Medizin Neue Impfmethode schützt besser vor Grippe

Eine neue, weltweit einzigartige Impfmethode verbessert den Schutz vor Grippeviren massiv. Sie kann auch beim Kampf gegen eine Pandemie helfen.

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Schweinegrippe-Alarm an der Quelle: dpa

Die Verwirrung in Sachen Grippe-Pandemie ist perfekt: Spätestens seit die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für den Schweinegrippe-Erreger die höchste Alarmstufe ausgerufen hat, verstehen nur noch die wenigsten Menschen, was eine Pandemie ist. Sollte das Virus nicht eigentlich tödlich sein? Das neue H1N1-Virus aus Mexiko ist es nicht. Noch nicht, sagen die Experten. Sollte man sich trotzdem impfen lassen? Und wenn ja: wann – und womit?

Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Gesundheitsministerin Ulla Schmidt scheinen den Überblick zu verlieren. Um sich von den Experten informieren zu lassen, besuchten sie vor wenigen Tagen das bundeseigene Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Dort laufen alle Fäden in Sachen Grippeviren und Seuchenschutz zusammen. Der Nachhilfeunterricht auf höchster Ebene wurde zwar mit beruhigenden Floskeln getarnt und medial als tatkräftiger Auftritt inszeniert: „Wir sind sehr gut vorbereitet“, sagte Merkel mit Blick auf die Gefahr – und auf die unzähligen Kameras und Fotoapparate der Reporter. Doch hinter den Kulissen herrscht Ratlosigkeit.

Gespannter Blick auf die Pharmabranche

Vor allem die Frage, wann der Startschuss zur Herstellung eines Pandemie-Impfstoffs gegeben werden soll, stellt für die Politik ein schier unlösbares Problem dar. Bestellen sie schon jetzt Impfstoff, funktioniert er später möglicherweise nicht, weil sich der Erreger noch verändert. Schieben sie die Order auf, kommt die Produktion möglicherweise zu spät in Gang, und es ist im Ernstfall zu wenig Impfstoff da.

Alle Welt blickt deshalb mit Spannung auf die Pharmabranche. Jede Innovation im Kampf gegen Grippeviren sorgt für großes Echo bei Fachleuten und Politikern. Für Diskussionen wird in den nächsten Tagen ein neuer Grippeimpfstoff namens Intanza sorgen. Das Präparat des Impfstoffkonzerns Sanofi Aventis MSD schützt direkt zwar „nur“ vor einer Wintergrippe – indirekt aber auch vor einer Pandemie.

Verbesserter Schutz für Menschen über 60

Denn der Impfstoff wirk laut neuesten Studien viel effektiver als alle bisherigen, weil er erstmals in die immunologisch besonders aktive oberste Hautschicht gespritzt wird. Der Effekt: „Je weniger Menschen sich infizieren, desto geringer ist die Gefahr, dass neue, potenziell tödliche Stämme entstehen“, sagt der Düsseldorfer Virologe Harmut Hengel.

Vor allem Menschen über 60 Jahre bietet das neue Impfkonzept einen dramatisch verbesserten Schutz. Bisher entwickeln bei Impfungen nur 60 Prozent von ihnen einen Immunschutz. Nach einer Intanza-Impfung sollen es 80 Prozent sein, verspricht der Hersteller. Ältere sind von der normalen Wintergrippe ohnehin besonders bedroht: Über 90 Prozent der weltweit 250.000 bis 500.000 Menschen, die an der saisonalen Influenza Jahr für Jahr sterben, gehören zu dieser Altersgruppe.

Warum eine neue Impftechnik besonders gut schützt (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Intanza ist eine Fertigspritze, in die der Impfstoff schon integriert ist. Deshalb ist es ein aufwendig herzustellendes Produkt – und damit für eine pandemische Massenimpfung bislang untauglich. Hier sind Zehner- oder Hunderter-Packgrößen gefragt, die in eine Spritze aufgezogen und dann mit jeweils neuer Nadel den Impflingen in den Arm gejagt werden.

Für Grippe-Pandemien bietet das neue Impfverfahren dennoch wichtige Lösungsansätze: Weil die Impfung in die obere Hautschicht so wirksam ist, kann dieMenge an Impfsubstanz deutlich reduziert werden – von bisher 15 Mikrogramm auf 9 Mikrogramm, wie Studien ergaben. Sollte der Schweinegrippe-Erreger aus Mexiko in den nächsten Monaten noch aggressiver und tödlicher werden, steht theoretisch die Impfung von allen sechs Milliarden Menschen an. Weil das logistisch und produktionstechnisch unmöglich ist – bisher werden pro Jahr etwa eine halbe Million Dosen des saisonalen Impfstoffs hergestellt –, wünschen sich Hersteller und Experten genau solch eine Impfstoff-Variante, die mit geringeren Mengen aktiver Impfsubstanz die gleiche Wirkung erzielt.

Spritze in die Dermis

Ihre große Wirkung erzielt die neue Impfmethode, weil die Substanz nicht wie bisher ins Muskelgewebe oder die Unterhaut gespritzt wird, sondern in die nur drei Millimeter dicke eigentliche Haut, die Dermis. Hier kommen Immunzellen, die auf den Impfstoff reagieren und in eine aktive Immunantwort umwandeln, in sehr hoher Konzentration vor. Zudem ist die Dermis extrem dicht gespickt mit einem Typ von Abwehrzellen, der besonders wichtig ist, um einen effektiven Immunschutz vor einer Ansteckung herzustellen – den dendritischen Zellen. Das ist auch bei älteren Menschen so, deren Immunsystem sonst im Alter eher schwächer wird. „Die Oberhaut ist unser Schutzmantel gegen die Umwelt, hier ist die Barriere gegen Eindringlinge wie krank machende Viren und Bakterien besonders stark“, sagt Stephan Grabbe, Direktor der Universitäts-Hautklinik Mainz.

Nachfolgeprodukte sind geplant

Dass Impfstoffe in dieser Hautschicht besonders wirksam sind, haben Forscher erst in den vergangenen Jahren erkannt, vor allem bei experimentellen Impfungen gegen Krebs, Gelbsucht oder Aids. In vielen Entwicklungsländern werden seither Impfstoff-Rationen gegen jegliche Krankheiten halbiert oder geviertelt und dann mit ruhiger Hand ganz flach und quer zur Hautoberfläche gespritzt. „Das klappt mal mehr, mal weniger gut“, sagt Gabbe.

Bei dem neuen Produkt von Sanofi Aventis ist das einfacher, weil zusammen mit dem US-Medizinbedarf-Spezialisten Becton Dickinson (BD) eigens ein Applikationssystem entwickelt wurde, das sicher und exakt in diese dünne Oberhaut trifft. Ein solches Impfsystem ist bisher einmalig auf der Welt. Doch Nachfolgeprodukte sind schon geplant, wie Albert Garcia, Epidemiologe der Sanofi-Aventis-Konzernzentrale in Lyon, verrät, denn prinzipiell ist das Konzept auf jeden Impfstoff übertragbar: „Erste Tests mit einer Impfung gegen Hirnhautentzündung beginnen im August.“

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