeherstellung produziert, angereichertes Uran. Urenco setzte 2007 gut eine Milliarde Euro um. Von der Atomkraft profitiert auch die Firma Siempelkamp in Krefeld. Von ihr stammen zum Beispiel die bis zu 160 Tonnen schweren Castor-Behälter, in denen verbrauchte Brennelemente transportiert und gelagert werden. Aber auch das Kühlungssystem, das beim Schmelzen des Reaktorkerns im European Pressurize Reactor (EPR) verhindern soll, dass sich die glühende Metallmasse in den Untergrund bohrt, kommt von den Niederrheinern. Der EPR wurde von Siemens und der französischen Nuklearfirma Framatome entwickelt, einer Vorläuferfirma von Areva. Die ersten beiden EPR-Anlagen sind in Finnland und Frankreich im Bau.

Partner von Siempelkamp auf diesem Feld ist das Würzburger Unternehmen Babcock Noell. Die Franken machen besonders gute Geschäfte mit der Stilllegung kerntechnischer Anlagen. So war das Unternehmen am Abriss des Kernkraftwerks Großwelzheim beteiligt. Beim Kernkraftwerk Stade, das als Erstes dem deutschen Atomausstieg zum Opfer fiel, durfte Babcock Noell das Ende nur planen. Den eigentlichen Abbau besorgt Areva.

Die exotischste Atomware made in Germany stellt SGL in Wiesbaden her: Brennelemente für einen Hochtemperaturreaktor (HTR), der nach deutschem Vorbild in Südafrika errichtet wird. Der HTR wurde an der damaligen Kernforschungsanlage (heute Forschungszentrum) Jülich entwickelt. Der erste Großreaktor, der mit dieser Technik gebaut wurde, der THTR 300 im westfälischen Hamm-Uentrop, lief nur wenige Jahre. Seit einer Panne im Jahr 1989 ist er außer Betrieb. Der erste HTR in Jülich hatte 21 Jahre lang bis 1988 Strom produziert. Derzeit wird er von Experten der Energiewerke Nord (EWN) in Lubmin bei Greifswald abgerissen. EWN gehört bei der Entsorgung von kerntechnischen Anlagen zu den größten und erfahrensten deutschen Unternehmen. Die Ostdeutschen rissen das erste DDR-Kernkraftwerk Rheinsberg und fünf größere Blöcke ab, die bis zum Ende der DDR in Lubmin Strom erzeugten. Außerdem entsorgten sie die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe und mehr als 100 sowjetische Atom-U-Boote.

Eine Wende bringt es für die Spezialisten in der hiesigen Atomenergie, wenn die Endlagerung der strahlenden Abfälle im dafür diskutierten Salzstock im niedersächsischen Gorleben entschieden würde. Heute werden verbrauchte Brennelemente in Castorbehälter gepackt und in Hallen gelagert, die jedem Kernkraftwerk angeschlossen sind. In den Zwischenlagern in Gorleben und Ahaus lagern Castorbehälter mit strahlenden Abfällen aus den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague in Frankreich und Sellafield in Großbritannien.

Käme das Endlager, müssten die Brennelemente zerschnitten und in strahlendichte Behälter umgefüllt werden. Die 400 Millionen Euro teure Pilot-Anlage dafür wartet seit mehr als acht Jahren in Gorleben auf den Start. Sollte es nach der Bundestagswahl im Herbst zum Ausstieg aus dem Atomkraftausstieg in Deutschland kommen, wird bei Areva in Erlangen vermutlich eine Flasche Champagner geöffnet. Denn dann dürfte die Atomtechnik nach den Träumen ihrer Befürworter in Deutschland wieder hoffähig werden. Bis dahin hält es Areva-Deutschland-Chef Gräber für einen Standortvorteil, dass seine radiochemischen Labors, die Brennstäbeproduktion und die nuklearen Teststände, in der Öffentlichkeit und bei den Atomgegnern kaum bekannt sind und ungestört und profitabel wachsen können. „Manchmal glaube ich, der Umweltminister weiß gar nichts von unserer Existenz, der Wirtschaftsminister schon.“

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