Staus, Autounfälle, rote Ampeln – für Daniel Wiegand sind das Zumutungen, mit denen wir uns nicht mehr lange herumschlagen sollen. Wenn die Pläne des Luftfahrtingenieurs aufgehen, dann schweben Pendler bald über verstopfte Straßen hinweg. Gemeinsam mit drei Studienfreunden von der Technischen Universität München will Wiegand einen alten Traum wahr werden lassen: fliegende Autos. Dazu haben sie das Start-up Lilium Aviation gegründet und arbeiten nun im bayrischen Gilching am ersten Prototyp.
Der Lilium-Jet soll im Sommer fertig sein. Noch darf ihn kein Besucher sehen. Aber so viel verraten die vier Gründer: Der Privatflieger soll Elektroantrieb haben, Tempo 400 schaffen und schon Anfang 2018 auf den Markt kommen. „Fliegen ist die effizienteste Methode, um Menschen von A nach B zu bringen“, sagt Wiegand. Umso mehr, wenn das Fluggefährt eines Tages sogar im Vorgarten landen kann.
Warum das plötzlich möglich erscheint? Werkstoffe sind leicht genug geworden, um fliegende Autos zu bauen; Batterien stark genug, sie anzutreiben; Computer schlau genug, sie zu lenken. Und so herrscht in der Luftfahrt Aufbruchstimmung wie zu Zeiten Charles Lindberghs, der als Erster den Atlantik überflog. Start-ups wie E-Volo aus Deutschland, Joby Aviation aus den USA oder Ehang aus China arbeiten an Helikoptern und Flugautos für jedermann. Allein bis Anfang 2018 sollen sieben neue Modelle auf den Markt kommen. Erfüllen sich ihre Pläne, sähe die viel beschworene Mobilitätsrevolution anders aus – das selbstfahrende Auto wäre schon überholt, bevor es überhaupt an den Start ging.
Bis dahin muss allerdings noch die ein oder andere Hürde genommen werden. So groß wie die Ambitionen der Flugpioniere sind auch die Hindernisse auf dem Weg zu einem Masseneinsatz der fliegenden Autos.
Bis zur Haustür durch die Luft
Die neuen Flugpioniere konkurrieren mit ganz verschiedenen Konzepten um die Lufthoheit. Start-ups wie Carplane aus Braunschweig, Pal-V aus den Niederlanden oder Aeromobil aus der Slowakei wollen Autos und Flieger verschmelzen. Sie schweben durch die Luft wie Sportflugzeuge, klappen dann auf der Landebahn Flügel oder Propeller ein und fahren wie ein gewöhnlicher Wagen auf der Straße weiter.
„Erst wenn Sie damit auch fahren können“, sagt Pal-V-Gründer Robert Dingemanse, „verändert das die Mobilität.“ Denn es gibt zwar in Deutschland alle 38 Kilometer einen kleinen Flughafen, doch bisher müssen Privatflieger von dort mit dem Taxi weiter – wenn es denn eines gibt. „Wir lösen das Problem der letzten Meile“, verspricht John Brown, Gründer der niedersächsischen Carplane. In der zweiten Jahreshälfte soll sein Zweisitzer erstmals fliegen. Seit Monaten befindet er sich im Zulassungsverfahren beim Luftfahrt-Bundesamt. Läuft alles gut, könnte 2020 der Verkauf starten. Browns Zielgruppe: Geschäftsflieger in Russland, China oder Brasilien.
So praktisch Auto und Flugzeug in einem sein mögen – das Konzept hat Tücken. So müssen die Ingenieure das Vehikel einerseits möglichst leicht bauen, damit es weit fliegen kann, andererseits benötigt es schwere Bauteile wie Reifen und Getriebe, um auf der Straße zu fahren. Das Gewicht ist einer der Knackpunkte: Leichtflugzeuge dürfen je nach Klasse bis zu 750 Kilogramm wiegen. „Aber alle Flugautos, die ich kenne, liegen darüber“, sagt Brown. Etwa 100 Kilo mehr wünscht sich der Carplane-Macher von den Behörden. Sonst werde die Zulassung zu aufwendig und der Pilotenschein zu anspruchsvoll, den die Besitzer neben dem Führerschein erwerben müssen. Auch so sind Flugautos mit Preisen von 300.000 Euro und mehr ein teures Vergnügen.
Die Träume der neuen Flugpioniere
Die komplizierten Zulassungsverfahren – jeweils eins für Luft und Straße – könnten die ambitionierten Zeitpläne noch verzögern. Die Behörden bewegen sich immerhin. So trafen sich erst vor wenigen Wochen Vertreter der Europäischen Luftsicherheitsagentur EASA, EU-Kommission und des Luftfahrt-Bundesamts in Köln, um die Regularien für Flugautos zu diskutieren.
Alexander Zosel ist das alles zu kompliziert. Der Geschäftsführer des Karlsruher Start-ups E-Volo ist überzeugt: Wenn Fliegen so normal wie Autofahren werden soll, dann müssen Flugzeuge auch so leicht zu lenken und so sicher sein wie Autos. Seit 2011 arbeitet sein Team an einem Elektrohelikopter. Noch im März soll er erstmals mit einem Menschen an Bord abheben.
Der Volocopter verzichtet auf den komplizierten Aufbau heutiger Hubschrauber, stattdessen hat er 18 kleine, von Elektromotoren angetriebene Rotoren – wie eine Spielzeugdrohne. Dutzende Sensoren halten die Maschine auch bei Turbulenzen auf Kurs. Der Pilot bestimmt nur noch Höhe und Richtung, alles andere läuft automatisch. „Sie steigen ein“, sagt Zosel, „drücken am Joystick auf Start und heben ab.“
Wenn der Zweisitzer in den nächsten ein bis zwei Jahren in Serienproduktion geht, reicht eine einfache Sportpilotenlizenz (60 Theorie- und 30 Flugstunden), um ihn zu fliegen. Wichtige Komponenten sind mehrfach vorhanden. „Im Notfall öffnet sich ein Fallschirm“, sagt Zosel, „und der Volocopter gleitet sanft zu Boden.“
Sicherheit und Bequemlichkeit kosten Reichweite: Schon nach 25 Kilometern machen die Batterien schlapp. Fortschritte bei den Akkus könnten die Distanz auf 100 Kilometer steigern, glaubt Zosel. Das würde für Taxiflüge in Städten reichen. Dort könnte der Volocopter auf jedem Helikopter-Landeplatz aufsetzen. Dank der Elektromotoren sei die Passagierdrohne leiser als ein Hubschrauber, sagt Zosel – und in 200 Meter Höhe nicht mehr zu hören.
Chaos in der Luft?
Für weitere Strecken brauchen Elektroflieger allerdings Flügel, auf denen sie viel effizienter vorangleiten als mit Rotoren. Start-ups wie das deutsche Lilium Aviation und das amerikanische Terrafugia wollen darum das Beste aus zwei Welten verbinden: Ihre Flugautos sollen senkrecht abheben und in der Luft ihre Propeller nach vorne klappen, um wie ein Flugzeug weiterzufliegen. Lilium-Gründer Wiegand versucht dabei das Flugauto so zu denken, wie es Apple oder Tesla tun würden: simple Nutzerführung mit einem Touchscreen, Joystick – sonst nichts. „Wir wollen die Fliegerei aus der Ecke der Luftfahrtfreaks herausholen“, sagt Wiegand.
Sollten die Träume der neuen Flugpioniere wahr werden, dann wird es lebendig im Himmel über den Städten. Neben den Flugautos könnten bald Flotten unbemannter Drohnen herumschwirren, die Pakete ausliefern. Nasa-Experten arbeiten schon an Überwachungssystemen für den Luftraum, um die vielen Flugbewegungen zu orchestrieren. In 10 bis 15 Jahren, ist Volocopter-Entwickler Zosel überzeugt, werde es erste Luftstraßen in Deutschland geben.
Aber wenn Computer künftig den bisher unkontrollierten Luftraum (in Deutschland meist bis 762 Meter Höhe) komplett überwachen – warum lenken sie dann nicht auch gleich die Flieger? Die Frage stellte sich Hu Huazhi, CEO des chinesischen Drohnen-Start-ups Ehang. Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas präsentierte er Anfang Januar einen Elektroflieger, der schier Unglaubliches verspricht: rechnergesteuerte Taxiflüge für jedermann.
Hubschrauber-Taxi mit dem Uber-Chauffeur
Der Ehang 184 sieht aus wie ein Quadrokopter aus dem Modellbauladen – groß genug für einen Passagier. Ein Steuerknüppel fehlt, stattdessen gibt der Passagier per Touchpad das Ziel ein. Schon mache sich der Robokopter automatisch auf die Reise, verspricht Ehang, überwacht von einem Kontrollzentrum am Boden. Hindernissen in der Luft soll er automatisch ausweichen.
Ob das klappt, muss das Start-up noch beweisen; in Las Vegas blieb die Riesendrohne am Boden. „Ehang verrät noch zu wenig Details, um das Konzept bewerten zu können“, sagt Sanjiv Singh, Robotik-Experte an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Generell aber sei die Technik für ein Robolufttaxi recht weit – nur noch nicht im Masseneinsatz erprobt. Singh hat selbst einen Robokopter gebaut, der automatisch Bäume umkurvt und seinen Landeplatz sucht.
Mark Moore vom Nasa Langley Research Center in Virginia hat untersucht, wie sich das Silicon Valley per Lufttaxi vernetzen ließe. Er schlägt Hunderte Landeplätze auf Dächern und in den Grünflächen von Autobahnkreuzen vor. Taxiflüge würden, auch wegen des preiswerten Elektroantriebs, „so erschwinglich wie eine Fahrt mit dem Uber-Chauffeur – nur dreimal schneller“.
Ein Airbus als Taxi
Selbst Luftfahrtriese Airbus hat Geschmack an der Idee gefunden: In einem frisch eröffneten Innovationszentrum namens A³ im Silicon Valley tüfteln Experten an radikalen neuen Luftfahrtkonzepten. Erstes Pilotprojekt: ein Hubschrauber-Taxidienst in Kooperation mit Uber. Die neuen Flugpioniere sollen sich auch ums autonome Fliegen kümmern.
„In den nächsten zehn Jahren wird sich eine neue Form der Mobilität materialisieren“, glaubt Peter Diamandis, Gründer der X-Prize-Stiftung, die mit ihren hoch dotierten Wettbewerben Innovationen fördert und etwa der privaten Raumfahrt mächtig Schub gegeben hat. Diamandis plant einen millionenschweren Preis für das erste funktionierende Roboterflugauto. „Stellen Sie sich vor“, sagt Diamandis: „Sie ordern per Handy ein autonomes Flugtaxi, steigen ein und lassen sich hinbringen, wo immer sie wollen.“
„Wir wollten fliegende Autos, stattdessen gaben sie uns 140 Zeichen“, ätzte einst der bekannte Silicon-Valley-Investor Peter Thiel. Vielleicht geht sein Wunsch bald doch in Erfüllung.