Medizin Die Macht der Placebos

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Rote Tablette: ideal für Pillen, die wach halten Quelle: Anna Schneider für WirtschaftsWoche

Dann passiert in der Placebo-Gruppe nichts mehr: Weder die Herzarterie wird abgeklemmt noch das Kniegelenk operiert. Erstaunlicherweise geht es hinterher allen besser. Im Falle der Patienten, die an einer Verengung der Herzkranzgefäße litten, waren die Scheinoperierten sogar zu 100 Prozent kuriert, wie eine frühe US-Studie bewies. Von den tatsächlich Operierten fühlten sich nur 76 Prozent besser als vor der Behandlung.

Die Placebo-Wirkung ist offensichtlich ein machtvolles Instrument unseres Körpers. Nicht immer ist der Effekt allerdings positiv: Scheinpräparate, dann Nocebos genannt, haben zuweilen dieselben Nebenwirkungen wie echte Pharmaka.

Gegenteilige Wirkung

Manchmal kann die Wirkung eines Medikaments sogar ins Gegenteil umschlagen: So wurde schwangeren Frauen erklärt, sie schluckten ein Medikament gegen Übelkeit. Den meisten ging es tatsächlich viel besser. Erstaunlicherweise auch jenen, die ein Brechmittel bekamen. In einer anderen Studie konnte der Blutdruck aller Probanden gesenkt werden, obwohl ein Teil von ihnen ein Mittel bekam, das den Blutdruck eigentlich erhöht. Es klingt unmöglich, aber es funktioniert.

Was in unserem Körper passiert, wenn scheinbar wirkungslose Substanzen zirkulieren, können Hirnforscher am besten erklären. Einer Forschergruppe um Jon-Kar Zubieta an der Universität Michigan gelang es im Sommer 2007, während eines Schmerzexperiments in die Gehirne der Testpersonen zu schauen.

Zunächst bekamen alle Teilnehmer eine konzentrierte Salzlösung in den Kiefermuskel gespritzt. Das tut gehörig weh, verursacht aber keine bleibenden Schäden. Dann mussten sie alle 15 Sekunden angeben, wie stark der Schmerz auf einer Skala von 0 bis 100 war. Während des Tests lagen sie in einem Positronen-Emissions-Tomografen (PET), der die Vorgänge im Gehirn sichtbar macht.

Im ersten Durchlauf des Experiments wurde den Männern erklärt, sie müssten die Schmerzen ertragen. Im zweiten Lauf, so wurde ihnen versichert, bekämen sie ein Schmerzmittel. Was sie nicht erfuhren: Es handelte sich um ein Placebo.

Physischer Placebo-Effekt

Die Männer empfanden mit dem angeblichen Schmerzmittel deutlich weniger Pein. Zubieta konnte auf dem PET-Bildschirm genau verfolgen, woran das lag: Im zweiten Lauf kurbelten die Hirne der Probanden die Produktion von körpereigenen Schmerzmitteln kräftig an. Diese sogenannten endogenen Morphine sind dieselben schmerzstillenden Glückshormone, die der Körper ausschüttet, wenn ein Verletzter sich mit ganzer Kraft aus einer Gefahrenzone retten muss. Ohne diese Substanzen würde keine Frau die Schmerzen der Geburt überstehen.

Zubieta hatte zweierlei erreicht: „Wir konnten zeigen, dass der Placebo-Effekt nicht nur ein psychologisches Phänomen ist, sondern auch ein physisches.“ Gleichzeitig untermauerte seine Studie die Theorien anderer Neurologen, die den Placebo-Effekt auf eine Rückkoppelung im Gehirn zurückführen: Je stärker die Erwartungshaltung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass unser zentrales Steuerungsorgan auch alle hormonellen und nervösen Hebel in Bewegung setzt, um den erwarteten Effekt zu erzeugen.

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