Die Marktanteile von Elektroautos sind winzig, und viele Prognostiker bezweifeln, dass sich daran so schnell etwas ändern wird. Dass diese Woche mit A123 einer der größten US-Batteriehersteller Konkurs anmelden musste, weil auch in Übersee nur wenige Autofahrer auf elektrische Fahrzeuge setzen, gießt Öl ins Feuer der Skeptiker. Auch beim Elektroauto-Gipfel im Bundeskanzleramt kristallisierte sich heraus, was die WirtschaftsWoche schon im Mai 2011 voraussagte: Das Ziel der Bundesregierung, 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen zu haben, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum zu erreichen.
Jedoch: Für einen Abgesang auf das stromgetriebene Auto, den viele Skeptiker nach den vergeblichen Subventionsforderungen der Branche anstimmen, gibt es keinen Grund. Er beruht auf zu vielen Irrtümern.
Irrtum Nr. 1 - Nur ein Modetrend
„Die Zukunft gehört dem Elektroauto, mit Strom aus der Steckdose.“ Das sagt nicht irgendein grüner Spinner, das hat Volkswagen-Chef Martin Winterkorn dem größten Autobauer Europas vorgegeben.
Das sind nicht nur Worte, und Winterkorn steht damit nicht allein. Rund 150 Elektroautomodelle werden die großen Autobauer vom kommenden Jahr an auf den Markt bringen. Für die E-Typen geben die Konzerne zweistellige Milliardenbeträge aus. Der Bau der Auto- und Batteriefabriken läuft auf Hochtouren. Zu bestechend sind die technischen Vorteile der Stromer: Sie wandeln 80 Prozent der gespeicherten Energie in Bewegung um. Bei Verbrennungsmotoren sind es nur rund 30 Prozent. E-Autos fahren sich sportlicher und sind im Betrieb 60 Prozent preiswerter, sie surren leise und emissionsfrei durch die Städte. Und je mehr grüner Strom durch die Energiewende hinzukommt, umso klimafreundlicher werden die E-Mobile. Allein die Stromerzeugung, die im vergangenen Jahr durch den Ausbau der erneuerbaren Energien hinzukam, reicht für den Betrieb von mehr als drei Millionen E-Autos.
Recht haben die Skeptiker nur insofern, als die Abkehr von Benzin und Diesel länger dauern wird, als die Optimisten dies glauben. Die Stromer müssen gegen eine über 100 Jahre alte, immer wieder verbesserte Technik antreten, die jedes Jahr über 65 Millionen Mal verkauft wird, die bei den Produktionskosten auf Tiefstkurs ist und eine enorme Marktmacht hat.
Irrtum Nr. 2 - Ladenhüter
Es gibt nur wenige öffentliche Stromtankstellen, die ersten Elektroautos sind vergleichsweise teuer, ihre Technik oft nicht ausgereift. Das hält Autofahrer aber nicht ab, Stromer zu kaufen. E-Mobile bescheren den Herstellern schon jetzt Milliardeneinnahmen. Über 75.000 Großserienelektroautos wurden weltweit seit 2009 verkauft.
Das E-Auto Leaf des französisch-japanischen Herstellers Nissan zum Beispiel fand bislang weltweit 37.000 Kunden – macht bei einem Verkaufspreis von 33.000 Dollar rund 1,2 Milliarden Dollar Umsatz. Der elektrische Pionier des US-Autoriesen General Motors, der Chevrolet Volt, und sein fast baugleicher Opel-Ableger Ampera, fanden bislang rund 28.000 Käufer. Jeden Monat kommen allein in den USA fast 3000 dazu. Umsatz bislang: über 1,2 Milliarden Dollar.
Hybride werden nicht berücksichtigt
Hybridautos, die einen Verbrennungsmotor und einen Elektromotor an Bord haben, gehen noch besser weg. Fast 4,4 Millionen Hybridfahrzeuge verkaufte allein Toyota bisher weltweit und erzielte dadurch einen Umsatz von weit über 100 Milliarden Dollar – Tendenz steigend. 40.000 Hybride pro Monat werden derzeit allein in den USA abgesetzt, das sind rund 80 Prozent mehr als im Vorjahr.
Diese Hybride gelten nicht als Elektroautos, weil sie nur Bremsenergie speichern und nicht am Netz aufgeladen werden können. Sie sind aber die Vorstufe zu den Elektroautos mit den vielleicht höchsten Marktchancen: die aufladbaren Plug-in-Hybride, die 25 bis 80 Kilometer elektrisch fahren können und bei größeren Strecken einen Benzinmotor zuschalten. Es gibt bislang nur wenige Modelle, etwa den Toyota Prius Plug-in. Doch die Nachfrage ist groß. Allein in den USA wurden im September über 5.500 Plug-in-Hybride verkauft. In Deutschland bot Toyota in diesem Jahr 300 der Fahrzeuge an, die schon vor dem Marktstart ausverkauft waren. So viele Kunden hatten das Auto vorbestellt.
Irrtum Nr. 3 - Nicht Praxistauglich
Die Stückzahlen der ersten E-Autos sind verhältnismäßig klein, technisch gesehen sind die Fahrzeuge oft Schnellschüsse. Umso erstaunlicher, dass sie sich trotzdem im Alltag bewähren. Die Käufer des Nissan Leaf legten bislang ohne größere Probleme gut 160 Millionen Kilometer zurück. Pro Tag fuhren sie knapp 50 Kilometer und kamen deshalb mit der Reichweite von 150 Kilometern gut zurecht.
Nissan Leaf, Peugeot iOn und der elektrische Smart hätten den ersten großen Praxistest „mit Bravour bestanden“, bescheinigte der ADAC den Elektropionieren. Bei anspruchsvollen Testfahrten hätten die Batterieautos 150 Kilometer Reichweite „mühelos“ geschafft. Mit Stromkosten von 2,5 bis 3,5 Euro pro 100 Kilometer sind die E-Autos maximal ein Drittel so teuer wie die Spritfresser. Die in der Anschaffung teuren Modelle der ersten Stunde sind, so ergab ein Langzeittest in Schottland, wegen des eingesparten Benzins nach rund 60.000 Kilometern für den Nutzer günstiger als ein herkömmliches Fahrzeug.
Diese Autos haben den Praxistest bestanden
Das erste Großserienelektroauto wurde 160 Millionen Kilometer ohne größere Probleme gefahren und erzielte Umsätze in Milliardenhöhe.
Für die häufigsten Fahrten reicht Strom, Langstrecken brauchen Benzin - die Kombination kostet mit 36.000 Euro nicht mehr als ein 3er-BMW
Die Preise für E-Autos bröckeln. Den Anfang macht 2013 der Zoe für gut 20.000 Euro. Die Batterie wird gemietet.
Großer Nachteil der reinen Batterie-Autos ist jedoch ihre begrenzte Reichweite. Ist der Akku leer, müssen sie meist für einige Stunden ans Netz. Doch Abhilfe ist in Sicht. Das erste deutsche Elektroauto, der Opel Ampera, schafft 80 Kilometer elektrisch, danach erzeugt ein Benzinmotor an Bord den benötigten Strom. Das klappt einwandfrei, befand der ADAC. Weil 70 Prozent aller Autofahrten in Deutschland kürzer als 25 Kilometer sind, können Ampera-Kunden überwiegend elektrisch fahren.
Auch Toyota setzt auf die Kombination beider Antriebsarten, um eine größerer Reichweite zu gewährleisten. Die Japaner kündigten in der vergangenen Woche 21 neue Hybridmodelle an. Den ursprünglich hybridskeptischen deutschen Autobauern bleibt da nur, mitzuziehen. Bei BMW, Daimler und VW sind inzwischen Dutzende Hybride in Sicht. VW-Chef Winterkorn erklärte gegenüber der WirtschaftsWoche, den Bau von Hybridautos zu forcieren. Schon 2014 will VW Modelle auf den Markt bringen, deren Batterie sich an der Steckdose wiederaufladen lässt und die 50 Kilometer rein elektrisch fahren. Bis 2015 will der Konzern acht Plug-in-Hybride von Audi, VW und Porsche auf den Markt bringen.
Kürzere Ladepausen dank Starkstrom
Für Stadtautos haben die Hersteller einen weiteren Weg gefunden, um in der Praxis eine größere Reichweite des Stromantriebs sicherzustellen: Schnellladen mit Starkstrom, dann sind Zwischenstopps weniger störend. Siemens und BMW ist es offenbar gelungen, die Ladezeit des ersten BMW-Elektroautos, das Ende 2013 auf den Markt kommt, auf 20 Minuten zu verkürzen. Die Batterie des E-Kleinwagens iQ EV von Toyota, das ebenfalls 2013 erhältlich ist, kann schon in 15 Minuten geladen werden.
Irrtum Nr. 4 - Zu teuer
43.000 Euro für den Opel Ampera klingen nach viel Geld. Ein gut ausgestatteter 3er-BMW kostet aber auch nicht weniger. Dass der Ampera bislang trotzdem nur einige Tausend Käufer in Europa fand, liegt weniger am Preis als am Wiederverkaufswert. Wer heute in ein Elektroauto investiert, weiß nicht, ob es in fünf Jahren überhaupt noch verkäuflich ist: vielleicht weil es dann technisch überholt oder der Akku schwach geworden ist. Das verschreckt Privatkunden, Unternehmen und Leasingfirmen.
Solche Hürden, also hohe Preise und galoppierende technische Entwicklungen, sind aber typische Probleme für neue, viel versprechende Technologien – vor allem, wenn sie gegen wirtschaftlich ausgereizte Platzhirsche antreten. Wird die Technik erst massenhaft produziert, rauschen die Preise in den Keller. Beim Elektroauto ist der erste Preisbrecher schon in Sicht: Ab 2013 bietet Renault den völlig neu entwickelten Kompaktwagen Zoe an. Er kostet rund 20.000 Euro, die Batterie wird risikolos für 70 Euro pro Monat gemietet. Dieser Preissturz ist nach übereinstimmender Expertenmeinung erst der Anfang.
Irrtum Nr. 5 - Auf Subventionen angewiesen
Allein die Batterie für einen Kleinwagen mit 150 Kilometer Reichweite kostet heute durchschnittlich 8.000 Euro. Bei solchen Kosten sei ein Elektroauto nur verkäuflich, wenn der Staat den Kauf mit einer Prämie subventioniert, argumentieren Skeptiker der E-Mobilität. Doch sie verkennen, dass die Autoindustrie in der Lage sein wird, das Problem aus eigener Kraft in den Griff zu bekommen. Kostet die Batterie heute gut 400 Euro pro Kilowattstunde, soll der Preis laut VW-Chef Winterkorn schon bis 2014 auf rund 200 Euro sinken. Fast wöchentlich melden Batterieforscher Fortschritte.
Zudem plant die Autoindustrie eine Alternative zur Batterie: die Brennstoffzelle. Hier tankt der Fahrer Wasserstoff, aus dem dann in der Brennstoffzelle Strom für den E-Motor erzeugt wird. Ein solches Auto fährt mit bis zu 700 Kilometern so weit wie herkömmliche Autos und ist in Minutenschnelle betankt. Daimler will 2015 die B-Klasse mit diesem Antrieb für unter 50.000 Euro auf den Mark bringen. Noch vor wenigen Jahren hätte das Fahrzeug einige Hunderttausend Euro gekostet.