Medizin Die Macht der Placebos

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Macht der Suggestion

Nach dem Krieg kehrte der Professor an die Harvard Medical School nach Boston zurück und erforschte die Wirkung von Scheinmedikamenten. Seine Idee: Neue Medikamente sollten vor ihrer Zulassung gegen ein Placebo getestet werden. Nur solche Substanzen, die deutlich besser als das Scheinmedikament abschnitten, hatten offensichtlich eine pharmakologische Wirkung, die über den Placebo-Effekt hinausging.

Zu jener Zeit wurden neue Präparate kaum geprüft. Sie mussten lediglich zeigen, dass sie eine gewisse Wirkung hatten und Tieren im Versuch nicht direkt schadeten. Seit im Jahr 1961 aber immer mehr verkrüppelte Babys auf die Welt kamen, deren Mütter das Schlafmittel Contergan genommen hatten, waren Beechers Forderungen nach sauberen Medikamententests bald in aller Munde. Zusammen mit aufwendigeren Sicherheitstests wurden sie 1962 in den USA und in vielen anderen Ländern gesetzlich vorgeschrieben.

Farbe der Scheinmedikamente spielt eine große Rolle

Beecher schrieb Medizingeschichte: Seither wird jedes Medikament im sogenannten Doppelblind-Verfahren getestet: Ein Teil der Probanden bekommt das echte Medikament, der andere Teil eine Pille aus Traubenzucker oder Mehl. Bis zum Ende der Tests wissen weder der Studienarzt noch die Testpersonen, wer in einem geheimen und zufälligen Losverfahren welcher Gruppe zugeteilt wurde. 

Seit dieses Studiendesign die Medikamentenforschung umkrempelte, wurden Zigtausende von Untersuchungen durchgeführt. Die förderten – eher nebenbei – auch jede Menge Kurioses zutage.

So kam heraus, dass die Farbe der Scheinmedikamente eine große Rolle spielt. Blaue Pillen etwa wirken besonders beruhigend. Auch wenn sie frei von Wirkstoff sind, können grüne Tabletten Ängste leichter vertreiben als andersfarbige. Und rote Placebo-Pillen machen wach. Gelbe Tabletten wiederum sind besonders wirksam gegen Depressionen. Und Weiß hilft bestens gegen Magenschmerzen.

Klar wurde aber auch: Die Wirkung der inhaltsfreien Pillen hängt ganz wesentlich von den Erfahrungen ab, die Menschen in ihrem Leben mit Medikamenten gesammelt haben. So helfen viele kleine Dragees oder eine extrem große Tablette besser als eine normal große. Wird zudem ein bekannter Name eines Herstellers oder Präparats in die Mehlpille gestanzt, wirkt sie umso besser. Genau derselbe Effekt lässt sich erzielen, wenn ein hoher Fantasiepreis auf die Verpackung aufgedruckt wird oder der Arzt bei der Pillengabe erwähnt, wie teuer das Präparat angeblich sei.

Große Erwartungen bei den Patienten

Bekommt eine Pille auch noch einen interessanten Namen, eine ungewöhnliche Form und knallige Farbe wie etwa das Potenzmittel Viagra des US-Pharmakonzerns Pfizer, weckt das besonders große Erwartungen bei den Patienten.

Viele Menschen verbinden mit Heilung aber auch Schmerz und Qual: So wirken bittere Pillen besser als geschmacklose oder süße. Eine Spritze tut weh, also erscheint sie vielen Menschen besser und wirksamer als eine Tablette. Beides ist auf jeden Fall wirkungsvoller als Inhalieren oder ein Salbenverband.

Getoppt wird das Ganze nur noch durch Operationen, auch wenn sie lediglich zum Schein durchgeführt werden: Der Patient wird in den Operationssaal gefahren, in Narkose versetzt und die Haut wird aufgeschnitten.

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