Medizin Impfung gegen Krebs

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Die Forscher von Trion Pharma haben sich einen anderen Trick einfallen lassen, um die natürlichen Fähigkeiten von Antikörpern zu verbessern: Normalerweise kann ein Antikörper nur einen Feind erkennen und auch nur eine bestimmte Hilfstruppe rekrutieren. Trions Antikörper Removab jedoch ist trifunktional: Er kann zum einen Tumorzellen erkennen, die normalen Antikörpern durchs Suchraster rutschen. Und er kann mehrere Arten von Immunzellen gleichzeitig alarmieren: T-Zellen, Killerzellen und Fresszellen. Einmal aktiviert, stürzen sich diese auf den Feind und vernichten ihn.

Gelöste Blockade

Auch diese Strategie funktioniert gut. Seit 2009 ist Removab in Europa für eine Krebs-Folgeerkrankung, die Bauchwassersucht, zugelassen, an der in Europa etwa 20 000 Menschen leiden. Seither wird Removab auch gegen weitere Tumorarten getestet. Das Erstaunlichste an dem trifunktionalen Antikörper ist allerdings, dass er zugleich wie eine Impfung wirkt: Schon nach drei bis vier Spritzen zeige sich, dass nicht nur die Krebszellen vernichtet wurden, „sondern der Körper auch immun gegen den Tumor wurde“, sagt Trion-Chef Horst Lindhofer. Damit könnte eine sonst notwendige Dauerbehandlung mit zigfachen erneuten Spritzen bis zum Lebensende unnötig werden.

Während sich all diese Therapieansätze darauf konzentrieren, die T-Zellen gezielt in Stellung gegen den bis dahin unerkannten Feind – die Tumorzellen – zu bringen und dessen Tarnkappen zu lüften, verfolgt die Regensburger Antisense Pharma eine andere Strategie. Sie greift an einer Blockade des Immunsystems an, die Krebszellen mithilfe von biochemischen Signalen setzen – als ob sie Bremsklötze an den Abwehrzellen anbringen würden. Dreh- und Angelpunkt ist dabei ein Regulationsmolekül namens TGF-Beta, das die Aktivität der Killerzellen steuert.

Der Weg zum Ziel ist wie bei CureVac ein preiswert zu produzierendes RNA-Molekül. Das sorgt nun allerdings nicht dafür, dass bestimmte Moleküle gebildet werden, die Krebszellen ausfindig machen. Im Gegenteil: Die sogenannte Antisense-RNA ist ein gegensinniges Erbgutmolekül, das sich auf die Bauanleitung des Regulationsmoleküls legt. Damit wird das Ablesen des Bauplans unmöglich, es entsteht kein TGF-Beta: Die Bremsklötze, die die Killerzellen behinderten, werden entfernt.

Auch an diesem Konzept ist bemerkenswert, dass es bereits Ende der Achtzigerjahre entwickelt wurde. Doch nach anfänglichen Erfolgen ließen es viele Unternehmen bald wieder fallen, weil die Entwicklung nur Rückschläge erbrachte.

Karl-Hermann Schlingensiepen, der Gründer und Chef von Antisense Pharma, hielt konsequent daran fest, genauso wie Ulrich Bogdahn, der Chef der Neurologischen Universitätsklinik Regensburg. Die beiden haben in mehreren klinischen Versuchen zeigen können, dass die Antisense-Behandlung mit dem Präparat Trabedersen bei Menschen mit Hirntumoren die Überlebensrate drastisch erhöht und die Tumore zum Teil völlig verschwinden.

Heute sind beide Forscher froh, dass sie durchgehalten haben. Sie meinen einen ganz zentralen Schalter gefunden zu haben, um dem Immunsystem eine viel größere Chance zu geben, die Tumorzellen zu erkennen. Und das, da sind sich die Forscher einig, war trotzdem erst der Anfang.

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