Gemessen an der strategischen Tragweite der Ankündigung war das öffentliche Echo erstaunlich leise. Denn dass Microsoft am Dienstag dieser Woche (28. Juni) offiziell mit dem Verkauf seines internetbasierenden Bürosoftware-Pakets Office 365 begonnen hat, markiert die wichtigste Vertriebsentscheidung des Windows-Konzerns, mindestens seit dem Marktstart von Windows 95 vor 16 Jahren. Mehr noch, wenn es in den vergangenen Jahren eine Produkteinführung gab, von der man hätte behaupten können, dass von ihrem Erfolg die Zukunft des Unternehmens abhängt, dann ist es definitiv das neue Office 365.
Das mag pathetisch klingen. Und das ist es auch. Denn mit der neuen Bürosoftware, die es ihren Nutzern ermöglicht einzeln oder in Teams im Netz Tabellen oder Texte zu verfassen und zu bearbeiten, Kalender abzugleichen und Konferenzen abzuhalten, reagiert der Softwareriese aus Redmond auf den wichtigsten Trend der IT-Branche der vergangenen Jahre: Die Verlagerung von Programmen und Daten ins Netz und weg vom PC im Büro oder daheim, im Jargon der Computerbranche „Cloud Computing“ genannt. Ein Trend, der für das bisherige Geschäftsmodell des Windows-Konzerns gefährlicher ist, als es das Auftreten des alternativen Betriebssystems Linux oder der Gratis-Software Open Office je war.
Lukratives Geschäft mit Cloud Computing
Denn beim Cloud Computing macht Microsofts über Jahrzehnte höchst lukratives Geschäfts mit Software-Lizenzen für Windows oder Office kurzerhand obsolet. Statt sich für Hunderte von Euro teure Softwarepakete kaufen zu müssen (und Microsoft damit alljährlich Milliardengewinne in die Kassen zu spülen), können Unternehmen und Privatleute im Zeitalter der Wolke den Zugriff Textverarbeitungs-, Tabellenkalkulations- oder Datenbankprogramme, auf E-Mail- oder Bildbearbeitungssoftware, Projektplanungs- und Konferenz-Tools nach Bedarf im Netz mieten. Was nicht genutzt wird, kostet nichts. Und zum Teil gibt’s die Anwendungen sogar gratis, wie etwa Googles Softwarepaket „Apps“.
Sog ins Netz
Das Konzept findet zunehmend Anhänger. Vor wenigen Tagen erst verkündete Google stolz, dass – nach anderen prominenten Kunden wie der Stadtverwaltung von Los Angeles – nun auch die Angestellten des US-Bundesstaats Wyoming auf Google Apps umgestiegen seien. Daneben schreiben schon jetzt Abermillionen von Privatkunden mit Googles für sie kostenfreien Online-Programmen Briefe, managen die elektronische Post oder verwalten ihre Urlaubsbilder im Internet. Firmenkunden zahlen in den USA für die Nutzung der Business- Apps je nach Umfang fünf bis 50 Dollar. Mit dem Angebot bedient Google nach eigenen Angaben bereits mehr als drei Millionen Unternehmenskunden. Und dieser Sog ins Netz dürfte sich weiter beschleunigen.