„Never change a winning team“ – die Grundregel für eine erfolgreiche Unternehmensführung gilt plötzlich nicht mehr.
So schnell ist noch kein Mobilfunkbetreiber in Deutschland so tief gefallen. Am 1. Oktober 2012, als Friedrich Joussen an die Spitze des Touristikkonzerns TUI wechselt und den Chefposten an Schulte-Bockum übergibt, steht Vodafone noch blendend da. Zum Abschied hat „Fritz“, wie Joussen liebevoll genannt wird, den ewigen Konkurrenten Deutsche Telekom mit glänzenden Zahlen düpiert. Bei wichtigen Kennziffern wie Umsatz, Kundenzahl und Kundenzufriedenheit hat sich Vodafone die Marktführerschaft zurückgeholt.
Wen man auch fragt, beinahe jeder geht davon aus, dass sich Schulte-Bockum in ein gemachtes Bett legt und diese Erfolgsstory nahtlos fortsetzt. „Das Haus ist bestellt und in bester Verfassung“ – mit diesen Worten übergibt Joussen den Chefsessel an seinen Nachfolger.
Was dann passiert, ist eine Rarität in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Ohne Not wird die bis dahin so starke, achtköpfige Geschäftsführung in kürzester Zeit zerschlagen: Humm und Schulte-Bockum tauschen fast die gesamte Top-Truppe aus.
Finanzchef Sebastian Ebel und Kommunikationschef Thomas Ellerbeck folgen Joussen zum Touristikkonzern TUI. Andere Vertraute des ehemaligen Chefs wie der für den Service zuständige Achim Weusthoff werden intern auf andere Positionen versetzt oder verlassen wie Technikchef Hartmut Kremling, Vertriebschef Erik Friemuth oder die für die Shops zuständige Susan Hennersdorf das Unternehmen ganz.
Für Vodafone ist das ein tiefer Einschnitt, der am Selbstbewusstsein kratzt. Die Deutschen setzten bisher stärker als andere Landesgesellschaften darauf, die Führungsmannschaft mit aufstrebenden Managern aus eigenen Reihen zu besetzen. Kontinuität mit wenigen Wechseln in der Geschäftsführung – unter den früheren Chefs Jürgen von Kuczkowski und Joussen als wichtiges Führungskriterium vorgelebt – spielt keine Rolle mehr. So deuten jedenfalls viele Manager den Kehraus in der alten Führungsriege.
Neue Mitglieder der deutschen Geschäftsführung wie Philip Lacor und Frank Krause kommen aus anderen Landesgesellschaften wie den Niederlanden und der Türkei und müssen sich erst noch mit den Eigenarten des deutschen Marktes vertraut machen. Oder sie werden bei Konkurrenten abgeworben wie Marcello Maggioni (vom Pay-TV-Sender Sky), Robert Hackl (von T-Mobile USA) und Eric Kuisch (vom niederländischen Ex-Monopolisten KPN). „Die Geschäftsführung ist plötzlich eine Durchgangsstation“, fürchtet ein Aufsichtsrat. „Wer Karriere im Vodafone-Konzern machen will, muss alle fünf Jahre zu einer anderen Landesgesellschaft wechseln.“
Wie Manager Unternehmen durch Fehlentscheidungen in die Krise steuerten
Die zweitgrößte deutsche Fluglinie hat sich mit zu vielen Zukäufen verhoben. Machte der Kauf der DBA 2006 noch Sinn, galt das für die LTU-Übernahme 2007 nicht mehr. Dort war Air-Berlin-Chef Joachim Hunold seinerzeit im Unfrieden weggegangen und wollte wohl zeigen, wie der Ferienflieger zu retten ist. Die Billigflieger von TUIfly zu mieten ging dann erst recht schief. Denn Hunold versäumte es, alle Einheiten zu einer Airline zu verschmelzen, und arbeitete weiter mit separaten Organisationen und Tarifverträgen. Ohne den Einstieg der Golf-Airline Etihad wären die Berliner wahrscheinlich pleite.
Der Pharma- und Chemiekonzern lebte jahrelang gut vom Verkauf des Magenmittels Pantoprazol. Konzernchef Nikolaus Schweickardt schaffte es jedoch nicht, ein ähnlich lukratives Nachfolgepräparat aufzubauen und vernachlässigte die Forschung. Nachdem eine Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer scheiterte, geriet der Dax-Konzern mit Sitz in Bad Homburg bei Frankfurt immer mehr in die Bredouille. Mehrheitseignerin Susanne Klatten verkaufte das Pharmageschäft 2007 an das dänische Unternehmen Nycomed, das einen Großteil der Stellen abbaute. Seit 2011 gehört Nycomed zu Takeda; die Japaner strichen bei Altana Pharma noch einmal 700 Jobs. Übrig ist nur noch das Chemiegeschäft.
Nur elf Monate, von Oktober 2010 bis September 2011, währte die Regentschaft des deutschen CEOs Léo Apotheker bei dem kalifornischen IT-Giganten. Doch die Zeit reichte für diverse Fehlentscheidungen. Apotheker peitschte den mit elf Milliarden Dollar weit überteuerten Kauf des britischen Softwareanbieters Autonomy durch. Nachfolgerin Meg Whitman musste fast die gesamte Summe abschreiben; inzwischen hat sich erwiesen, dass Autonomy seine Zahlen massiv geschönt hatte. Ebenfalls auf Apothekers Betreiben diskutierte HP Pläne zur Abspaltung des PC-Geschäfts. Diese sickerten an die Presse durch, worauf der Konzern eilig zurückruderte – und Apotheker seinen Hut nehmen musste. Der Aktienkurs hatte sich unter seiner Ägide halbiert.
Der Vorstand des Baumarktkonzerns aus Kirkel im Saarland setzte jahrelang nur auf eine einzige Strategie: Rabatte. Doch nach kurzer Zeit gewöhnten sich die Kunden an die werbewirksam vermarkteten „20 Prozent auf alles“-Aktionen und verschoben ihre regulären Einkäufe auf Rotstifttage. Das fraß Marge, die Verluste stiegen. Trotzdem steuerte das Management erst um, als es schon zu spät war. 2013 meldete Praktiker Insolvenz an.
Der damalige ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz entschied 2002 auf dem Höhepunkt der weltweiten Stahlkonjunktur, in Brasilien ein Stahlwerk zu bauen, 2005 kam die Investitionsentscheidung für ein Walzwerk in Alabama (USA) hinzu. Die Baukosten waren schlampig kalkuliert: Aus 3,5 wurden 12 Milliarden Euro. Dann stürzte der Weltstahlmarkt ab. Das Fehlinvestment trieb den Essener Konzern an den Rand des Ruins.
Zwischen 2005 und 2010 stand Olli-Pekka Kallasvuo an der Spitze des Handyriesen Nokia. Damit war Kallasvuo maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Finnen einen der wichtigsten Trends in der Mobilfunkindustrie verschliefen: den Trend weg von Tastatur-Handys hin zu Smartphones mit Berührungssteuerung am Display, wie es Apple mit dem iPhone seit 2007 vorgemacht hat. Das Ergebnis war ein Absturz, von dem sich der Konzern nie erholte: 2012 stürzte Nokia vom Thron des Handyweltmarktführers. Im September 2013 kaufte Microsoft Nokias Handysparte für 5,4 Milliarden Euro.
Für zusätzliche Irritationen in der Belegschaft sorgt, dass bei Schulte-Bockum keine klare Linie erkennbar ist. So wurden Friemuth und Hennersdorf wenige Monate vor ihrem Ausscheiden – als Zeichen der Kontinuität – sogar noch zu ordentlichen Geschäftsführern befördert.
Solche Manöver irritieren auch das mittlere Management. Viele schütteln nur noch frustriert mit dem Kopf und schalten auf Dienst nach Vorschrift zurück. Die bei Vodafone extrem stark ausgeprägte Bereitschaft, vollen Einsatz mit vielen Überstunden zu zeigen, ist kaum noch vorhanden. Viele sind verbittert. Wer – wie der Autor – Mitarbeiter und Manager anruft und um Interna bittet, bekommt bereitwillig alle noch so vertraulichen Fakten auf den Tisch.
Früher standen dieselben Mitarbeiter geschlossen hinter Vodafone und beschimpften jeden Anrufer als „Nestbeschmutzer“. Heute sind solche Indiskretionen Teil des Intrigenspiels über Bande. Denn die meisten sind überzeugt, dass diese Geschäftsführung und erst recht nicht Schulte-Bockum das Ruder herumreißen und Vodafone aus der Krise führen kann.