Medizin Hormon als Sonnenschutz

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Ohne Schutz: Wie Sonnenbrand entsteht Quelle: Grafik: Dieter Duneka

Die Kosmetikindustrie verfolgt die Entwicklung gespannt: „Der Effekt begeistert natürlich und wäre sicher interessant“, sagt Stephan Ruppert, der die Produktentwicklung Sonnenschutz beim Marktführer Beiersdorf (Nivea, Eucerin) leitet. Studien der Uni Münster zeigen allerdings, dass die Substanz das Immunsystem der Haut schwächen kann. „Die Nebenwirkungen sind für uns zu riskant, deshalb kommt es als Kosmetikum nicht infrage“, so Ruppert. Umso mehr, weil noch unklar ist, wie das Hormon langfristig auf die Melanozyten wirkt. Schlimmstenfalls könnte das Hormon sogar selbst Hautkrebs auslösen.

Weitaus klarer sehen die Forscher bei der Frage, wie vielfältig die Sonne der Haut schadet: Ging es lange Zeit darum, Zellen vor den krebsauslösenden UV-B-Strahlen zu bewahren, so haben die Versuche der vergangenen Jahre gezeigt, dass auch UV-A der Haut zu schaffen macht.

Zwar verursacht nur UV-B-Strahlung direkte Schäden in der DNA-Struktur der Hautzellen. Doch inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch UV-A-Strahlen die Entstehung sogenannter freier Radikaler in den Zellen fördern, aggressive Sauerstoffverbindungen, die so indirekt ebenfalls zu DNA-Schäden führen können. Treten sie zu oft auf, versagt das Reparatursystem, es bilden sich Tumore. Zudem zerstört die A-Variante der ultravioletten Strahlung die Bindegewebsfasern aus Kollagen und Elastin. Die Haut verliert an Spannkraft.

Organische Filter werden am meisten gekauft

Die EU hat deshalb bereits 2008 festgelegt, dass bei Sonnenschutzmitteln der UV-A-Filter ein Drittel der Wirkung des UV-B-Filters haben muss. Dabei ist Filter nicht gleich Filter.

Billig herzustellen und deshalb weit verbreitet sind chemische oder organische Filter wie etwa Dicarbonyl, das die UV-Strahlung in der Haut absorbiert und über einen chemischen Prozess in Wärme umwandelt. 12.500 Tonnen werden jährlich von diesen Stoffen verarbeitet und finden sich in fast allen Sonnencremes, von der Aldi-Marke Ombra bis zu Delial oder Piz Buin.

Dem gegenüber stehen lediglich 2.500 Tonnen sogenannter anorganischer Filter, wie sie vor allem in Kinder-Sonnenkosmetik oder Ökoprodukten von Weleda oder Dr. Hauschka zum Einsatz kommen. Bei anorganischen Filtern wirken Metalloxide wie Titandioxid oder Zinkoxid wie kleine Spiegel auf der Haut, die die UV-Strahlen reflektieren. So lässt sich schon mit einer geringen Menge Filter ein hoher Lichtschutzfaktor erzielen.

Chemische Filter sind nicht unbedenklich

Chemische Filter dagegen sind umstritten: nicht nur, weil sie bei empfindlicher Haut allergische Reaktionen auslösen können. Sie sind zudem weniger effektiv als ihr anorganisches Pendant: Weil die Stoffe relativ schnell in den Hautfalten versickern, nimmt ihr Schutzfaktor schneller ab, und es muss ständig nachgecremt werden.

Zudem gefährden die chemischen Stoffe die Natur. Italienische Wissenschaftler haben festgestellt, dass Inhaltsstoffe von Sonnenmilch Algen in den Riffen abtöten, die die Korallen für ihre Ernährung brauchen. Die Forscher schätzen, dass zehn Prozent des weltweiten Riff-Sterbens auf die Chemie in den Schutzcremes zurückgeht.

Die chemischen Filter stehen sogar im Verdacht, Sexualhormonen ähnlich zu sein. Forscher der Uni Zürich fanden heraus, dass von 17 untersuchten Substanzen mehr als die Hälfte wie ein weibliches Sexualhormon wirkten. Bei Tests mit Ratten reduzierte sich dadurch deren Fruchtbarkeit und die Überlebensrate des Nachwuchses. Noch ist zwar unklar, ob die Wirkung beim Menschen ähnlich drastisch ist. Klar aber ist, dass die Filterwirkstoffe die Haut durchdringen und sich im menschlichen Körper einlagern.

Dass sich chemische Filter dennoch so häufig in Cremes und Lotionen finden, liegt daran, dass die anorganischen Schutzsubstanzen etwa doppelt so teuer sind. Zudem lassen sie sich schlechter verarbeiten, weil sie weder wasser- noch fettlöslich sind. Die Partikel müssen daher stark verfeinert werden, um keinen weißen Film auf der Haut zu hinterlassen, der die Kunden in Kalkfiguren verwandelt.

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