Elektromobilität „Wir könnten unsere Flotte als fahrenden Speicher anbieten“

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„Allein in Europa werden sechs Gigafactories benötigt“

Über wie viele E-Autos reden wir von 2030 an pro Jahr? Und wie viele Gigawattstunden Zellen brauchen Sie dann?
Wir haben gerade unsere interne Prognose von 30 auf 60 Prozent E-Autos ab 2030 erhöht. Das entspricht einer jährlichen E-Auto-Produktion im mittleren einstelligen Millionenbereich. Der Hauptgrund dafür ist der europäische ‚Green Deal‘, mit der die Europäische Union 2050 als erster Kontinent klimaneutral werden will. Hierdurch wird die Nachfrage massiv befeuert, ebenso wie in den USA und Asien durch ebenfalls ambitionierte Klimaziele. Allein in Europa werden wir deshalb etwa 240 Gigawattstunden Batteriezellen pro Jahr benötigen, also sechs Gigafactories mit jeweils rund 40 Gigawattstunden Jahresproduktion.

Stehen alle Standorte schon fest?
Neben den Standorten in Schweden und Salzgitter wünschen wir uns eine dritte Batteriezellproduktion in Spanien, und bewerben uns dort auch um entsprechende Fördermittel. Für die weiteren drei Fabriken suchen wir Standorte, unter anderem in Osteuropa.

Eigene Zellfabriken sind gut, lindern aber keine Rohstoffengpässe. Was unternimmt VW, wenn die Knappheit bei einigen Batterierohstoffen zunimmt?
Wir bemühen uns um ein breites Netz an Bezugsquellen und müssen auch selber ins Rohstoffgeschäft einsteigen. Dazu sehen wir uns die gesamte Prozesskette von der Mine bis zum Recycling an. Wir werden auch eigene Lieferverträge direkt mit Rohstoffproduzenten abschließen. Man sollte zudem die technische Wandlungsfähigkeit der Industrie nicht unterschätzen: Neue Zellchemien wie kobaltfreies Lithium-Eisenphosphat – LFP – oder besonders manganreiche Kathoden werden Entlastung bei den Rohstoffen bringen.

Ausgerechnet Greenpeace, BUND und weitere große Hilfsorganisationen setzten sich für den Umstieg aufs Elektroauto ein – trotz des Skandalrohstoffes Kobalt. Wie kann das sein?
von Martin Seiwert

Die aber in einigen Parametern deutlich weniger leisten als die heute dominierende Zelle mit Kobalt und Nickel.
Das wird sich dann auf die unterschiedlichen Automodelle und Kundenwünsche am Markt verteilen. Die heute technisch führenden Zellen mit Nickel, Mangan und Kobalt, NMC, werden noch eine Weile Mainstream im Auto sein. Letzten Endes entscheiden unsere Kunden: Im Kleinwagen- oder Lieferwagen-Segment etwa, wo superschnelles Laden und maximale Reichweite vielen nicht so wichtig sind wie Haltbarkeit und Preis, wird die Lithium-Eisenphosphat-Zelle Marktanteile erobern. Die aktuelle Reichweitenolympiade wird auslaufen.

Wie das?
Reichweitenmaximierung ist jetzt, wo das Thema so stark im Kundenfokus steht, noch ein Differenzierungsfaktor für die Hersteller. Langfristig aber sind den meisten Kundinnen und Kunden ein gutes Ladenetz, Preis und Nachhaltigkeitskriterien wichtiger. In den Verbrenner hat man ja auch nicht immer größere Tanks gebaut, obwohl es technisch machbar ist. Wenn es genügend Schnellladesäulen gibt, sind auch kleinere und günstigere Batterien eine gute Option für viele Kunden.

Das Batterie-Geschäft boomt. Vor allem wegen der Nachfrage nach Elektroautos. Die deutsche Industrie profitiert davon aber kaum. Schuld ist sie selbst: Deutsche Manager waren zu knausrig und zu ambitionslos.
von Stefan Hajek

Können Sie Ihre Produktion bei Bedarf auf die neuen Zellformate umstellen?
Ja, das haben wir geprüft. Lithium-Eisenphosphat-Zellen können wir problemlos in Salzgitter fertigen, auch manganreiche Zellen, die weniger Nickel und kein Kobalt enthalten. Diese Formate lassen sich zum größten Teil auf den gleichen Anlagen bauen, auf denen zunächst die heute gängige NMC-Zelle vom Band laufen wird.

Zusammen mit dem US-Startup Quantumscape will VW auch eine Festkörperzelle entwickeln. Zuletzt gab es jedoch Zweifel an den Fortschritten der Kalifornier. Braucht VW für den Festkörper nicht noch andere Partner?
Wir sehen hierzu keinen Anlass. Bisher hat Quantumscape die gesetzten technischen Meilensteine alle erreicht. Wir testen die Zellen regelmäßig selbst und sehen gute Fortschritte. Trotzdem beobachten wir selbstverständlich alle technologischen Fortschritte auf dem Markt.

Warum dauert es so lange?
Wir wissen, dass die Festkörperzellen im Labor funktionieren. Bei der Fertigung sind sie von allen heute entwickelten Zellformaten das anspruchsvollste, wobei das Hochskalieren aus dem Labor in die industrielle Großserie die größte Hürde ist. Wir haben große Erfahrung im Skalieren und werden das sicher meistern. Aber es wird dann noch eine Weile dauern, bis die technisch funktionierenden Schritte wirtschaftlich Sinn ergeben. Damit rechnen wir ab Mitte des Jahrzehnts.

Sind neben den heutigen Partnern Quantumscape, Northvolt und Getion auch weitere Bündnisse denkbar, eventuell sogar mit direkten Wettbewerbern?
Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bald viele neue Partnerschaften in der Batterie und Ladeinfrastruktur sehen. Darunter bisher ungewöhnliche Konstellationen mit Partnern von außerhalb der Batterie- und Autoindustrie. Energieversorger etwa sind in dieser historischen Transformation ein natürlicher Partner für E-Auto-Hersteller. Sie brauchen günstige Batterien, die wir oder unsere Kunden massenweise besitzen; und wir brauchen für eben diese Kundinnen günstigen Strom. Es wäre sehr verwunderlich, wenn die Energiewirtschaft diese historische Chance nicht ergreifen würde.

Wie könnte so eine Partnerschaft konkret aussehen?
Wir könnten unsere Flotte als fahrenden oder parkenden Speicher anbieten. Die Energiewirtschaft wird in den nächsten Jahren sehr viel Speicher benötigen. E-Autos können das 7- bis 10-Fache ihres durchschnittlichen täglichen Fahrstrombedarfs speichern. Für das Recht, die Autobatterien zum Beispiel als Puffer für erneuerbare Energien zu nutzen, könnten die Stromversorger ihren Kunden günstigen Ladestrom anbieten, oder sie direkt monetär entschädigen.

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Oder Sie als Hersteller könnten die Batterien ihren Kunden nur leihen und selbst das Geschäft mit den Stromversorgern machen?
Auch das. Da ist Spielraum für sehr viele zukunftsfähige Geschäftsmodelle.

Mehr zum Thema: Die Batterie ist die größte Schwäche des Elektroautos: Sie lädt zu langsam, ist im Winter schwach, vor allem zu teuer. Doch nun häufen sich spektakuläre Forschungserfolge. Dank neuer Materialien könnten Elektroautos bald billiger sein als Verbrenner.

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