Autonomes Fahren im Alltagstest Erst wird es viel schlechter, bevor es besser wird – irgendwann

Wie sicher ist autonomes Fahren? Wie verändern autonome Autos als Verkehrsteilnehmer den Straßenverkehr? Das Karlsruher Softwareunternehmen PTV, das zu Porsche gehört, wollte das genauer wissen. Quelle: imago images

Was passiert, wenn künftig immer mehr autonome Autos durch unsere Städte fahren? Die Porsche-Tochter PTV hat das am Beispiel des Kölner Univiertels erstmals aufwendig simuliert. Mit überraschenden Ergebnissen.

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So wünschen sich Polizei und Ordnungsamt uns Autofahrer: Behutsam fädelt die schwarze Limousine  ein in den dichten Feierabendverkehr von Las Vegas. Auf der achtspurigen Hauptstraße geht es hektisch zu, vor Ampeln staut sich die Blechlawine immer wieder weit zurück, die Menschen schauen gestresst auf ihre Handys, rauchen, telefonieren. In jeder Einmündung drängen neue Autos auf den bereits übervollen Boulevard. Doch der Wagen verhält sich weiter vorbildlich: Jeden zweiten Neuling lässt er vor, stets hält er genügend Abstand zum Vordermann, bleibt immer ein, zwei Stundenkilometer unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Die schwarze Limousine enthält Sensoren, Highspeed-Computer und Messinstrumente im Wert von knapp einer Million Dollar. Dafür aber keinen menschlichen Fahrer. Es ist ein Testfahrzeug des US-Autozulieferers Aptiv, der mit einer Flotte von mehreren Dutzend solcher rollender Computer derzeit in acht US-Metropolen das Autonome Fahren nach der zweithöchsten Autonomiestufe 4 übt: Keine Fahrerin, kein meschnlicher Lenker muss dabei noch irgendetwas tun, das Auto fährt komplett alleine von Start bis Ziel. Lediglich aus rechtlichen Gründen sitzt ein Testingenieur noch als Aufsichtsperson an Bord; technisch ginge es längst ohne.

Las Vegas gilt, wie viele US-Metropolen, die auf dem Reißbrett geplant wurden, als dankbares Testgelände für führerlose Autos. „Die Straßen sind breit, die Ampelphasen lang, Kreuzungen weithin sichtbar, und die meisten menschlichen Verkehrsteilnehmer fahren relativ entspannt. Kaum jemand drängelt oder rast; Radfahrer und Fußgänger kommen nur an recht wenigen Stellen häufiger vor“, fasst Glen de Vos, Cheftechnologe von Aptiv die Vorteile zusammen. Doch was passiert, wenn autonome Autos auf aggressivere menschliche Verkehrsteilnehmer, auch zuweilen unachtsame Fußgänger und Radler in großer Zahl und auf engere Straßenverhältnisse treffen? Also auf eine typische deutsche Großstadt, zum Beispiel? Dieses Szenario wird derzeit immer realistischer.

Autonomes Fahren: Die schwarze Limousine von BMW ist ein Testfahrzeug für autonomes Fahren des US-Autozulieferers Aptiv. Quelle: imago images

Mit Daimler erhielt Anfang Dezember erstmals ein Hersteller die Serienzulassung für autonomes Fahren der Stufe 3, auf der die Fahrer allerdings noch jederzeit eingreifen können müssen. Und zunächst nur bis 60 Kilometer pro Stunde und auf der Autobahn. Doch Hersteller wie die Google-Tochter Waymo oder Cruise haben ihre Testautos auf Level 4 inzwischen auch in anspruchsvolleren US-Städten wie San Francisco laufen; VW-Partner Argo.ai testet seit Ende September in München und Hamburg auf ausgewählten Strecken. Weit ist es also nicht mehr, bis Autos wie das von Aptiv zum Alltag auf deutschen Straßen gehören. 

Messungen im Univiertel

Das Karlsruher Softwareunternehmen PTV, das zu Porsche gehört, hat sich deshalb an einer Projektion versucht. Im belebten Kölner Univiertel haben die PTV-Ingenieure über die vergangenen Monate simuliert, was unter den erschwerten Bedingungen einer quirligen europäischen Großstadt mit dem Verkehr passiert, wenn dort ein Teil der Pkw und Lkw autonom und führerlos unterwegs sind. „Wir haben zunächst den Verkehrsfluss im aktuellen Stadium erfasst, also ausschließlich Autos mit menschlichen Fahrern, und sie in unsere die KI-Modelle einfließen lassen“, erklärt Jochen Lohmiller, bei PTV in Karlsruhe zuständig für den Bereich Simulationen. „Dazu messen wir zum Beispiel, wie lange die Autos für einen bestimmten Streckenabschnitt brauchen, wie viele in einer Grünphase über die Ampel kommen, wie schnell sie vor einer roten Ampel bremsen.“

Dann modellierten die Karlsruher den Verkehrsfluss mit 20, 50 und schließlich 100 Prozent selbstfahrenden Autos. Dazu ließen sie die Daten von echten selbstfahrenden Test-Fahrzeugen einfließen: etwa deren Durchschnittsgeschwindigkeiten in der Stadt, oder die typische Beschleunigung beim Anfahren, wenn eine Ampel auf Grün springt, sowie das Bremsverhalten oder die Dauer des Abbiegevorgangs an Kreuzungen. „Diese Daten bekommen wir von echte autonomen Testwagen von den entsprechenden Herstellern“, sagt Lohmiller. Also unter anderem von Testfahrten wie denen von Aptiv in den USA.

Quelle: PTV
Quelle: PTV

Normalerweise nutzen kommunale Verkehrsplaner die PTV-Simulationen. „Sie können damit zum Beispiel sehen, wie sich ein neuer Fahrradweg, ein Kreisverkehr oder eine neue Busspur auf den Verkehrsfluss in einer bestimmten Umgebung auswirkt“, erklärt Lohmiller. 2500 Städte weltweit nutzen die PTV-Software nach Angaben des Unternehmens. Inzwischen ist diese Art Simulation vor dem Bauen in vielen Metropolen der Welt das Standardverfahren. Was aber passiert, wenn ein ganz neues Verkehrsmittel plötzlich mitmischt, das es bisher nicht gab?

Zunächst wird es schlimm

Zu den üblichen Versprechen der Industrie im Zusammenhang mit autonomen Autos gehören weniger Unfälle, weniger Abgase und auch ein besserer Verkehrsfluss. Die Idee: weil die Autos gleichmäßiger und vorhersehbarer fahren als wir Menschen, würde der komplette Verkehr ruhiger, durch Ampeln besser steuerbar und schließlich staufrei. „Das stimmt im Prinzip auch“, sagt Lohmiller, „aber nur auf lange Sicht, bei nahezu 100 Prozent computergesteuerten Autos.“ Aber es wird eine jahrelange, wenn nicht jahrzehntelange Übergangsphase geben, in der zum Beispiel die autonomen Robotaxis von Anbietern wie der VW-Tochter Moia oder der Google-Tochter Waymo auf noch von Menschen gesteuerte Autos treffen werden. Und die hat es in sich, zeigen die Simulationen. „Bevor der Verkehr durch die Autonomisierung des Pkw besser werden kann, muss er leider erstmal schlechter werden“, fasst Lohmiller die Ergebnisse zusammen.

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von Andreas Menn

So wurden die Verkehrsprobleme im Kölner Univiertel in der PTV-Simulation schon bei 20 Prozent autonomen Robotaxen deutlich größer. Die Rückstaus vor Ampeln wurden länger, weniger Autos passierten sie pro Grünphase, die Flussgeschwindigkeit des Verkehrs insgesamt nahm ab. Die Zahl der Stopps erhöhte sich deutlich. „Der Tiefpunkt war bei 50 Prozent autonomen und 50 Prozent klassischen Autos erreicht“, erzählt Lohmiller. Besonders auf einspurigen Nebenstraßen, in denen Fußgängerinnen oft queren, etwa in der Hans-Sachs-Straße oder auf dem Zülpicher Wall, kamen die autonomen Autos kaum voran. Die Folge: Für die Teststrecken brauchten alle Autos im Schnitt rund 30 Prozent länger als heute.

Woran liegt das? „Autonome Autos sind viel defensiver programmiert, als wir Menschen in der Tendenz einen Pkw fahren“, sagt Lohmiller. So ermittelte PTV bei den Messungen des Ist-Zustands in Köln bei freier Straße eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 58 Stundenkilometern (km/h) auf den größeren Straßen, auf denen Tempo 50 gilt, während ein autonomes Auto von Tesla, Google, Aptiv oder VW hier natürlich nur mit 49 km/h fahren würde. Beim Abbiegen lassen die autonomen Karossen querenden Fußgängern und Radfahrern tendenziell öfter den Vortritt, auch wenn sie nach den Verkehrsregeln fahren könnten. „Die Abstände zu den vorausfahrenden Autos sind größer, während bei unserem Messungen Menschen im Schnitt 0,9 Sekunden Abstand halten, sind es bei den Autonomen 1,6 Sekunden“, sagt Lohmiller.

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Die PTV-Messungen zeigten aber auch: Menschen machen mehr Fehler. Sie neigen nicht nur zu leichten Übertretungen der Regeln, wie die 57 statt der erlaubten 50 km/h. Sie bremsen auch abrupter, fahren dichter auf und biegen teils ohne zu blinken ab. „Auf lange Sicht wird der Verkehr daher durch das autonome Auto sicherer, flüssiger und schlussendlich auch effizienter“, glaubt Lohmiller, „aber dazu müssen die autonomen Autos deutlich in der Überzahl sein.“ Denn dann könnten sie ihre Vorteile ausspielen. Der wichtigste Faktor dabei: Autonome Autos und Lkw fahren nicht nur vorhersehbar, defensiv und flüssig. Sie sind auch alle miteinander vernetzt. „Wenn jedes Bordsystem Kontakt mit dem des Vorausfahrenden hat, weiß es zum Beispiel: ‚Achtung, der bremst gleich mit 2,5 Sekunden pro Meter“, erläutert Lohmiller, „dann kann das nachfolgende Auto ebenfalls sein Bremsen optimal dosieren.“ Die gute Nachricht: Im Szenario mit 100 Prozent autonomen Autos fließt der Verkehr im Kölner Univiertel doppelt so flüssig wie heute. Statt im Schnitt 12 schafften 24 Autos eine Grünphase, die Zahl der unerwünschten Stopps halbierte sich.

Mehr zum Thema: Erstmals hat in Deutschland ein selbstfahrendes Auto die Level-3-Zulassung für die Autobahn erhalten. Wirklich relevant werden dürfte die Technologie vor allem für Lkw, da Fahrer knapp sind und jede Pause Geld kostet.

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