
Kein Grund zur Sorge, sagt Christian Malorny, Experte für E-Mobilität bei der Unternehmensberatung McKinsey: „Deutschland ist kein Leitmarkt, aber ein Leitanbieter von E-Fahrzeugen. Bei aller Kritik am langsamen Vorankommen der E-Mobilität in Deutschland darf man nicht vergessen: Drei Viertel aller Autos aus deutscher Produktion gehen in den Export.“ Die vielen Hybridmodelle, die etwa Mercedes für die nächste Zeit angekündigt habe, sicherten also deutsche Arbeitsplätze, vor allem für Ingenieure.
Die Unterscheidung zwischen „Leitmarkt“ und „Leitanbieter“ ist kein akademisches Geplänkel, sondern ein offener Affront gegen die Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel. Die hatte vor knapp fünf Jahren proklamiert, Deutschland solle weltweit zum „Leitmarkt“ für Elektromobilität werden, also eine führende Nation bei Produktion und Einsatz von Elektroautos. Dazu berief Merkel sogar eine Nationale Plattform Elektromobilität ein. Das Megagremium aus Experten und Unternehmensvertretern sollte helfen, dass im Jahr 2020 eine Million E-Mobile auf deutschen Straßen fahren.
Die größten Hersteller von Elektroautos in Deutschland
Ford: 59 zugelassene Elektroautos
Seit 2013 hat Ford den Focus Electric im Angebot. Doch der große Erfolg blieb dem E-Focus bislang verwehrt: In Deutschland wurden bis zum ersten Halbjahr 2014 gerade einmal 59 Fahrzeuge zugelassen.
Tesla: 638 zugelassene Elektroautos
Mit dem Roadster wurde Tesla einst als Elektropionier gefeiert, auch das aktuelle Model S sorgt für Furore. Doch der Aufschwung scheint gerade erst zu kommen: Bereits im ersten Halbjahr 2014 wurden mehr als doppelt so viele Elektroautos von Tesla verkauft als im ganzen Jahr 2013.
Mitsubishi: 926 zugelassene Elektroautos
Mitsubishi zehrt bei den Elektroautos noch von den Erfolgen des iMiev aus dem Jahr 2011. Damals konnten die Japaner mangels Konkurrenz fast 700 Elektroautos verkaufen. Doch seitdem hat das Interesse am iMiev in Deutschland stark abgenommen, weshalb bis heute nur noch knapp 200 weitere Fahrzeuge dazugekommen sind.
Citroën: 948 zugelassene Elektroautos
Wie bei Mitsubishi ist die erste Welle des Elektro-Erfolgs bei Citroën wieder abgeklungen. Kein Wunder, schließlich ist der C-Zero der Franzosen mit dem Mitsubishi iMiev baugleich. Er hatte 2012 sein bestes Jahr, danach retteten noch einige Zulassungen für das Citroën-eigene Carsharing die Statistik.
Opel: 1450 zugelassene Elektroautos
Kein Elektroauto verkaufte sich so gut wie der Opel Ampera. Leider gilt das nur für das Jahr 2012. Seitdem ging es mit den Ampera-Zulassungen bergab, von 828 im Jahr 2012 auf 335 im Jahr 2013. Seit Jahresbeginn 2014 fanden nur noch 46 Amperas einen Käufer.
Nissan: 1712 zugelassene Elektroautos
Bei Nissan sind die Zulassungszahlen für den Leaf konstanter. Nach dem Anlauf-Jahr 2012 fanden im vergangenen Jahr 855 Leafs einen Abnehmer. Im ersten Halbjahr 2014 waren es wieder knapp 400, womit das Gesamtjahr auf dem Vorjahresniveau liegen könnte.
Renault: 1801 zugelassene Elektroautos
Mit ihrer Submarke Renault Z.E. gelten die Franzosen als Vorreiter im Elektromarkt. Neben den 1532 Zoe haben seit der Erfassung 2011 auch 269 Fluence Z.E. einen Käufer gefunden. Doch der Erfolg könnte noch größer sein: Der ausgefallene Twizy taucht in der Statistik nicht auf – er zählt offiziell als Quad.
BMW: 1935 zugelassene Elektroautos
Quasi aus dem Stand schafft es BMW auf das Treppchen. Obwohl der i3 erst im November 2013 auf den Markt gekommen ist, brachte er es bis Jahrsende auf 559 Zulassungen. Bis Ende Juni 2014 kamen 1376 weitere dazu.
Volkswagen: 2050 zugelassene Elektroautos
Beim größten deutschen Autohersteller wurde die Elektromobilität lange stiefmütterlich behandelt. Doch mit dem Start des E-Up und des E-Golfs stiegen die Zulassungen rapide an. Im ersten Halbjahr 2014 lagen beide Modelle mit knapp über 500 Zulassungen fast gleichauf. Der E-Up konnte aber 2013 schon 785 Zulassungen absahnen, als der Elektro-Golf noch gar nicht auf dem Markt war.
Daimler: 3612 zugelassene Elektroautos
Die Kleinwagenmarke Smart führt Daimler an die Spitze. Die drei Zulassungen des sündhaft teuren Elektro-SLS sind vernachlässigbar, ebenso die Elektro-B-Klasse. Den Großteil holt Daimler mit dem Smart electric drive, von dem alleine 2013 fast 1900 Exemplare zugelassen wurden. Daran ist das hauseigene Carsharing Car2go nicht unschuldig.
Quelle: Statista.de, Stand 1. Halbjahr 2014
Doch je mehr Zeit ins Land geht, desto klarer erweist sich sowohl dieses Ziel als auch die ganze Politplattform als Irrung. Das zeigt der neu gefasste Elektromobilitätsindex EVI, den McKinsey regelmäßig exklusiv für die WirtschaftsWoche erstellt. Denn das Ranking erfasst künftig getrennt den Markt für Elektroautos in einem Land, also den Absatz. Parallel dazu wird gemessen, wie groß die Produktion von E-Autos ist. Bisher ergab dies einen einzigen Wert, um festzustellen, welches Land sich zum Leitmarkt entwickelt.
Doch diese Rechnung verdeckt wichtige Entwicklungen. Erstens ist Deutschland eine gespaltene Nation und liegt beim Einsatz der Elektroautos abgeschlagen auf Platz elf. Gleichzeitig haben deutsche Hersteller bei der Produktion aber China überholt und rangieren auf Platz zwei hinter Japan, sind also Weltspitze.
Zweitens zeigt China, wie der Staat E-Mobilität durch massive Förderung beschleunigen kann. Das Land ist deswegen bei der Nachfrage nach E-Autos vom neunten auf den sechsten Platz gesprungen. Grund dafür ist der Fünfjahresplan, der vorsieht, dass bis Ende 2015 eine halbe Million und 2020 fünf Millionen Autos mit Elektro- und Hybridantrieb auf Chinas Straßen unterwegs sind. Bisher sind es nur 39.000. Gleichzeitig stellen die Zentral- und Regionalprovinzen ihre Fuhrparks um. Von 2016 an sollen jährlich 30 Prozent aller rund 550.000 Regierungsfahrzeuge durch E-Mobile ersetzt werden.
„Dieses Ziel wird die lokale Fertigung von E-Autos signifikant erhöhen“, ist Malorny sicher. Hinzu kommt ein Schwenk der Regierung, den Autoverkehr künftig auch mithilfe der Ausländer zu elektrifizieren. „Die chinesische Regierung hat weitestgehend ihre strikte Haltung aufgegeben, inländische Hersteller mit eigenen E-Modellen aufbauen zu wollen“, sagt der McKinsey-Berater.
Drittens kommen dadurch auch deutsche Fabrikate in den Genuss von Zuschüssen, Steuervergünstigungen sowie von Privilegien im Straßenverkehr in Megacitys wie Shanghai und Peking. Das zeigt das Beispiel Daimler. Der Stuttgarter Autobauer entwickelte mit dem chinesischen Partner BYD das Elektroauto Denza. Der Kompaktvan kostet umgerechnet rund 45.700 Euro. Alle staatlichen Förderungen eingerechnet muss ein Käufer jedoch nur 17.700 Euro bezahlen – macht Vergünstigungen im Wert von 28.000 Euro.
Experten glauben deshalb, dass China die westlichen Hersteller benötigt und dass die deutschen Autobauer China brauchen, um bei ihren teuren Elektro- und Hybridautos auf relevante Stückzahlen zu kommen. Dass BMW, VW oder Tesla ihre E-Autos in Zukunft auch in China produzieren, ist für manche nur eine Frage der Zeit – und für deutsche Politiker das endgültige Ende des Traums vom „Leitmarkt“ für Elektromobilität.