




WirtschaftsWoche: Herr Nolte, deutsche Gerichte haben kürzlich entschieden, dass während der Fahrt aufgezeichnete Videoaufnahmen in Gerichtsprozessen nicht verwertet werden dürfen. Ist das nicht reichlich weltfremd?
Nolte: So könnte man das sehen, denn tatsächlich könnten die Videoaufnahmen dieser hinter der Windschutzscheibe angebrachten, sogenannten Dash-Cams bei vielen Verkehrsunfällen helfen, die Schuldfrage eindeutig zu klären. Andererseits kann man den Gerichten keinen Vorwurf machen, da Datenschutz und der Schutz von Persönlichkeitsrechten im deutschen Recht einen sehr hohen Stellenwert genießen.

In anderen Ländern helfen die Dash-Cams bei der Aufklärung von Verkehrsunfällen.
Die haben auch andere Gesetze. Dash-Cams liefern heute Aufnahmen in HD-Qualität, Personen, die zufällig ins Bild geraten sind, lassen sich ohne weiteres identifizieren. Die Videos können über soziale Netzwerke weiter verbreitet werden, niemand weiß, wie lange sie wo gespeichert werden. Anders als etwa in den USA oder in Russland überwiegt in Deutschland der Schutz des Persönlichkeitsrechts. Die Gerichte hatten darum eine Rechtsabwägung zu treffen, weil das Persönlichkeitsrecht desjenigen, der ohne Erlaubnis gefilmt wurde, mit dem Anspruch des Autofahrers kollidierte, das Video zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Es kann doch nicht sein, dass bei Unfällen Personen zu Schaden kommen und die Schuldigen nicht bestraft werden können, weil Videos nicht als Beweis zugelassen sind.
Jetzt vermengen Sie Strafrecht und Zivilrecht: Die Verwertungsproblematik wurde bislang nur für zivilrechtliche Verfahren und Versicherungsfragen entschieden. Wenn es um die Klärung eines Verkehrsunfalls etwa mit Todesfolge geht, könnten die Richter unter Umständen ganz anders entscheiden und Videoaufnahmen als Beweismittel zulassen.
Zur Person
Prof Dr. Norbert Nolte ist Datenschutzjurist und Partner der Kanzlei von Freshfields Bruckhaus Deringer. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Saarbrücken, Bonn und Surrey (Guildford, Vereinigtes Königreich) war Norbert Nolte zunächst bei der US-amerikanischen Kanzlei Powell Goldstein Frazer & Murphy in Atlanta tätig, wechselte 1995 zu Freshfields und wurde 2001 Partner der Sozietät. Von 2006 bis 2009 leitete er als geschäftsführender Partner das Kölner Büro und von 2007 bis 2013 als Co-Head die globale Sektorgruppe Telecoms, Media and Technology (TMT). Außerdem lehrt Norbert Nolte Internet- und Datenschutzrecht an der Universität zu Köln.
Trotzdem drängt sich der Eindruck auf, dass deutsche Richter technischen Neuerungen eher skeptisch gegenüberstehen.
Viele Juristen sind technik-affiner als die meisten Techniker glauben. Die Rechtsprechung ist der falsche Adressat, der Gesetzgeber ist gefordert. Die neuen technischen Möglichkeiten erfordern einen neuen Rechtsrahmen.
Dürfen die von neuen Autos in einer Blackbox gesammelten Daten verwertet werden?
Gerade im Bereich des Strafrechts kann es hier Probleme geben: Bei uns muss sich niemand selbst beschuldigen. Jeder hat das Recht, die Aussage zu verweigern. Aber womöglich wird das Auto zum Zeugen gegen den eigenen Fahrer, wenn die Blackbox-Auswertung ergibt, dass ständig gegen das Tempolimit verstoßen wurde. Die Staatsanwaltschaft kann solche Blackbox-Daten schon heute für ihre Beweisführung nutzen. Darum muss die Autoindustrie sich darüber verständigen, welche Daten wie lange gespeichert werden sollen, 15 Sekunden oder drei Jahre.
Rechtliche Lage von Dashcams
Verschiedene KFZ-Versicherungen bieten Rabatte an, wenn der Versicherungsnehmer eine Dashcam einsetzt.
In unserem Nachbarland stellen Dashcams kein rechtliches Problem dar. Privatanwender dürfen Kameras in ihren Fahrzeugen installieren.
Der ADAC rät vom Einsatz von Dashcams in diesem Land ab. Grund hierfür sind erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken.
Die nationale Datenschutzkomission erlaubt die Benutzung von Dashcams nur in Ausnahmefällen.
Das Amt des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten veröffentlichte im Juli 2013 eine Erläuterung mit der Empfehlung auf Dashcams zu verzichten, verboten ist der Einsatz aber nicht. Versicherer wie AXA Winterthur sehen sogenannte Unfalldatenspeicher als bessere Lösung an.
Die österreichische Datenschutzbehörde vertritt die Rechtsauffassung, dass Dashcams der Meldepflicht und dem Registrierungsverfahren für Videoüberwachungen unterliegen. Privatleute haben bisher keine offizielle Genehmigung erhalten. Wer sich nicht an die Regelung hält, muss mit einer Strafe von bis zu 10.000 Euro rechnen.
In Frankreich sind Cockpitkameras erlaubt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kamera die Sicht des Fahrers nicht einschränkt.
In Spanien sind Dashcams erlaubt.
Auf Grund vorliegender Datenschutzbestimmungen ist die Verwendung von Dashcams in Schweden untersagt.
In Norwegen sind Dashcams nur für den privaten Gebrauch zugelassen. Der Fahrer darf von der Kamera nicht abgelenkt sein.
Wie ist die Rechtslage, wenn das Auto automatisch bremst oder lenkt, etwa weil der Fahrer den notwendigen Sicherheitsabstand zum Vordermann nicht einhält oder der Mittellinie zu nahe kommt?
Das ist nach derzeitigem Recht kein Problem, weil keine personenbezogenen Daten erhoben werden. Anders ist es bei Systemen, die etwa mittels Iris-Erkennung einen Sekundenschlaf am Lenkrad verhindern sollen und den Fahrer identifizierbar machen. Da stellt sich wieder die Frage, ob und wie lange solche Daten gespeichert werden sollen.
Voll automatisiertes Fahren, etwa im Stau, ist technisch schon möglich. Auch juristisch?
Teilautomatisiertes Fahren wäre wohl kein Problem, weil der Fahrer ständig eingreifen kann. Vollautomatisches Fahren ist derzeit wohl nicht zulässig. Nicht, weil Datenschutz oder Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten, sondern weil es mit dem Verkehrsrecht kollidiert. Hier muss der Gesetzgeber den verkehrsrechtlichen Rahmen ändern.