
Herbert Schuster ist kein ganz gewöhnlicher Arzt. Der Internist ist zugleich Genforscher, und er behandelt in seiner Berliner Praxis vor allem Menschen, die noch gar nicht krank sind. Er setzt auf Prävention. Und um zu beurteilen, wie sie Herzinfarkt, Krebs oder Alzheimer vermeiden können, verlässt er sich nur zum Teil auf klassische ärztliche Untersuchungsmethoden. Parallel dazu prüft Schuster, der jahrelang am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin nach den genetischen Ursachen von Krankheiten suchte, auch die Erbanlagen. Denn sie geben mitunter viel mehr von dem preis, was ein Mensch gesundheitlich in Zukunft zu erwarten hat.
Schuster ist einer der Pioniere der neuen so genannten personalisierten Medizin. Sie versprach schon in den Neunzigerjahren für jeden Menschen passend zu seinen Erbanlagen die optimale Therapie. „Wir glaubten, wenn wir erst einmal alle Gene gefunden hätten, ließen sich die meisten Krankheiten sehr viel einfacher und zielgerichteter behandeln und heilen“, erinnert sich der Forscher. Das war nicht falsch. Doch so einfach und schnell funktionierte die Sache nicht.
Schuld daran war der Kern des Forschungsgebiets selbst: das menschliche Erbgut, auch Genom genannt. Kurz nach der Jahrtausendwende war es entziffert. Doch damit war schlagartig die Euphorie verflogen. Der Blick in die Gene hatte für Ernüchterung gesorgt: Nicht nur, dass für die meisten Erkrankungen viele Gene verantwortlich sind. Es zeigte sich auch, dass dasselbe Gen verschiedenste Funktionen haben kann. „Alles war viel komplizierter, als wir gedacht hatten“, gibt Schuster zu.
Machtvolle Gene
Erst jetzt steht die personalisierte Medizin vor ihrem Durchbruch. Vor allem in der Pharmabranche bedeutet das ein radikales Umdenken: Massenmedikamente haben ausgedient, die Zukunft gehört maßgeschneiderten Medikamenten und Gentests. Zunächst wird das vor allem Krebs betreffen, auf lange Sicht aber fast jedes Krankheitsbild. Kurzfristig bedeutet die neue Spielart der Medizin zwar, dass Ärzte mit höherem Aufwand eine kleinere Zahl von Patienten behandeln und Pharmaunternehmen ihre Produkte für kleinere, klar definierte Patientengruppen entwicklen. Doch der individualisierte Ansatz ist nicht mehr aufzuhalten: Denn er kann, so viel steht fest, teure oder sogar tödliche Fehlbehandlungen vermeiden, die Erkennung und Heilung von Krankheiten verbessern und die Kostenexplosion im Gesundheitssektor dämpfen.
Karl-Ludwig Kley, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck aus Darmstadt, sieht sich und seine Pharmasparte Merck Serono mit dem Krebsmittel Erbitux als Vorreiter auf diesem Gebiet. Bei Erbitux, das seit 2003 gegen Darmkrebs im Einsatz ist, stellte sich während der Entwicklung heraus, dass nur zwei Drittel der Patienten davon etwas haben: solche nämlich, bei denen ein Gen namens K-Ras unverändert vorkommt, das für die Signalweiterleitung in der Krebszelle verantwortlich ist. Nur dort kann Erbitux etwas bewirken, indem es den Signalweg für den Befehl, sich laufend weiter zu teilen, unterbricht. Wo das K-Ras-Gen aber verändert ist, findet Erbitux keinen Angriffspunkt. „Wenn wir anhand von Biomarkern vorhersagen können, welches Medikament welchem Patienten hilft oder nicht hilft, erhalten die Menschen nicht nur eine sehr zielgerichtete Therapie“, sagt Kley, „es werden gleichzeitig für das Gesundheitssystem unnötige Kosten vermieden.“
Paradigmenwechsel in der Medizin
Auch Peer Schatz, Chef des deutschen Gentest-Entwicklers Qiagen aus Hilden bei Düsseldorf, ist überzeugt: „Die Zeit ist reif für einen Paradigmenwechsel in der Medizin.“ Schatz hat gut reden. Während Pharmakonzerne sich erst darauf einstellen müssen, in Zukunft nicht mehr jedem Menschen eine Einheitspille vorzusetzen, gehört er als Lenker eines weltweit führenden Unternehmens in Sachen molekularer Analysetechnik zu den Profiteuren des Wandels. Denn das Kennzeichen der neuen Art genbasierter Heilkunst ist das Zusammenspiel von Medikament und Test. Sie sind immer nur im Doppelpack zu haben. Companion Diagnostic heißt der Test zur Pille auf Englisch; in der deutschen Übersetzung wird daraus ein therapiebegleitendes Diagnostikum.
Die Idee dahinter: Der Test hilft, das richtige Medikament für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit und in der richtigen Dosierung zu finden. Wie der Patient genetisch gestrickt ist, gibt Auskunft darüber, ob sein Organismus ein Medikament verträgt, ob er es schnell oder langsam abbaut – und ob es ihm hilft. So sind inzwischen Hunderte von Genen bekannt, die im Entgiftungsorgan des Körpers, der Leber, dafür sorgen, dass die Wirkstoffe die wir schlucken, von Enzymen abgebaut werden und dann den Körper verlassen.