Einer der letzten Unimogs Wenn das Universal-Motor-Gerät durch den Weinberg tuckert

Der Unimog aus dem Jahre 1976 wird noch immer zur Arbeit in den Weinbergen genutzt. Quelle: Harry Steininger

Natürlich lassen sich Weinberge heute komfortabler bestellen – doch Winzer Andreas Rauscher will seinen Unimog nicht missen. Nicht umsonst rühmte der frühere Daimler-Chef Dieter Zetsche den Unimog einst als John Wayne unter den Nutzfahrzeugen. Eine Bildreportage.

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An Tagen wie diesen hat Andreas Rauscher für den großen Stern auf dem Mercedes-Museum keinen Blick. Zwar dreht der sich nur einen guten Steinwurf von seinem Arbeitsplatz entfernt am Horizont. Doch als Winzer an den Neckarhängen von Obertürkheim ist der junge Schwabe gerade zu sehr mit dem Stutzen der Triebe beschäftigt, als dass er lange den Blick schweifen lassen könnte. Außerdem muss er nicht in der Ferne nach den Sternen schauen, sondern nur vor seiner Brust. Denn wenn er nicht zu Fuß durch die steilen Hänge stiefelt oder unten im Tal hinter dem Tresen seiner Besenwirtschaft steht, sitzt er in einem Unimog und kurvt durch die Weinberge. Genau wie es schon sein Vater getan hat und wiederum dessen Vater zuvor.

Der Unimog wird von Generation zu Generation weitergereicht und ist älter als Andreas Rauscher. Während der jüngste Spross der Winzer-Familie erst 1985 geboren wurde, ist der weinrote 412er Baujahr 1976 und nach ein paar Jahren im Werksfuhrpark exakt seit dem Geburtsjahr des Juniors nun bei den Rauschers im landwirtschaftlichen Dienst.

Diesen Veteran in Rauschers 5,5 Hektar großen Weinberg zu fahren, braucht allerdings eine gewisse Übung – nicht nur, weil die Gassen in Obertürkheim bisweilen arg eng und die Feldwege darüber entsprechend steil sind. Sondern vor allem, weil die Technik aus einer Zeit stammt, als man die Menschen am Lenker noch ehrfürchtig Kraftfahrer nannte: Man braucht schon ein paar Muskeln, um das Lenkrad in den Serpentinen durch die Reben herumzureißen, jeder Gangwechsel ist ein Kraftakt, und weil das Getriebe nicht synchronisiert ist, muss man beim Schalten auch noch Zwischengas geben – und das alles, während der Unimog in Zeitlupe wie eine Bergziege durch den Wingert kraxelt und links und rechts die Reben für den Trollinger so dicht stehen, dass man die Triebe fast aus dem Fenster heraus schneiden könnte.

Gedacht war der Unimog als eine Mischung aus Traktor und Lastwagen und wurde so zum Inbegriff des Ackerschleppers. Quelle: Harry Steininger

Wo sich Laien am Lenkrad bisweilen etwas schwertun, steuert Andreas Rauscher den Veteranen virtuos durch den Wingert. Kein Wunder, denn Unimog fahren konnte er schon lange, bevor er Autofahren durfte, ruft er in den Lärm des Diesels, der tapfer unter der buckligen Haube tuckert.

Geschwindigkeitsrekorde darf man hier keine erwarten. Schließlich entwickelt der 2,4 Liter große Diesel gerade einmal 52 PS. Aber dafür jede Menge Kraft: „Kein Berg ist ihm zu steil und kein Anhänger zu schwer“, erzählt der Winzer. Und wenn er doch mal unten im Tal auf der Straße unterwegs ist, schafft er immerhin 67 km/h. Selbst ins über 60 Kilometer entfernte Heilbronn hat er es so schon mal geschafft, erzählt Rauscher von einer Spritztour, die so zum Tagesausflug wurde. Aber in der Regel schleppt der Unimog nur seine zwei Anhänger die paar Kilometer zur Winzergenossenschaft. Oder er wird mal als Hochzeitsauto zweckentfremdet – aber da haben die Passagiere dann auch keine Eile und kosten jede Minute aus.

Der Besitzer ist jünger als sein Gefährt: Weinbauer Andreas Rauscher bestellt die steilen Hänge im Neckar-Kessel im Unimog - und denkt nicht im Traum daran, das zu ändern. Quelle: Harry Steininger

Natürlich lassen sich Weinberge heute komfortabler bestellen, räumt Rauscher ein und erzählt von Kollegen, die längst auf moderne Traktoren umgestellt haben. Hatte hier früher jeder zweite Winzer einen Unimog, ist seiner heute einer der letzten. Doch die Traktoren mögen vielleicht einfacher im Handling sein, aber eben nicht im Einsatz. Denn was als Trecker zwischen den Reben fahren kann, das ist für den Straßenverkehr zu klein. Und wenn es darum geht, die Lese einzufahren und die Trauben zur Kelter zu bringen, mangelt es ihnen an Zugkraft.

Da wird der rote Rentner seinem Namen mal wieder völlig gerecht – nicht umsonst steht Unimog für Universal-Motor-Gerät. Die Idee vom universellen Einsatz war der Grundgedanke, mit dem vor exakt 75 Jahren die ersten Prototypen des vielleicht berühmtesten Nutzfahrzeugs im Land auf die Räder gestellt wurden. Gedacht war der Unimog als eine Mischung aus Traktor und Lastwagen und wurde so zum Inbegriff des Ackerschleppers.

Wendig und kraftvoll fährt der Unimog auch steile Wege hoch. Quelle: Harry Steininger

Aber mit seiner rustikalen, unverwüstlichen Technik, den vielen Anschlussmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Zusatzgeräte und der schier endlosen Traktion des zuschaltbaren Allradantriebs hat er es auch weit jenseits der Landwirtschaft zu Ruhm gebracht: Er war und ist die erste Wahl als Dienstwagen von Stadtreinigern, Feuerwehrleuten und Katastrophenschützern, schleppt im Werksverkehr als Zwei-Wege-Fahrzeug auf Schienen ganze Züge und bringt Forscher oder Abenteurer in die entlegensten Winkel der Welt.

Und beim Militär hat er ebenfalls Karriere gemacht. Macher loben die Summe seiner Allrounder-Eigenschaften, die ihn zum unverzichtbaren Helfer und zum sympathischen Helden machen. Und Manager sein Image. So rühmte der einstige Daimler-Chef Dieter Zetsche den Unimog als John Wayne unter den Nutzfahrzeugen: „Der braucht keine Straße, sondern nur einen Auftrag“, schwärmte er.

Um diesen alten Unimog zu fahren, braucht es schon eine gewisse Übung - erst recht, wenn man Servolenkung und Doppelkupplungsgetriebe gewohnt ist. Quelle: Harry Steininger

Seine Entstehung verdankt das Universal-Motorgerät dem amerikanischen „Morgenthau-Plan“, nachdem Deutschland in ein fabrikloses Agrarland verwandelt werden sollte. Diese trüben Aussichten beflügelten den Erfindergeist von Albert Friedrich, der zum Kriegsende die Flugmotoren-Konstruktion von Daimler-Benz geleitet hat und für seinen eigentlichen Job so schnell keine Zukunft mehr gesehen hat. In ihm reifte die Idee für ein universell einsetzbares und extrem geländegängiges Fahrzeug, das mit seinen vielseitigen Fähigkeiten alle Bedürfnisse des zu befürchtenden Bauernstaates befriedigen sollte. Deshalb erstellte Friedrich zusammen mit seinem Kompagnon Heinrich Rößler im Spätsommer 1945 ein Lastenheft, das nicht nur hohe Bodenfreiheit, steile Böschungswinkel und vorbildliche Traktion forderte.

Darüber hinaus standen darin auch eine Ladefläche, mindestens einer Tonne Tragkraft, zahlreiche „Zapfwellen“ für den Betrieb von Zusatzgeräten, ein Geschwindigkeitsbereich von 3 bis 50 km/h, eine standfeste Bremsanlage und ein halbwegs komfortables Fahrerhaus mit mindestens zwei Sitzplätzen. Wer sich für den Unimog entscheide, so die Idee der Planer, der könne im Ernstfall auf seinen Traktor, den Pritschenwagen und den Pkw verzichten.

Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 67 km/h - tapfer schleppt der Veteran sich auch nach 75 Jahren zur Winzergenossenschaft. Quelle: Harry Steininger

Weil Daimler zu dieser Zeit vollauf damit beschäftigt war, in Untertürkheim die Pkw-Produktion wieder in Gang zu bringen, mussten sich Friedrich und Rößler für die Produktion nach anderen Partnern umsehen. Fündig wurden sie zunächst bei „Eberhard & Söhne“ in Schwäbisch Hall, wo nach einem langwierigen Genehmigungsprozess der amerikanischen Besatzungsmacht im Herbst 1946 die ersten zehn Prototypen gebaut wurden. Sie stellten im Frühjahr 1947 ihre Tauglichkeit vor den Landwirtschaftlichen Bundesbehörden und dem „Kuratorium für Technik in der Landwirtschaft“ eindrucksvoll unter Beweis, weil sie ein gemeinhin als unpassierbar geltendes Waldstück ohne Probleme meisterten. In der nächsten Phase wechselte das Projekt zu den Gebrüdern Boehringer nach Göppingen, wo Ende 1947 die Produktion ins Auge gefasst wurde. Die treibende Kraft jedoch sollte weiter aus Stuttgart kommen. Denn als Motor war ein Diesel von Daimler auserkoren.

Die Reaktion bei der Publikumspremiere auf der DLG-Ausstellung 1948 in Frankfurt waren überwältigend und die Auftragsbücher nach der Messe prall gefüllt. Um die Nachfrage zügig befriedigen zu können, hätten in Göppingen über 40 Unimogs pro Monat montiert werden müssen. Doch die dafür nötigen 20 Millionen Mark konnte Boehringer nicht aufbringen. Deshalb meldete sich Daimler wieder zu Wort. Und statt längerfristiger Lieferverträge für die Motoren stand am Ende der Verhandlung eine komplette Übernahme. Die Produktion wurde nach Gaggenau im Schwarzwald verlagert und das Markenzeichen mit dem Kopf des Zuchtbullen um den Mercedes-Stern ergänzt.

 Der Fahrerkabine sieht man an, dass der Unimog als Arbeitstier genutzt wird Quelle: Harry Steininger

Der Stern an Rauschers Exemplar hat seine Strahlkraft mittlerweile ein wenig eingebüßt, ist stumpf geworden und wird längst nur noch von Kabelbindern am Kühlergrill gehalten. All die Jahre auf dem Weinberg haben ihre Spuren am Unimog hinterlassen. Der Lack ist matt und schrammig, das Leder der Sitze speckig, die Nähte sind aufgeplatzt und die Kabine starrt vor Schweiß, Staub und Dreck. Klar, wenn tatsächlich mal was kaputtgehen sollte, dann lässt es Rauscher natürlich gleich reparieren, selbst wenn er sich außer an eine streikende Lichtmaschine in den letzten Jahrzehnten an kaum einen Defekt erinnern kann. Doch den Wagen zu polieren oder gar zu restaurieren, das kommt dem Winzer nicht einmal im Traum in den Sinn. „Spätestens in ein paar Jahren sieht der doch wieder so aus“, sagt er beim Viertele in seiner Besenwirtschaft.

Und ein paar Jahre wird der Unimog schon noch machen müssen. Ein paar viele. Denn einen anderen Wagen für seinen Weinberg kann sich der Winzer beim besten Willen nicht vorstellen.

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