Medizinische Versorgung Wie krank unser Gesundheitssystem ist

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Solche Reisen sind zwar seltener geworden als früher, als jeder Wald- und Wiesen-Doktor für eine nur zweistündige Fortbildungsveranstaltung eine Woche samt Partner in ein Wellnesshotel in den Alpen eingeladen wurde. So mancher Außendienstler erinnert sich noch mit Grauen an Exzesse, zu denen es bei manchen dieser Ausflüge kam. So berichtet der ehemalige Pharmareferent eines europäischen Konzerns von einer Tagung in Kalifornien, zu der sein Unternehmen gut 20 Urologen aus Deutschland eingeladen hatte: „Die hatten auf dem Hinflug mitten über dem Atlantik bereits die komplette Businessclass leergesoffen.“

Auf den Medizinerkongressen selbst dürfen dann besonders wichtige Ärzte – Vorsitzende von medizinischen Fachgesellschaften etwa – Referate im Sinne ihres Sponsors halten. „Ich habe selbst erlebt, wie die Vorträge dieser sogenannten Koryphäen dann gleich von der Firma geschrieben wurden“, sagt Schuberth. „Mietmäuler“ heißen die gekauften Redner in der Branche. Damit sie das Richtige sagen, bezahlen Unternehmen zwischen 1000 und 10 000 Euro je Vortrag.

Geld und Geschenke

Am Vorabend lädt der Hersteller seine Kongressreferenten gerne ein: mal in einen nüchternen Konferenzraum, mal in ein gemütliches Restaurant. Bei diesem „Speaker’s Briefing“ gehen die Marketingmanager die Vorträge mit den Medizinern durch. Dabei werden Manuskripte überarbeitet, oder die Botschaft wird im Sinne des Unternehmens geändert.

Fortbildungen und Kongressteilnahmen zu sponsern sind nur zwei Möglichkeiten, um Ärzte zu beeinflussen. Schließlich lassen sich die Mediziner auch mit Geld und Geschenken ködern. So soll der Medikamentenhersteller Stada zahlreiche Sportveranstaltungen für die niedergelassenen Ärzte und ihre Familien veranstaltet haben. Kart-Rennen zum Beispiel, zu denen sogar Arzthelferinnen mitkommen durften. Wer lieber zuschauen wollte, für den gab es Karten für Fußballbundesliga-Spiele, sagt ein Insider: „Wir hatten eine Loge im Frankfurter Fußballstadion, auf Schalke und Sitzplätze in der Münchner Allianz-Arena.“ Eingeladen seien freilich nur Ärzte gewesen, die fleißig Stada-Pillen verschrieben. Zu den Vorwürfen sagt ein Unternehmenssprecher: „Sämtliche vertrieblichen Aktivitäten von Stada bewegen sich stets im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.“

Beamer fürs Wohnzimmer

Der Medikamentenhersteller Trommsdorff aus Alsdorf bei Aachen steht im Verdacht, es mit High-Tech-Spielzeug für zu Hause versucht zu haben: Ärzte, die fünf Patienten auf den hauseigenen Blutdrucksenker Emestar einstellten und dessen Wirkung auch dokumentierten, sollen einen Flachbildschirm erhalten haben. Für 12 Patienten soll es eine hochwertige Kaffeemaschine, für 14 ein Navigationssystem und für 18 Patienten gar einen Laptop oder einen Beamer gegeben haben.

Die Ärzte füllen dafür sogenannte Anwendungsbeobachtungen aus. Auf den Fragebögen der Pharmakonzerne vermerken sie, wie sich die Pillen im Körper der Kranken bemerkbar machen, ob und welche Nebenwirkungen auftreten. Grundsätzlich eine sinnvolle Sache. Nur: Oft werden die Anwendungsbeobachtungen bloß als Vorwand missbraucht, um den Ärzten Geld zukommen zu lassen. Zuweilen müssten die Ärzte nur ein Beobachtungsformular blanko unterschreiben, heißt es in der Branche.

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