Fahrradbranche „Preissensibilität ist auf dem Fahrradmarkt fast nicht vorhanden“

Die beiden MyBoo Gründer Jonas Stolzkehaben und Maximilian Schay mit einem ihrer Bambus-Fahrräder. Quelle: MyBoo

Der ganz große Corona-Boom ist vorbei: Die Zahl der in Deutschland gebauten Fahrräder sinkt. Hersteller wollen sich deshalb zunehmend in Nischen profilieren – zum Beispiel mit E-Bike-Rahmen aus Bambus.   

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Wer sich Fahrradrahmen vorstellt, denkt an Rohre aus Stahl- oder Aluminium. Aber Bambus? Was abwegig klingt, kann viele Vorteile haben. Denn das Gras ist extrem stabil und leicht. Da Bambus aus Millionen Fasern besteht, federt es die Schwingungen des Rahmens sehr gut ab und eignet sich deshalb hervorragend als Stoßdämpfer. Jonas Stolzke haben diese Vorzüge derart überzeugt, dass er zusammen mit Maximilian Schay vor zehn Jahren den in Schleswig-Holstein beheimateten Fahrradhersteller MyBoo gründete. „Uns hat von Anfang an die Idee fasziniert, Fahrräder aus nachwachsenden Ressourcen herzustellen“, sagt Stolzke. Bambus wachse ganz besonders schnell nach. Zweieinhalb Jahre nach dem Anbau sei das Süßgras bereits 25 Meter hoch und genügend verholzt, um es für die Weiterverarbeitung zu ernten.  

Trotz dieser Vorzüge ist Stolzke in seiner Branche ein Exot. Und auch bei der Fachmesse Eurobike, bei der sich in diesen Tagen in Frankfurt mehr als 1500 Aussteller präsentieren, ist MyBoo ein Nischenanbieter. Das aber kann eine sehr erfolgreiche Strategie sein. Denn inzwischen läuft das Geschäft nicht mehr wie von selbst. In den vergangenen beiden Jahren war die Nachfrage derart gestiegen, dass Kunden oft Monate auf ein neues Rad warten mussten. Seit aber die Pandemie das Leben der meisten Menschen deutlich weniger beeinträchtigt, sinken auch die Verkaufszahlen. In Deutschland wurden im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr weniger Räder montiert, wie der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) zum Auftakt der Messe berichtete. 

Selbst bei E-Bikes gab es einen leichten Rückgang. Dabei haben die Räder mit Elektroantrieb sich in den vergangenen Jahren immer mehr durchgesetzt. Seit 2019 werden in Deutschlandmehr E-Bikes als Fahrräder ohne Zusatzantrieb gebaut. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 1,38 Millionen Räder hergestellt. In den ersten sechs Monaten des Rekordjahres 2021 waren es 1,41 Millionen. Der Verband begründet den leichten Abwärtstrend mit der hohen Inflation und Sorgen um den Ukraine-Krieg. Besonders deutlich fiel der Rückgang bei herkömmlichen Standardfahrrädern aus. 

Das sind Bambusfahrrädersicher nicht. Dabei sind sie keine neue Erfindung, erste Exemplare wurden bereits im 19. Jahrhundert gebaut. Im Zuge der Industrialisierung wurden Stahl und später Aluminium aufgrund ihrer Haltbarkeit und einfachen Reproduzierbarkeit aber immer beliebter. Dass Rahmen auch einmal aus Bambus waren, geriet dagegen in Vergessenheit.  

Sechzig Stunden Handarbeit

Erst in den vergangenen Jahren, in denen Themen wie Nachhaltigkeit und Produktionsbedingungen zunehmend in den Fokus gerückt sind, erlebt der Stoff ein kleines Comeback. Laut einem Report der Duke University in North Carolina verursacht die Herstellung eines Fahrradrahmens aus Aluminium etwa 250 Kilogramm CO2. Bambus dagegen bindet als nachwachsender Rohstoff CO2. Und auch die Weiterverarbeitung zum Fahrradrahmen verbraucht kaum Energie. Das kommt MyBoo auch bei den derzeit steigenden Energiepreisen entgegen.  

Der Kieler Hersteller ist mit über 200 Händlern Europas größter, aber nicht der einzige Anbieter von Bambusfahrrädern. Auch Unternehmen wie Pine, Faserwek und Eker setzen auf die ungewöhnlich Herstellungsweise. Trotz der Konkurrenz ist MyBoo in den vergangenen Jahren allerdings stark gewachsen. Im ersten Coronajahr 2020 hat der Umsatz des Herstellers 50 Prozent zugelegt, 2021 weitere 35 Prozent. 

Dabei profitiert MyBoo davon, dass das Unternehmen nicht so stark unter Lieferschwierigkeiten leidet wie viele andere. Insbesondere in Asien stehen wegen strikter Corona-Beschränkungen immer wieder wichtige Werke still. ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork rechnet damit, dass sich an den Lieferschwierigkeiten bis Ende des Jahres 2023 nichts ändern wird.  

MyBoo ist davon zumindest bei den Rahmen bisher nicht betroffen. Der Bambus wird in Ghana angebaut, geerntet und zu Rahmen weiterverarbeitet. Lockdowns gab es in der Region, in der MyBoo produziert, kaum. „Die Bevölkerung ist jung und es findet fast alles draußen statt. Das Ausmaß war deshalb verhältnismäßig gering“, erklärt Stolzke.  

Der Weg vom Bambusrohr zum Fahrradrahmen ist zeitintensiv: Die Gräser werden von Hand geschliffen und geklebt. Standardisiert werden können die Vorgänge nicht, denn jedes Bambusrohr sieht anders aus. 50 bis 60 Arbeitsstunden fließen in einen Fahrradrahmen. Das hat seinen Preis: Knapp 4000 Euro kostet das günstigste Bambusrad. MyBoo setzt darauf, dass nachhaltigkeitsbewusste Kunden bereit sind, so viel für ein handgefertigtes Rad hinzulegen.

Und die Rechnung scheint aufzugehen: Über tausend Bambusräder hat das Unternehmen im vergangenen Jahr verkauft. „Preissensibilität ist auf dem Fahrradmarkt fast nicht vorhanden“, sagt Stolzke. 

Tatsächlich sind andere E-Bikes kaum günstiger. Im vergangenen Jahr kostete ein E-Bike laut einer Analyse des Vergleichportals guenstiger.de im Schnitt 3680 Euro. Ein möglicher Grund für hohe Zahlungsbereitschaft: Fahrradleasing über den Arbeitgeber. MyBoo beobachtet derzeit einen starken Trend in diese Richtung. Der Preis sei Kunden deutlich weniger wichtig, wenn sie die Kosten in Raten bezahlen könnten, meint Stolzke.   

Auf der Eurobike stellt MyBoo sein bisher teuerstes Produkt vor: ein Bambus-Lastenrad. Der Hersteller hofft damit vor allem die Mitte 20- bis Mitte 30-Jährigen zu erreichen. Denn die hätten häufig immer noch das Bild von E-Bikes im Kopf, die nur alte Menschen fahren. MyBoo will sie von dem Mobilitätskonzept überzeugen, indem sie eine echte Alternative zum Auto bieten. Das Lastenrad bietet Platz für Einkäufe oder Kinder.  

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