Langstreckenflugzeuge Airbus vs. Boeing: Duell am Himmel

Die Langstreckenflieger Airbus A350 und Boeing 787 bieten den Passagieren einen nie gekannten Komfort. Ein Vergleich der beiden neuen Superflugzeuge und ihrer Marktaussichten.

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Ein Computerbild zeigt einen Quelle: dpa

Steven Udvar-Hazy, der mit einem Vermögen von gut vier Milliarden Dollar zu den Hundert reichsten Amerikanern gehört, residiert in einem Hochhaus nahe der Avenue of the Stars in Los Angeles. Der gebürtige Ungar mit dem markanten Oberlippenbart entscheidet über das Schicksal neuer Flugzeugmodelle. Denn der 62-jährige Chef der weltgrößten Leasingfirma für Flugzeuge, ILFC, kauft jedes Jahr rund 50 Maschinen – weit mehr als jeder andere Investor. Der Wert der Bestellung in gegenwärtigen Preisen: mehr als zehn Milliarden Dollar.

Wenn ihr wichtigster Kunde Kritik übt, dann können die großen Flugzeugbauer Airbus und Boeing nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. So war es auch vor zwei Jahren, als Udvar-Hazy die Erstkonstruktion des Airbus-Langstreckenjets A350 „unzureichend“ nannte. Der europäische Luftfahrtriese verstand den Wink, entwarf eine neue Version – und stellte Udvar-Hazy zufrieden: „Nun wird sich Boeing mit seinem neuen Langstreckenflugzeug 787 anstrengen müssen, um konkurrenzfähig zu sein.“ Airbus jedenfalls hat den Durchbruch geschafft. Der A350 wird bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin, die kommende Woche beginnt, im Mittelpunkt stehen. Der Vorstand rechnet mit zahlreichen neuen Bestellungen.

Künftige Passagiere der neuen Langstreckenjets können sich freuen, denn ihnen beschert das verbissene Duell am Himmel einen erheblich verbesserten Komfort. Bisher schränkten winzige Fenster, zu kleine Gepäckfächer, zu trockene Luft, hoher Luftdruck und ein lauter Geräuschpegel das Flugvergnügen ein: Das ändert sich mit der neuen Generation der Superflieger. Auch die Fluglinienmanager sind zufrieden: Ein bis zu 20 Prozent niedrigerer Kerosinverbrauch senkt die Betriebskosten der Maschinen deutlich.

Besonders Airbus kann die guten Nachrichten gebrauchen. Der europäische Luftfahrtriese, dem die Kosten davonlaufen, steckt in der Krise. Schuld sind ständige politische Querelen vor allem zwischen den deutschen und französischen Anteilseignern, die eine effiziente und marktgerechte Organisation erschweren. Mehr noch machen die immer neuen Auslieferverzögerungen beim Superjumbo A380 und dem Militärtransporter A400M dem Unternehmen zu schaffen, für die es seine Kunden kräftig entschädigen muss. Zugleich brechen die Einnahmen ein, denn Airbus verkauft seine Maschinen in Dollar, dessen Wert an den Devisenmärkten in den vergangenen Monaten rapide gefallen ist.

Mit der A350 meldet sich der Konzern im wichtigsten Segment des Flugmarkts zurück. Drei Versionen werden angeboten: In die kleinste passen 270, in die größte 350 Passagiere. Boeings 787 ist kleiner und bietet Platz für 210 bis 290 Fluggäste. Die Jets konkurrieren in der Klasse der mittelgroßen Langstreckenmaschinen mit einer Reichweite von rund 15.000 Kilometern. Hier erwarten Boeing und Airbus innerhalb der nächsten 20 Jahre fast 1000 Milliarden Euro Umsatz – fast so viel, wie mit den Kurzstreckenjets Airbus A320, Boeing 737 und den Großraumfliegern A380 oder Boeings Jumbojet 747 zusammen.

Lange hatte es den Anschein, als habe Airbus der „Dreamliner“ genannten 787 nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Die trumpfte gleich mit einer Reihe revolutionärer Neuerungen auf, zum Beispiel einem Rumpf aus Kunststoff und sparsamen Triebwerken. Boeing versprach rund 20 Prozent niedrigere Betriebskosten im Vergleich zu heutigen Maschinen. Die erste Version des A350 konnte da nicht mithalten. Mit zusätzlichen zehn Milliarden Euro für deren gründliche Überarbeitung ist es Airbus jedoch gelungen, das Blatt zu wenden. „Die Maschine verkauft sich praktisch von selbst“, behauptet jedenfalls Alan Pardoe, Produkt-Marketingchef der Airbus-Langstreckenflotte.

Tatsächlich lagen Ende April, 17 Monate nach dem offiziellen Verkaufsstart, schon 362 Bestellungen von 22 verschiedenen Kunden vor. Boeing hat seine 787 zwar schon 892-mal verkauft – die Amerikaner hatten dafür aber mehr als fünf Jahre Zeit. Pardoe ist denn auch zuversichtlich, die Amerikaner bald einzuholen.

In die aktuelle A350 sind die neuesten Erkenntnisse aus der Triebwerkstechnologie und bei Fertigungsverfahren eingeflossen. Sie lassen Boeings vor fünf Jahren vorgestellte 787 schon fast wieder alt aussehen. „Das ist ein wirklich starkes Flugzeug“, lobt der Einkäufer einer großen europäischen Fluglinie. „Beim Passagierkomfort ist die A350 dem Boeing-Angebot zumindest ebenbürtig, beim Verbrauch liegt Airbus leicht vorn und bei der Auslieferung wird es diesmal hoffentlich nicht zu Verspätungen kommen“, sagt der Mann, der ungenannt bleiben will, weil sich die Fluggesellschaft offiziell noch nicht für eines der Konkurrenzmodelle entschieden hat.

Komfortabler, leiser, sparsamer

Zu den Gewinnern zählt Tim Clark vor allem die Fluggäste. „Auf ihre Bedürfnisse sind die Hersteller früher viel zu wenig eingegangen“, kritisiert der Chef der Fluglinie Emirates aus Dubai, die mit 70 Fliegern zu den Großabnehmern der A350 gehört. So bieten beide Maschinen einen Luftdruck an Bord in 12.000 Meter Reisehöhe entsprechend der Verhältnisse auf einem 1800 Meter hohen Berg bei Windstille. In heutigen Boeing-Maschinen herrschen Bedingungen wie bei einer Höhe von rund 2400 Meter, in moderne Airbussen wie auf gut 2000 Meter.

Die Luftfeuchtigkeit soll bis zu 20 Prozent betragen – üblich sind heute etwa fünf Prozent. Das werden die Feinschmecker genießen. Denn ist die Luft zu trocken, schmecken Wein, Putenbrust und Käse schnell fad. Die feuchtere Luft schont zudem die Schleimhäute.

Der höhere Anteil von Verbundwerkstoffen aus vielen Lagen hauchdünner Leichtmetallfolien und Kohlenstofffasern ermöglicht das angenehmere Bordklima. Sie machen den Rumpf nicht nur leichter, sondern schützen ihn auch gegen Korrosion durch die Luftfeuchtigkeit. Zudem halten sie den gewaltigen Drücken und Druckunterschieden, die in großen Höhen auf der Außenhaut eines Fliegers lasten, besser stand als Aluminium. Der Anteil der Verbundwerkstoffe liegt bei der A350 mit 53 Prozent leicht über dem der 787, die auf etwas mehr als 50 Prozent kommt. Besonders beanspruchte Teile wie Triebwerksaufhängungen oder das Fahrwerk werden allerdings auf absehbare Zeit weiter aus Metallen wie Titan oder Stahl gefertigt. Der Grund: Sie halten besonders ungleichmäßige Zugkräfte besser aus, die etwa bei heftigen Stürmen oder der Landung entstehen.

Freuen dürfen sich die Passagiere auf Flüstertriebwerke und leisere Klimaanlagen. Die Hintergrundgeräusche während des Flugs werden, so die Erwartung der Ingenieure, um mindestens ein Drittel niedriger sein als in heutigen Maschinen. Breitere Rümpfe vermitteln ein großzügigeres Raumgefühl. Ihre ovale Form bringt rund zehn Zentimeter mehr Kopffreiheit und erlaubt den Einbau größerer Gepäckfächer. Teile der Küche und der Toiletten verschwinden entweder im Untergeschoss, die Schlafplätze der Besatzung im bislang nicht genutzten Raum oberhalb der Kabine. Das schafft Platz für zusätzliche Sitzreihen, mehr Beinfreiheit oder neue Angebote wie einer Bar in der Business Class.

Die Fenster sind doppelt so groß wie heute und lassen sich elektronisch verdunkeln. Zu den Optionen gehört ein künstlicher Sternenhimmel an Bord – er soll nachts das Einschlafen erleichtern – sowie ein orangefarbenes Licht, das die Passagiere vor der Landung sanft weckt. Die Leuchtdioden für das Wohlfühlambiente liefert Diehl Aerospace aus Nürnberg.

Zum angenehmen Flug trägt bei, dass die Maschinen dank des stabileren Rumpfes aus Kunststoff eine größere Reisehöhe erreichen und dadurch viele Turbulenzen überfliegen. Ein neues Steuerungssystem mindert zudem Schlingerbewegungen während des Flugs auf ein Zehntel der heutigen Werte. „Wer einmal mit der A350 oder der 787 geflogen ist, wird nur ungern in eine andere Maschine einsteigen“, glaubt Montie Brewer, Chef der Air Canada.

Boeing hat für jedes Modell der 787 eine spezielle Flügelform entwickelt, die den Luftwiderstand minimiert und so den Kerosinverbrauch reduziert. Airbus dagegen liefert alle Versionen der A350 mit dem gleichen, charakteristisch stark gekrümmten Flügel aus. Zwar erhöht der Verzicht auf eine angepasste Form geringfügig den Treibstoffbedarf, dafür müssen die Fluglinien weniger unterschiedliche Ersatzteile vorrätig halten und die Wartungskosten sinken. Weiterer Vorteil der Airbus-Lösung: Weil nun fast das ganze Flugbenzin in den Flügel passt, muss während des Flugs nicht mehr aufwendig wie bisher das Kerosin zwischen Flügel und den Tanks im Rumpf hin und her gepumpt werden, damit das Flugzeug immer optimal im Wind liegt.

Sollte die A350 tatsächlich so erfolgreich sein, wie es sich abzeichnet, könnte das Ergebnis Airbus freilich in neue Turbulenzen bringen. Hauptproblem ist die immer dünner werdende Personaldecke. 3000 von 57.000 Beschäftigten im Konzern arbeiten gegenwärtig an dem Langstreckenflieger. Der Kern besteht aus einer Gruppe von gut 800 Spezialisten, die in zwei benachbarten Häusern direkt in der Konzernzentrale in Toulouse sitzen. Um den geplanten Erstflug 2012 nicht zu gefährden – Boeings Dreamliner soll nach mehreren Verspätungen Ende dieses Jahres erstmals abheben –, bräuchte Airbus deutlich mehr Personal. Aber immer noch arbeiten mehrere Hundert Ingenieure und Techniker am A380, obwohl sie sich längst um die Entwicklung des A350 kümmern sollten. Das Problem verschärft sich zudem: Vor wenigen Tagen musste Airbus einräumen, dass sie von dem größten Flieger der Welt 2010 statt der geplanten 45 Maschinen nur zwischen 30 und 40 Flieger ausliefern können. Neueinstellungen sind keine Abhilfe. „Der Markt für qualifizierte Ingenieure ist praktisch leer gefegt“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Airbus-Manager Pardoe glaubt dennoch an einen pünktlichen Start. „Wir werden alles tun, den Termin zu halten – und wir werden es schaffen.“

Wenn alles gut läuft, will Airbus die A350-Familie in etwa zehn Jahren noch erweitern. Ab 2018 könnten eine Ultralangstreckenversion und schließlich ein Frachter folgen.

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