Beda Bolzenius "Handy auf Rädern"

Der Chef der Autosparte beim Mischkonzern Johnson Controls über neue Cockpits, das Interieur von Leichtbauwagen und die erstaunliche Wirkung von blauem Licht im Fahrzeug.

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Johnson Controls-Chef Beda Bolzenius

Bolzenius, 55, leitet seit 2006 die Autosparte des US-Mischkonzerns Johnson Controls. Die Amerikaner sind weltgrößter Lieferant für Autositze und produzieren unter anderem Elektronik-Cockpits und integrierte Innenausstattungen. Im Jahr 2011 machte die Autosparte 20 Milliarden Dollar Umsatz.

WirtschaftsWoche: Herr Bolzenius, der moderne Mensch hat sich ans Internet-Handy mit Touchscreen gewöhnt und sitzt im Auto-Cockpit offline vor dutzenden Schaltern. Hat die Branche einen Trend verschlafen?

Beda Bolzenius: Ich bin eher erstaunt, wie schnell sich die Autoindustrie dem Thema zugewandt hat. In Showrooms überwiegen schon die Bedienelemente, die vom Smartphone geprägt sind. In der Fahrzeuggeneration ab dem Jahr 2014 werden Internet-Zugänge, große Touchscreens und Bedienkonzepte mit Apps auch in kleinen Fahrzeugen Standard sein. Das Auto wird sozusagen zum Handy auf Rädern.

Wie verändert sich das Autofahren durch das mobile Internet?

Die Verbindung zwischen Fahrzeug, Heim und Büro wird viel dichter. Per App im Auto werden wir den Kalender checken, die Garage schließen oder daheim die Rollläden herunterlassen. Aber das ist nur der Anfang: Fahrerassistenzsysteme, die unter anderem mit Kameras ständig unseren Blick verfolgen, erkennen bald, ob wir müde sind oder abgelenkt, und warnen uns rechtzeitig.

Wie soll ich mich denn noch auf die Straße konzentrieren, wenn ich gleichzeitig meine Termine nachschlage?

Wir haben ein eigenes Designstudio in Michigan, in dem wir testen, wie sich Informationen an den Fahrer weitergeben lassen, ohne ihn vom Verkehrsgeschehen abzulenken. Es hat sich gezeigt, dass Touchscreens trotz einfacher Bedienung in vielen Situationen nicht das richtige Instrument sind: Der Blickwechsel von der Straße zum Bildschirm senkt die Aufmerksamkeit des Autofahrers enorm.

Welche Lösung schlagen Sie vor?

Sprachsteuerung wird künftig viele Aufgaben im Cockpit übernehmen. Dabei dürfen die Befehle nicht zu kompliziert sein, auch das lenkt ab. Wir setzen darum stark auf sogenannte Head-up-Displays.
Das sind durchsichtige Bildschirme vor der Windschutzscheibe, auf die wir etwa das Fahrtempo oder Routenhinweise projizieren. Die Informationen erscheinen damit im Blickfeld des Fahrers. Das steigert die Fahrsicherheit enorm.

Augmented-Reality-Anwendungen im Auto

Realität und Instrumententafel verschmelzen zunehmend?

Genau. Wir prüfen dazu auch sogenannte Augmented-Reality-Anwendungen. Dabei blenden wir Informationen zur Umgebung des Fahrzeugs passgenau in das Blickfeld des Fahrers ein. Hausnummern erscheinen neben den entsprechenden Gebäuden, Straßenverläufe aus dem Navigationsgerät legen sich als farbige Linie über das reale Bild, Warnungen vor Ölspuren oder Unfallstellen schweben scheinbar über der Straße. Schnellere Computer und Internet-Verbindungen eröffnen hier bald völlig neue Möglichkeiten.

Wann rechnen Sie mit der Serienreife?

Wir erwarten, dass solche Anwendungen in der Fahrzeuggeneration der Jahre 2015 bis 2016 auf den Markt kommen werden.

Das klassische Armaturenbrett wandelt sich zum High-Tech-Cockpit?

Ja, wir werden immer komplexere und intelligentere Systeme sehen. In unserem Konzeptfahrzeug ie:3 können Sie Mobiltelefone drahtlos laden, während Sie auf die darauf gespeicherte Musik zugreifen. Solche Systeme wandern übrigens immer schneller vom Premiumsegment auch in die unteren Fahrzeugklassen.

Das heißt, dass auch bei der Innenausstattung von Kleinwagen zunehmend mehr Komfort und Luxus gefragt ist?

Der Trend geht klar zur Aufwertung kleiner Fahrzeugklassen, insbesondere beim Design. Sie finden in kleinen Autos Lenkräder mit Lederummantelung, Bauteile aus Aluminium, Vertäfelungen aus Echtholz. Viel PVC, nacktes Plastik, billige Akustik oder harte Oberflächen, die Kälte ausstrahlen das geht gar nicht mehr. Wer Geld für ein Auto ausgibt, will sich heute darin auch wohlfühlen...

...soweit es die beschränkte Beinfreiheit im Kleinwagen denn erlaubt.

Das ist ein Missverständnis: Kleine Autos müssen nicht eng sein. Wir arbeiten kontinuierlich daran, mehr Raum ins Cockpit zu bringen. Die Lehnen unserer neuen Sitze sind dank neuer Schäume und Bezüge nur noch halb so tief wie bisherige Modelle. Sie werden bald in Fahrzeuge eingebaut, deren Innenräume viel geräumiger sind, als man bei einem Kleinwagen erwarten könnte.

Mehr Wertigkeit im Auto geht meist mit mehr Gewicht einher - wie passt das zum Trend, dass Autos leichter und damit energiesparender werden sollen?

Wir haben Autositze entwickelt, die 40 Prozent leichter sind als gängige Modelle. Ein großer Autohersteller spart damit 12,3 Kilogramm pro Sitzpaar. Mit modernen Alu-Stahl-Hybridstrukturen wird die Rückbank 34 Prozent leichter. Magnesium und Karbon sparen noch mehr Gewicht, sind aber noch zu teuer. Mitunter lässt sich mit weniger Aufwand an unerwarteter Stelle mehr erreichen.

Zum Beispiel?

Die Klimaanlage kann kleiner ausfallen, wenn man den Innenraum blau beleuchtet. Das senkt die gefühlte Temperatur um zwei Grad.

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