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Autozoom

Die Elektroauto-Revolution dauert länger

Jürgen Rees
Jürgen Rees Ehem. Redakteur Technik & Wissen

Die Skepsis, ob und wann das Elektroauto die Benzin- und Dieselmotoren ersetzen kann, wächst. Doch 28 Professoren für Kraftfahrzeugtechnik plädieren in elf Thesen für mehr Vorteile der Elektrowagenbesitzer, glauben das die Elektroauto-Revolution bereits begonnen hat und erwarten erst 2030 den Durchbruch für das Brennstoffzellenauto.

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Der Elektro-Boom lässt nach wie vor auf sich warten - Die wichtigsten Gründe für das mangelnde Interesse der Kunden an Elektrofahrzeugen im Überblick Quelle: dpa

Das Elektroauto ist kein Selbstläufer. In Deutschland waren Anfang des Jahres gerade Mal 4.500 Elektroautos zugelassen. Und das liegt nicht an der fehlenden staatlichen Förderung. Denn in Ländern wie den USA oder Frankreich, wo es üppige Zuschüsse zum Kauf von Elektroautos gibt, sind die Zahlen nicht wirklich besser.

Das Elektroauto ist eine prima Idee, denn Erdöl wird immer knapper und an der Tankstelle schmerzhaft teuer, die Klimaerwärmung ist kaum mehr zu verleugnen. 2020 sollten in Deutschland eine Million Elektroautos fahren. Aber die Technik des Elektroautos gleicht einem Quantensprung für eine mehr als 100 Jahre alte Industrie. Weg von Kolben, Dichtringen und Ventilringen hin zu Elektrotechnik. Milliarden-Investitionen in Produktionsstraßen und Werkzeugen stehen plötzlich in Frage. Selbst Toyota, Hybridpionier mit der wohl längsten Erfahrung mit elektrischen Antrieben und ihrer Steuerung, meldete Anfang Oktober Zweifel an, ob Elektroautos der richtige Weg in eine emissionsfreie Autozukunft sind. Jeder Hersteller will schon genauer wissen, ob der Kunde das auch will.

Die großen Probleme der neuen Stromer
Hoher Preis: Für einen Opel Ampera muss der Kunde mindestens 42.900 Euro an Opel überweisen, der Volt von GM ist 950 Euro günstiger. Ein auf konventionelle Spritspar-Technik setzender VW Golf BlueMotion kostet etwa die Hälfte: 21.850 Euro. Bei einem Preis von ungefähr 1,40 Euro pro Liter Diesel belaufen sich die Energiekosten des Golf Blue Motion auf 7,7 Cent pro Kilometer. Die Energiekosten des Ampera sind bei vergleichbaren Fahrleistungen nur 2,7 Cent pro Kilometer geringer, aber in der Anschaffung kostet er 21.050 Euro mehr. Michael Bargende, Leiter des FKFS Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren in Stuttgart bestätigt: „Der Aufpreis für ein Elektroauto liegt bei mindestens 50 Prozent.“ Selbst nach Schätzungen der Industrie werden E-Autos künftig mindestens 4.000 bis 9.000 Euro teurer sein als herkömmliche Wagen. Quelle: obs
Fehlende Infrastruktur: Sie wohnen in einer niederrheinischen Kleinstadt zur Miete und ihr Auto steht auf einem angemieteten Tiefgaragenstellplatz? Dann werden Sie auf Jahre hinaus kein Kandidat für ein Elektrofahrzeug sein, denn zum Aufladen haben Sie weder eine Steckdose in der Garage, noch mögen Sie nachts zum Aufladen ein Verlängerungskabel aus Ihrer Wohnung im zweiten Stock zum Bürgersteig herunterlassen. Solange unklar ist, wer in welchem Umfang ausreichende, gut zugängliche und leicht zu bedienende Strom-Zapfsäulen selbst in der deutschen Provinz aufstellt, wird das Elektroauto eine Randerscheinung bleiben. Siehe: Entwicklung mit Erdgas- oder Autogas betriebener Fahrzeuge! Wer sein Elektroauto an einer öffentlichen Steckdose aufladen will, muss lange suchen. Gerade einmal 10000 öffentliche Ladestationen wurden 2010 in Europa gezählt. Quelle: dpa
Brandgefahr bei Ladekabeln: TÜV-Experten gehen davon aus, dass noch elf Millionen deutsche Haushalte ein Stromnetz aus den 60er-Jahren haben. Mit einer maximalen Absicherung von zwölf Ampere. Ein übliches Serienelektroauto wie der Opel Ampera zieht aber für eine Ladung mehrere Stunden lang rund 16 Ampere Strom wie etwa der Opel Ampera. Einfach die Verlängerungsschnur auszurollen und an der Steckdose aufzuladen, kann also gefährlich werden, da sich Leitungen und Dosen schnell erwärmen können. In einem Test von Eon und TÜV zeigte eine Wärmebildkamera, dass eine Steckdose nach 15 Minuten Ladevorgang 81 Grad Celsius erreichte. Ruth Werhahn, Chefin der E-Mobilität bei Eon: "Wir haben die Versuche abgebrochen." Quelle: dapd
Niedrige Reichweite: Mehr als kurze Fahrten im Stadtverkehr sind mit dem batteriebetriebenen Elektroauto derzeit nicht machbar. Zwischen 100 und 150 Kilometer Reichweite erzielen die Fahrzeuge heutzutage unter besten Bedingungen pro Batterieladung. Allerdings ist der Akku bei Kälte, Hitze, voller Beladung oder hohem Tempo immer schon deutlich früher am Ende. Auf dem Kälteprüfstand des TÜV Süd büßte der Akku eines Elektro-Smart 47 Prozent an Reichweite ein, als die Temperatur von 23 auf Grad sank. Vor allem für die Bewältigung größere Distanzen sind die E-Autos also noch keine Alternative. "Ein Problem sind die Kosten der Batterie und deren Leistungsfähigkeit bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen", sagt auch Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte der Universität Duisburg-Essen. Als Reichweitenverlängerer (Range Extender) kommen aber bereits jetzt zusätzlich kleine konventionell betriebene Motoren zum Einsatz, die während der Fahrt die Batterie wieder aufladen. Quelle: dpa
Späte Amortisierung: Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft der Hochschule Nürtigen-Geislingen hält Elektroautos aktuell für finanziell nicht wettbewerbsfähig: "Wir rechnen damit, dass in den kommenden Jahren der Strompreis mindestens genauso stark steigen wird wie die Kraftstoffpreise. Damit ist davon auszugehen, dass das Elektroauto von der Kostenseite betrachtet nicht wettbewerbsfähig sein wird." Nach einer Berechnung seines Instituts lohnt sich der Umstieg von einem aktuellen Benziner auf ein Elektroauto, das auf dem heutigen Stand der Technik ist, erst ab einer Fahrleistung von 178.500, bei Dieselmotoren sogar erst bei über 270.000 Kilometern. Quelle: ap
Wettstreit der Systeme: Es ist ein bisschen wie damals, als beim guten alten Videoband VHS, Betamax und Grundigs Video 2000 um die Marktbeherrschung kämpften: Es konnte nur das Format siegen, für das es die meisten Pornos in der Videothek zum Ausleihen gab. Bei den Autos ist die Sache schon jetzt noch viel komplexer: Batterieaustausch per Better Place? Öffentliche oder private Aufladestation? Auto kaufen und Batterie leasen (wie beim Renault Twizy)? So lange diese und andere Fragen ungeklärt sind und deutsche Institutionen wie Stiftung Warentest bzw. der ADAC keine klaren Empfehlungen aussprechen, wird der Kunde sich weiter zurückhalten. Quelle: dapd
Bremsklotz Dienstwagenbesteuerung: Weil Elektrofahrzeuge in den kommenden Jahren gegenüber vergleichbaren konventionellen Fahrzeugen einen höheren Bruttolistenpreis aufweisen, führt die Anwendung der Ein-Prozent-Regel dazu, dass Nutzer elektrischer Dienstwagen einen deutlich höheren geldwerten Vorteil zu versteuern haben – obwohl der Nutzwert wegen der begrenzten Reichweite deutlich eingeschränkt ist.„Dies verhindert die vollständige Erschließung des Marktpotenzials bei gewerblichen Kunden, da sich eine Vielzahl von potenziellen Dienstwagennutzern bei bestehendem finanziellem Nachteil gegen elektrische Fahrzeuge entscheiden wird“, heißt es dazu in dem Zweiten Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität. Quelle: Pressefoto

Fehlende Lademöglichkeiten

Der will es aber nicht. Denn vollwertige viersitzige Elektroautos wie der Nissan Leaf, der als Stromer eigentlich richtig Spaß macht, setzt einen unter Streß, wenn die Navi-Stimme plötzlich sagt: „Sie erreichen ihr Ziel vermutlich nicht.“ Der Weg ist dann zu weit, der Strom in der Batterie zu wenig. Wo ist die nächste Ladesäule? Selbst wer eine findet, braucht Geduld, denn wie an der Tankstelle mal eben in Minutenschnelle Strom in den Tank füllen, funktioniert nicht. Kein Wunder, wenn die Kunden bei Preisen von rund 36.000 Euro und Reichweiten von lediglich 140 Kilometer zurückhaltend sind. Außerdem gibt es nach wie vor nur wenige Elektroautos, die Kunden tatsächlich kaufen können. Wofür also sollte der Staat Steuergelder ausgeben, um Kunden zum Kauf eines Elektroautos zu verleiten.

So groß und übertrieben der anfängliche Hype um die Elektromobilität, so übertrieben ist jetzt der Katzenjammer. Um die Diskussion zu versachlichen, haben 28 Professoren für Kraftfahrzeugtechnik unter dem Dach der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Kraftfahrzeug- und Motorentechnik (WKM) ihre Thesen zur Zukunft der Elektromobilität formuliert.

Die wichtigsten Ergebnisse sind:

1. Danach hat das Elektrozeitalter schon längst begonnen, nur nicht bei den Autos, sondern bei den Elektrofahrrädern. Die Fachleute glauben, dass die sogenannten Pedelecs und E-Bikes in den kommenden Jahren weiterhin zweistellige Zuwachsraten haben werden.  Ein Grund: Sie sind  vermehrt als Zweitfahrzeug bezahlbar, beanspruchen eine geringe Verkehrs- und Abstellfläche, sind an der heimischen Steckdose ladbar und für viele Strecken geeignet. Im Jahr 2008 wurden rund  100.000 Pedelecs verkauft, 2009 waren es 150.000 und nach 200.000 in 2010 wurden 2011 sogar über 300.000 Fahrräder mit elektrischem Hilfsantrieb verkauft. Ende des Jahres könnten in Deutschland bereits mehr als 1 Million Pedelecs existieren – in China sind es bereits mehr als 120 Millionen Stück.

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