Medizin Impfung gegen Krebs

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Damit ist Immatics dem US-Unternehmen Dendreon dicht auf den Fersen. Auch deren Prostatakrebs-Impfstoff Provenge funktioniert nach einem ganz ähnlichen Prinzip. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Dendreon den Impf-cocktail für jeden Patienten persönlich herstellt, indem ihm dendritische Zellen entnommen und im Labor scharf gemacht werden. Immatics bietet dagegen eine Art Krebsimpfung von der Stange an.

Das könnte dem deutschen Unternehmen bei einer späteren Vermarktung seiner Krebsimpfungen aber deutliche Vorteile bringen, denn die Konfektionsware wird sehr viel billiger sein als die maßgeschneiderte Variante. Tatsächlich macht sich Kritik an Dendreons Krebsimpfung vor allem am hohen Preis fest: Für einen einzigen Patienten kostet ein Therapiezyklus mit drei Provenge-Spritzen in den USA 93 000 Dollar. Wie teuerdie Immatics-Therapie einmal sein wird, will Singh noch nicht verraten. Aber billiger sei sie in jedem Fall.

Krebsimpfung von der Stange

Sollten die Impfungen eines Tages tatsächlich so weit gediehen sein, dass sie als Vorsorge-Impfung eine Mixtur aus sämtlichen Krebsmotiven enthält, müssen sie aber noch viel preiswerter werden.

Nur ein paar Zimmer entfernt von Singh und seinen Massenspektrometern arbeitet deshalb das zweite Tübinger Krebsimpfungs-Unternehmen CureVac an einer Technologie, die die Sache noch billiger machen kann: Statt fertige Peptid-Moleküle in die Impfmixtur zu mischen, spritzen die CureVac-Forscher eine Art genetische Bauanleitung in den Körper: die Boten- oder Messenger-RNA. Damit ist der Körper in der Lage, die Peptide selber zu bilden und so die Killerzellen selbstständig zu programmieren.

CureVac-Chef Ingmar Hoerr ist stolz darauf, die Produktion des Tumorimpfstoffs in den hellen Laborräumen selbst leisten zu können. Und die gerade in Chicago präsentierten Studienergebnisse des Prostatakrebs-Impfstoffs und des Lungenkrebs-Impfstoffs zeigten bei sogenannten Phase-I/II-Studien am Menschen, dass auch das Spritzen des Erbmoleküls RNA ausreichte, um die gewünschte Immunantwort bei 79 Prozent der Geimpften zu erreichen.

Die beiden Unternehmen aus Tübingen gehen damit ganz neue Wege, um die körpereigenen Abwehrkräfte auf Trab zu bringen. Bisher waren Forscher vor allem auf Antikörper-Moleküle konzentriert, auch die der deutschen Unternehmen Micromet und Trion Pharma aus München.

Natürlicherweise bildet das Immunsystem nämlich Antikörper, um Krankheitserreger oder Giftstoffe zu erkennen. Diese y-förmigen Proteine sind die Spürhunde der Körperpolizei: Haben sie etwas entdeckt, schlagen sie an und rufen Hilfe herbei, etwa die T-Zellen.

Doch Micromet-Forschungschef Patrick Bäuerle weiß, dass Krebszellen sich tarnen, und vor allem, dass sie Stoffe ausschütten, die T-Zellen außer Gefecht setzen können. Der Forscher hat deshalb ein Verfahren entwickelt, mit dem er die T-Zellen wieder scharf schalten kann, sodass sie Krebsgeschwulste förmlich dahinschmelzen lassen.

Dafür gab der Wissenschaftler den Antikörpern eine besondere Struktur: Bäuerle schrumpfte sie auf ihre wesentlichen Bestandteile – die Bindungsregionen am Ende der beiden oberen Y-Arme. Weil die Moleküle so klein sind, bringen sie Killer- und Tumorzellen so nah aneinander, „dass es wieder funkt“, sagt Bäuerle: „Wir sind die Dompteure, die T-Zellen dazu bringen, wieder durch brennende Reifen zu springen.“ In einer gerade ausgewerteten Studie bildete sich bei drei Viertel der Patienten eine besonders aggressive Blutkrebsart vollständig zurück: Es waren keinerlei Krebszellen mehr nachweisbar.

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