
Der weiße Hyundai Intrado, den der südkoreanische Hersteller im Frühjahr auf dem Genfer Automobilsalon als Weltpremiere zeigte, war mehr als ein Blickfänger. Denn hinter der aggressiven Optik des SUVs mit den an Haifischkiemen erinnernden Lüftungsschlitzen und dem orangefarbenen Innenleben blieben die wahren Innovationen zunächst verborgen: eine Karosserie in extremer Leichtbauweise – und ein leistungsfähiger Brennstoffzellenantrieb.
Eine Konzeptstudie wie so viele, möchte man meinen. Ein Auto, das als Blickfänger auf einem Messestand dient und anschließend im Museum verschwindet – weil entweder die Technik alles andere als serientauglich und die Produktion zu teuer ist oder aber das Fahrzeugdesign einfach nicht für den Alltag taugt.
Ganz anders bei Hyundai: Der Intrado ist nicht bloß ein Showcar, ein Spielzeugauto, an dem sich Designer und Ingenieure ausgetobt haben. Die Südkoreaner, lange Zeit als Billigheimer bekannt, meinen es ernst. Vor allem mit dem Brennstoffzellenantrieb demonstrieren Designer und Ingenieure, wie gegenwärtig die vermeintliche Zukunftstechnologie bei ihnen schon ist.
Denn schon heute können Hyundai-Kunden den Geländewagen ix35 – dessen Nachfolger der Intrado im kommenden Jahr werden soll – mit dem umweltverträglichen Elektroantrieb leasen. Und das nicht bloß im Heimatmarkt, das Angebot gilt global. „Sobald das Tankstellennetz dichter wird und die Nachfrage steigt, können wir die Produktion hochfahren“, sagt Markus Schrick, Chef von Hyundai Deutschland. Gegenwärtig allerdings gibt es in Deutschland nicht mal 25 Tankstellen, an denen Wasserstoff getankt werden kann. Die Brennstoffzelle an Bord des Autos wandelt den Wasserstoff in Fahrstrom um.
Das Henne-Ei-Problem
Das klingt nach einem Henne-Ei-Problem. Die Koreaner lassen sich davon ebenso wenig schrecken wie Toyota: Die Japaner wollen schon im März 2015 mit dem Modell FCV ihr erstes Brennstoffzellenauto auf den Markt bringen – zu einem Preis von umgerechnet 50.000 Euro. Daimler-Chef Dieter Zetsche, der sein Unternehmen bei dieser Technologie „ganz vorne dabei“ sieht, kann da nicht mithalten: Der Mercedes-F-Cell auf Basis der B-Klasse ist erst 2017 serientauglich.
Dabei forschen und arbeiten die Stuttgarter inzwischen schon seit zwei Jahrzehnten an Autos, aus deren Auspuff nur noch Wasserdampf entweicht. Zudem kommen Brennstoffzellenautos mit einer Tankfüllung rund 500 Kilometer weit und damit wesentlich weiter als ein batteriegetriebenes Elektroauto. Deren Akku muss heute meist schon nach 160 Kilometern an die Steckdose und dort stundenlang aufgeladen werden.
Der Hyundai Intrado macht aber noch etwas anderes deutlich: Vorbei sind die Zeiten, da Hyundai als Discounthersteller der Autobranche vor allem für preiswerte Mobilität stand. Für Innovation im Automobilbau, für Vorsprung durch Technik oder Freude am Fahren waren andere zuständig.





Die Südkoreaner, die vor knapp 40 Jahren mit ihrem unscheinbaren Kompaktwagen Pony erstmals nach Europa kamen, haben sich in den zurückliegenden acht Jahren ein gewaltiges Erneuerungsprogramm verordnet. Nach der Phase als Billighersteller, der später Kunden mit robuster Qualität und ungewohnt langen Garantieversprechen lockte, zündet jetzt die dritte Stufe auf dem Weg in die erste Liga der Markenhersteller. Getrieben wird diese von Design – und Innovationen.
Ob bei der Vielfalt der Antriebskonzepte, bei Design oder in der Produktion: Überall holen die Südkoreaner auf. Heute schon ist der Konzern mit den Schwestermarken Hyundai und Kia und einem Absatz von über fünf Millionen Fahrzeugen fünftgrößter Pkw-Hersteller der Welt. Dabei sind seit der Gründung der Automotive-Gruppe noch nicht einmal 50 Jahre vergangen.
Erfolg durch lokale Kompetenzen
Der Intrado, der Blickfänger aus Genf, soll den weiteren Weg weisen: Es ist das erste Hyundai-Fahrzeug, das die Handschrift des deutschen Hyundai-Chefdesigners Peter Schreyer trägt. Das Auto ist zugleich eine Art Technik-Schaufenster.
Zu bestaunen gibt es da unter anderem jede Menge Leichtbautechnik: Die Karosserie setzt auf einem Rahmen auf, den Rohre aus carbonfaserverstärktem Kunststoff bilden. Diese lassen sich wie Seile schlingen und zu einer extrem festen und verwindungssteifen Karosserie verbinden.
Der Brennstoffzellenantrieb im Motorraum ist kleiner und stärker als der Vorgänger im aktuellen Modell ix35. Mehr Effizienz und geringes Gewicht von Antrieb und Fahrzeug sollen dem Intrado mehr als 600 Kilometer Reichweite ermöglichen. Dazu bunkert der Wagen über 100 Liter Wasserstoff unter 700 bar Druck in zwei Hochdrucktanks. Der erste, kleinere Tank befindet sich unterhalb der Rücksitzbank. Der zweite, größere Tank steckt für eine bessere Gewichtsverteilung im Heck unter dem Kofferraumboden.

Die elektrische Energie, die in der Brennstoffzelle durch die Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff entsteht, speichert ein 36 Kilowatt starker Akku – die leistungsfähigste Batterie, die bisher in einem Brennstoffzellenauto zum Einsatz gekommen ist.
Parallel treiben die Hyundai-Ingenieure die Entwicklung rein batteriegetriebener Elektroautos voran. Gerade erst präsentierte die Schwestermarke Kia das Modell Soul in einer Elektrovariante. Im Herbst soll der kleine Stromer mit einer Reichweite von mehr als 200 Kilometern mit einer Akkuladung in den USA und in Europa an den Start gehen. Der Preis steht noch nicht fest.
Große Elektrokompetenz
Die Südkoreaner profitieren von der großen Batterie- und Elektrokompetenz in ihrem Heimatland. Hyundai-Kia sitzt Tür an Tür mit den weltgrößten Batterieproduzenten wie Samsung und LG, die Teil der staatlich geförderten Südkorea AG sind. Daraus erwächst ein erheblicher Wettbewerbsvorteil, der sich in aggressiven Preisen auf dem Weltmarkt niederschlägt. Kein Wunder, dass LG ab 2016 auch die Antriebsbatterien für die nächste Generation des Elektro-Smart liefert.





Mit niedrigen Preisen kann Hyundai-Kia aber auch bei Autos mit konventionellem Antrieb punkten. In Europa kam Hyundai 2013 auf 3,5 Prozent Marktanteil – ohne Kia. Weiteres Wachstum sollen 22 neue Modelle bringen, die Europa-Chef Allan Rushforth für die nächsten vier Jahre ankündigt.
Dass der frühere Billigheimer inzwischen ein ernst zu nehmender Konkurrent ist, musste VW-Chef Martin Winterkorn schon 2011 bei der Frankfurter Automobilausstellung feststellen. Ein YouTube-Video, das im Netz längst Kultstatus hat, hält den Augenblick der Erkenntnis fest: Winterkorn hatte damals auf dem Hyundai-Stand den Golf-Konkurrenten i30 bestiegen. Der Vorstandschef aus Wolfsburg wackelte hier an einer Blende, ruckelte da an einem Halter und zog am verstellbaren Lenkrad, um schließlich sichtbar verärgert und mit dem Ausruf „Da scheppert nix“ Klaus Bischoff, den Designchef der Marke VW herbeizuzitieren. „BMW kann’s nicht, wir können’s nicht. Warum kann’s der?“, fragte ihn Winterkorn.
Die Frage könnte er aktuell auch zur Profitabilität des Unternehmens stellen. Denn der Volkswagen-Konzern wäre wohl froh, eine ähnlich gute Umsatzrendite wie Hyundai vorweisen zu können: Bei der Marke VW lag sie in den ersten drei Monaten des Jahres nur bei mageren 1,8 Prozent. Bei Hyundai ist sie - mit geschätzt zehn Prozent - um ein Vielfaches höher.
Schnelle Aufholjagd
Doch trotz der schwindelerregenden Aufholjagd bei Technik und Innovationen – auch bei den Südkoreanern läuft längst noch nicht alles rund, es gibt noch Lücken im Technikportfolio und im Fahrzeugangebot. So fehlen etwa noch kleine sparsame Turbomotoren, ein automatisches Doppelkupplungsgetriebe statt der wenig sparsamen Wandlerautomatik. Die europäischen Hyundai-Manager wünschen sich zudem sehnsüchtig einen kompakten SUV wie den Renault Captur – das Segment, das im Moment europaweit am stärksten wächst. Und nicht zuletzt fehlen Cabrios und Sportwagen, die für ein frischeres Markenimage sorgen könnten.
Denn alle Technik ist nur schnödes Beiwerk, solange die Autos noch Billigheimer-Image atmen. Aufräumen soll damit auch der deutsche Hyundai-Chefdesigner Peter Schreyer. Er will Hyundai eine erkennbare frische Handschrift verleihen, denn „in Zeiten, wo sich Technik immer ähnlicher wird, werden Autos verstärkt über das Design verkauft“.
Ein Deutscher als Designchef
Der heute 61-jährige Bayer aus Bad Reichenhall hat einst bei Audi den Sportwagen TT entworfen – seit 2006 frischt er die Optik von Kia auf. Seit Januar 2013 ist er auch für das Design der Marke Hyundai verantwortlich. Der 76-jährige Firmenpatriarch Chung Mong-koo schätzt Schreyers Arbeit so sehr, dass er den Deutschen 2013 als ersten und einzigen Europäer ins Konzernpräsidium berufen hat.
Hyundai investiert nicht nur in Design, Technik und Kundenzufriedenheit. Mindestens genauso wichtig ist die Produktivität der Werke außerhalb des Heimatlandes. In den USA zählen die Hyundai-Werke mit einer durchschnittlichen Fertigungszeit von knapp unter 20 Stunden pro Fahrzeug zu den produktivsten des Landes, wie Jahr für Jahr Oliver Wymans Harbour Report ausweist. Sie arbeiten auch effektiver als die Hyundai-Werke im Heimatland.





Und das brandneue Werk im brasilianischen Piracicaba, etwa 150 Kilometer nordwestlich von São Paulo, soll noch besser sein – aktuelle Zahlen legt Hyundai freilich nicht vor. Auf 1,4 Millionen Quadratmeter Fläche baut Hyundai dort pro Jahr 180 000 Kompaktwagen des Typs HB20, der dem ix20 gleicht, für den brasilianischen Markt – den viertgrößten der Welt.
Was auffällt: In den riesigen Hallen arbeiten nur wenige Menschen, die meisten Arbeiten in der Lackiererei oder in der Karosseriefertigung übernehmen Roboter. Nach dem brasilianischen Vorbild soll 2015 eine neue Hyundai-Produktion im US-Bundesstaat Texas entstehen. „Hyundai und Kia haben sehr viel von den Japanern gelernt“, sagt Produktionsexperte Horst Wildemann von der Technischen Universität München.





In den vergangenen Jahren hat Hyundai die gemeinsame Entwicklung und Produktion mit Kia drastisch vereinfacht und verschlankt: 2002 nutzten die beiden Marken noch 22 verschiedene Plattformen. Bis Ende des vergangenen Jahres schmolz die Vielfalt aufgrund der Synergien auf sechs zusammen. Im Jahr 1998, als Hyundai Kia übernahm, teilten sich die beiden Marken lediglich 20 Prozent der rund 740 Zulieferer, aktuell sind es mehr als 90 Prozent.
Doch die rasante Expansion hat auch Schattenseiten. Stefan Bratzel, Leiter des Lehrstuhls für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, beobachtet nach Jahren stürmischer Expansion inzwischen eine Zunahme von Rückrufen – für den Fachmann ein Indiz für wachsende Qualitätsprobleme. 2013 stieg die Zahl der Hyundai-Rückrufe etwa in den USA um 263 Prozent – bei einem branchenübergreifenden Zuwachs um 131 Prozent.
Mobilität
Vermutlich auch deshalb will Hyundai-Firmenpatriarch Chung Mong-koo sich nun etwas mehr Zeit für die Entwicklung lassen. Insider berichten, der 76-Jährige befürchte, durch Qualitätsprobleme ebenso heftig gebeutelt zu werden wie Toyota vor einigen Jahren. Statt auf Masse soll der Fokus nun erst einmal auf die Qualität der Produkte gelegt werden, auf Herstellung und die Organisation. „Es wird interessant sein, wie gut sie aus dieser Phase der Reorganisation herauskommen“, sagt Bratzel.