Wirtschaft von oben #169 – Energieboom in Patagonien Wieso die Pilotfabrik für deutsche E‑Fuels in Patagonien entsteht

Hier in Patagonien sollen künftig Hunderte Windräder den sauberen Sprit für europäische Autos erzeugen. Die erste Anlage nimmt nun Form an. Quelle: LiveEO/Planet Labs PBC SkySat

Während Kritiker noch an der Zukunft von E-Fuels zweifeln, schafft die deutsche Industrie um Porsche und Siemens Energy in Patagonien Fakten. Das zeigen exklusive Satellitenbilder. Noch in diesem Jahr könnte die erste echte Produktionsstätte ihre Arbeit aufnehmen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Am vergangenen Wochenende sorgte Oliver Blume gleich doppelt für Aufregung. Nicht nur, dass er als designierter Nachfolger von Herbert Diess wohl bald den Volkswagen-Konzern leiten wird. Es war zudem durchgesickert, dass sich der bisherige Porsche-Boss auf einer internen Veranstaltung offenbar gebrüstet hatte, von FDP-Chef Christian Lindner regelmäßig über den Stand der Ampel-Koalitionsverhandlungen zum Thema synthetische Treibstoffe informiert worden zu sein. Ende Juni hatten Linder und die FDP dann noch einmal erbittert in der Koalition darum gerungen, dass der Verkauf neuer Verbrennerautos in der EU auch nach 2035 erlaubt bleibt, wenn sie mit klimaneutralem synthetischen Sprit betrieben werden. Mit Erfolg und zum Glück für Blume.

Denn nun zeigt ein – vergangene Woche eigens für die WirtschaftsWoche aufgenommenes – Satellitenbild, dass die erste große von der deutschen Industrie angestoßene Pilotfabrik für solche sauberen E-Fuels fast fertiggestellt ist. Die Volkwagen-Tochter Porsche, Siemens Energy, ExxonMobile und weitere Partner haben sich zusammen mit dem chilenischen Projekteigner HIF zu einem Konsortium zusammengeschlossen, das die Anlage baut. 130.000 Liter klimaneutrales Benzin soll sie pro Jahr produzieren. 

Das soll aber erst der Anfang des „Haru Oni“ genannten Projekts sein, das gerade nahe der chilenischen Stadt Punta Arenas in Patagonien entsteht. In den nächsten Jahren wollen die Partner es massiv erweitern. Nach der finalen Ausbaustufe soll es ab 2026 rund 500 Millionen Liter sauberen Sprit jährlich liefern – genug, um eine Million Autos ein Jahr lang zu betreiben.


Den Strom für die riesige Produktionsstätte sollen am Ende rund 400 Windturbinen mit einer Gesamtkapazität von mehr als zwei Gigawatt liefern, die das Konsortium in der stürmischen Gegend am Kap Horn aufstellen will. Bis 2024 sollen davon bereits 65 Windturbinen stehen.



Ist E-Fuel wettbewerbsfähig?

Das Projekt ist vor allem deshalb bedeutend, weil Kritiker das aus Strom, Wasser und Luft hergestellte E-Benzin gern als ferne Zukunftsfantasie abtun, während batteriebetriebene Elektroautos schon auf den Straßen unterwegs sind. Außerdem bemängeln sie regelmäßig, dass Verbrennungsmotoren einen geringeren Wirkungsgrad hätten als Elektromotoren. Deshalb seien sie gegenüber E-Autos nicht wettbewerbsfähig. Das liegt unter anderem daran, dass im Verbrenner ein großer Teil der Energie in Form von Wärme an die Umgebung abgegeben wird.

Allerdings lässt sich der grüne Strom, der für saubere E-Fuels nötig ist, in Patagonien deutlich effizienter herstellen als in Deutschland. Während die Windkraftanlagen laut Siemens Energy am Kap Horn 6000 Stunden im Jahr unter Volllast laufen können, sind in der Nordsee aktuellen Berechnungen zufolge nur etwa 3000 Stunden realistisch. Auf dem deutschen Festland ist es noch einmal sehr viel weniger. Die unter Seefahrern seit Jahrhunderten gefürchteten Bedingungen am Kap Horn also dürften den physikalischen Nachteil eines mit E-Fuel angetriebenen Verbrenners zumindest in Deutschland zu einem guten Stück ausgleichen.

Gegenüber fossilem Benzin jedenfalls kann E-Fuel dadurch offenbar durchaus wettbewerbsfähig sein. Das Konsortium kalkuliert in der ersten Ausbaustufe 2024 mit einem Preis pro Liter E-Sprit von 1,30 Euro. Der klimaneutrale Transport bis zur Tankstelle in Deutschland, die Mehrwertsteuer und eine Gewinnmarge inbegriffen. Mit der zweiten Ausbaustufe 2026 streben die Unternehmen einen Literpreis von unter einem Euro an.

So steht es um die Pilotfabrik

Um dieser Vision nahezukommen, muss „Haru Oni“ aber erstmal die Produktion aufnehmen: Auf dem jetzt aufgenommenen Satellitenbild sind die zentralen Komponenten der 51 Millionen Dollar teuren Pilotfabrik bereits deutlich zu erkennen. Ein einzelnes Windrad wird den grünen Strom liefern, mit dessen Hilfe unter anderem ein Elektrolyseur aus Wasser reinen Wasserstoff gewinnt. Eine sogenannte Direct-Air-Capture-Anlage saugt unterdessen CO2 aus der Umgebungsluft.

Eine Anlage zur Methanolsynthese macht aus den beiden Stoffen die Kohlenwasserstoffverbindung Methanol. Die Maschine dafür kommt von der Volkswagen-Tochter MAN. Mit Methanol lassen sich beispielsweise die Schiffe antreiben, die den E-Sprit später nach Europa bringen sollen. Eine weitere Anlage vor Ort verwandelt das Methanol dann in Autobenzin.


Im Süden Chiles gibt es bereits seit langem eine konventionelle Methanolindustrie, die die chemische Verbindung bisher aus fossilem Erdgas der Region herstellt. Der weltweit wichtigste Produzent Methanex aus Kanada aber hatte seine Fertigung vor ein paar Jahren unter anderem aufgrund des Frackingbooms in den USA teilweise in den US-Bundesstaat Louisiana verlegt.

Das Konsortium um Porsche und Siemens Energy, das das traditionelle Geschäft hier nun praktisch auf umweltverträglichere Art wiederbelebt, will jenes grüne Benzin der Pilotfabrik über den Hafen von Punta Arenas nach Deutschland verschiffen. Der Hafen liegt etwa 40 Kilometer südlich der Anlage. Später soll im nur 15 Kilometer entfernten Hafen von Cabo Negro das Treibstoffterminal des chilenischen Mineralölkonzerns Enap genutzt werden, der sich ebenfalls an dem Projekt beteiligt.


Das von deutschen Unternehmen dominierte Konsortium ist aber nicht das einzige, das am Kap Horn mithilfe von Windrädern Treibstoff produzieren will. Der französische Mineralölkonzern Total hat sich hier das Land für eine gewaltige Windfarm mit bis zu zehn Gigawatt Leistung gesichert, um per Grünstrom Wasserstoff und dann Ammoniak herzustellen. Eine Verbindung, mit der sich künftig wie mit Methanol Schiffe antreiben lassen. Und es gibt weitere ähnliche Zusammenschlüsse.

Die erste größere Anlage für E-Fuel in Europa, die mit deutscher Beteiligung in einem Fjord im Norden von Norwegen entstehen soll, hat dagegen gerade einen Rückschlag erlitten. Der ETS Innovationsfonds der Europäischen Kommission hat eine Förderung abgelehnt. Dadurch verzögere sich das Projekt in Mosjøen, sagt Nils Aldag, dessen Unternehmen Sunfire aus Dresden die Elektrolyseure beisteuern soll. Die Technik zur CO2-Gewinnung aus der Luft soll vom Schweizer Unternehmen Climeworks kommen.


Neueste Satellitenbilder zeigen am geplanten Standort bisher keine Fortschritte. Anders als die Anlage in Patagonien legt die in Norwegen ihren Fokus auf klimaneutrales Flugbenzin. Das ist vor allem dann unverzichtbar, wenn Airlines ihre Langstreckenflüge weitgehend klimaneutral gestalten wollen. Hier gelten Elektro- und Wasserstoffantrieb technologisch als nicht praktikabel.

Durch die Verzögerung beim norwegischen Vorhaben bleiben Siemens Energy, Porsche und ihre Partner vorerst die Technologieführer, wenn es um neuartigen klimaneutralen E-Sprit geht. Der FDP und ihrem Porsche-fahrenden Chef Christian Lindner jedenfalls dürfte die neue Fabrik in Patagonien helfen, ihre Ablehnung eines kompletten Verbrennerverbots zu rechtfertigen.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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