Entwicklungslabor Le Mans Wie viel Rennwagen in Ihrem Auto steckt

Am Wochenende fahren Audi, Porsche und Toyota beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans um die Wette. Dabei suchen sie nicht nur einen sportlichen Sieger – sondern auch die Technik für die Straßenautos für morgen.

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24 Stunden von Le Mans Quelle: Presse

„Win on Sunday, sell on Monday.“ Mit dieser Weisheit haben die Autobosse jahrzehntelang die Millionen-Summen rechtfertigt, die sie in den Motorsport pumpen. Ein Pokal im Rennen am Sonntag samt Siegerfoto in den Tageszeitungen demonstriere die technische Überlegenheit eines Autobauers viel besser als jede Werbeanzeige, so die Devise. Die Verkäufe würden dann am nächsten Tag nur so sprudeln.

Beim Image liegen jedoch Welten zwischen den Hightech-Rennern und den Familienkutschen oder Kleinwagen, die die Hersteller wirklich verkaufen. Ob Mercedes nach dem Doppelsieg von Lewis Hamilton und Nico Rosberg beim Formel-1-Rennen in Kanada am vergangenen Wochenende auch nur ein Auto mehr verkauft hat, darf also stark bezweifelt werden.

Die neuen Kraftprotze
Sie sind verflucht schnell, aber auch verdammt kompliziert: Die Rennwagen mit Hybridantrieb, die am kommenden Wochenende bei den 24 Stunden von Le Mans an den Start gehen und in der WEC um den Titel des Langstrecken-Weltmeisters kämpfen. Die so genannten Le Mans-Prototypen (LMP1) sind technische Wunderwerke, aerodynamisch perfektioniert, ultraleicht und mit enormem Aufwand auf höchste Effizienz getrimmt. Technische Basis für die Fahrzeuge ist eine ausgeklügelte Formel, die den Kraftstoffverbrauch limitiert und die Potenziale zur Energie-Rückgewinnung auf der Strecke belohnt. Wie dieses Ziel erreicht wird – mit welchen Motoren, Energiespeichern und Rekuperationstechniken – bleibt den Herstellern überlassen. So sehen die Super-Rennwagen von Audi und Porsche, Toyota und Nissan zwar auf den ersten Blick ganz ähnlich aus. Bei näherem Hinsehen zeigen sich jedoch große Unterschiede. Quelle: Audi
Toyota TS040 HybridDer Langstrecken-Weltmeister des Vorjahres geht in Le Mans mit einem weiterentwickelten Hybridsystem an den Start. Angetrieben wird die Flunder von einem Achtzylinder-Saugmotor mit 3,7 Litern Hubraum und einer Leistung von offiziell über 530 PS, der an der Hinterachse arbeitet. Ihm assistiert ein Elektromotor, der über 300 PS mobilisiert. Toyota gewinnt Bremsenergie an der Vorderachse zurück und speichert diese in einem Kondensator, einem so genannten Supercap. Dieser hat zwar nur eine eingeschränkte Speicherkapazität, ist aber in der Lage, die gespeicherte Energie in weniger als drei Sekunden ins Antriebssystem zurück zu speisen. Toyota startet in der sogenannten Sechs-Megajoule-Klasse – so viel elektrische Energie steht den Japanern pro Runde zur Verfügung. Quelle: Toyota
Toyota tritt dieses Jahr in Le Mans mit zwei Autos an. Wagen Nummer 1: Sébastien Buemi (Schweiz), Anthony Davidson (England), Kazuki Nakajima (Japan)Wagen Nummer 2: Alex Wurz (Österreich), Stéphane Sarrazin (Frankreich), Mike Conway (England) Quelle: Toyota
Audi R18 e-tron quattroDas allradgetriebene Auto des 13-fachen Le Mans-Siegers wird wie schon im Vorjahr von einem Sechszylinder-Dieselmotor mit vier Litern Hubraum angetrieben, der dank Turboaufladung auf eine Leistung von 558 PS (21 PS mehr als im Vorjahr) und ein Drehmoment von über 850 Newtonmeter kommt. Weil das Auto diesmal in der Klasse 4 Megajoule startet (so viel elektrische Energie darf das Auto pro Runde maximal verbrauchen), wurde auch der Elektromotor des Hybrid-Systems stärker: Er bringt nun 272 PS auf die Vorderachse und damit 40 PS mehr als im Vorjahr. Die beim Bremsen anfallende Energie wird wieder in einem Schwungrad zwischengespeichert. Quelle: Audi
Audi tritt wie gewohnt mit drei Autos an. Obwohl die Ingolstädter 2014 in Le Mans gewonnen haben, kleben dieses Jahr die Startnummern 7, 8 und 9 auf den Karbonflundern. Die Startnummern stammen aus der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC. Und die hat vergangenes Jahr Toyota gewonnen.Wagen Nummer 7: André Lotterer (Deutschland), Benoit Tréluyer (Frankreich), Marcel Fässler (Schweiz)Wagen Nummer 8: Oliver Jarvis (England), Lucas di Grassi (Brasilien), Loic Duval (Frankreich)Wagen Nummer 9: Marco Bonanomi (Italien), Filipe Albuquerque (Portugal), René Rast (Deutschland) Quelle: Audi
Porsche 919 Hybrid Bei der zweiten Generation des Porsche 919 Hybrid koppeln die Stuttgarter einen kleinen, leichten und sparsamen Vierzylinder-Benziner mit einem leistungsstarken Elektroantrieb. Der turboaufgeladene Verbrennungsmotor mit zwei Litern Hubraum wirkt auf die Hinterachse und kommt auf eine Leistung von deutlich über 500 PS. Das E-Kraftwerk an der Vorderachse leistet über 400 PS – genauere Zahlen nennt Porsche nicht. Nur so viel: In Summe mobilisiert der Antrieb knapp 1000 Pferdestärken. Energie gewinnt Porsche gleich auf zweierlei Weise zurück. Genutzt wird nicht nur die Bremsenergie an der Vorderachse, sondern mit Hilfe einer Turbine und eines Stromgenerators auch die Abgasströmung. Gespeichert wird der Recyclingstrom in einer flüssigkeitsgekühlten Lithium-Ionen-Batterie – einer Eigenentwicklung von Porsche. Bis zu 8 Megajoule elektrische Energie darf der Rennwagen pro Runde zurückgewinnen – mehr ist derzeit nicht erlaubt. Quelle: Porsche
Beim Debüt 2014 trat Porsche noch mit zwei Autos an und erlaubte sich bei den Startnummern ein kleines Zahlenspiel: Ein Wagen fuhr mit der 20, der andere mit der 14. Da die Zuffenhausener dieses Jahr aber drei Autos ins Rennen schicken, klappt das nicht mehr.Wagen Nummer 17: Timo Bernhard (Deutschland), Mark Webber (Australien), Brendon Hartley (Neuseeland)Wagen Nummer 18: Romain Dumas (Frankreich), Marc Lieb (Deutschland), Neel Jani (Schweiz)Wagen Nummer 19: Nico Hülkenberg (Deutschland), Earl Bamber (Neuseeland), Nick Tandy (England) Quelle: Porsche

Wenn schon nicht beim Image, dann können die Autobauer wenigstens bei der Technik profitieren. Seit je her gilt der Motorsport als Spielwiese für Tüftler und Ingenieure, zahlreiche Erfindungen haben es über die Jahre von der Rennstrecke auf die Straße geschafft: Benzindirekteinspritzung, bessere Getriebe oder Leichtbau mit Kohlefasern zum Beispiel. Doch stockte der Technologietransfer aus der Formel 1.

Audi will nicht in die Formel 1

Wohl auch ein Grund für Audi, der selbsternannten Königsklasse fern zu bleiben – obwohl den Ingolstädtern nicht erst seit dem Abgang von VW-Patriarch Ferdinand Piëch Ambitionen nachgesagt wurden. Zuletzt wiederholte Audi-Chef Rupert Stadler Mantra-artig, dass Audi kein Interesse an der Formel 1 habe. Denn Stadler hat bereits ein anderes Motorsport-Prestigeobjekt. Und zwar eines, bei dem seine Ingenieure noch viel für die Straßenautos lernen können: Die technische Herausforderung ist die Langstrecke.

Seit dem Jahr 2000 hat Audi das wohl härteste Langstrecken-Rennen der Welt, die 24 Stunden von Le Mans, dreizehn Mal gewonnen, die letzten fünf Rennen in Folge. Und dabei haben die Ingolstädter nicht nur jede Menge Siegerfotos produziert, sondern die Rennstrecke erfolgreich als Testlabor für neue Technologien für künftige Serienmodelle genutzt.

Fakten zum Rennen

Der Technologie-Transfer ist laut Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich aktuell wie nie. Bereits seit 35 Jahren nutzt der Hersteller den Motorsport, um Neues für die Serienproduktion zu erproben. So stammt etwa der Allradantrieb aus dem Rallye-Sport, das Laserlicht kommt in Le Mans zum Einsatz. Mittlerweile haben sich die Ansprüche gewandelt: „Heute geht es primär um Effizienztechnologien,“ erklärt Ullrich. „So spezifisch das Rennsport-Reglement auch sein mag: Die generelle Zielsetzung entspricht exakt den Anforderungen an unsere Produktentwickler.“ Mehr Leistung bei weniger Verbrauch überzeugen eben auf Rennstrecke und Straße gleichermaßen.

Ein Beispiel: Heute verfügt nahezu jeder Benzinmotor aus dem VW-Konzern über eine Direkteinspritzung und einen Turbolader. Seine Ursprünge hat die von Audi FSI (Fuel Stratified Injection) genannte Technologie im Rennwagen R8, der Anfang des Jahrtausends fünf Mal in Le Mans siegte.

Ein weiterer großer Trend bei Straßenautos ist der Hybrid. – Benzin- oder Dieselmotor werden dabei von einem Elektromotor unterstützt. Bei dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans, das seit 2013 Teil der neu gegründeten Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC (World Endurance Championship) ist, müssen die Werksteams sogar zwangsweise mit einem Hybridantrieb starten.


Unterschiedliche Konzepte sorgen für Spannung

Im Gegensatz zum strengen Regelwerk der Formel 1 gibt es in der WEC außer der Hybrid-Pflicht nur noch eine weitere Vorschrift für den Antrieb: Die maximale Energiemenge pro Runde ist begrenzt. So wollen die Veranstalter die Leistung der Boliden unter Kontrolle halten. Das offene Regelwerk hat einen unschlagbaren Vorteil: In keiner anderen Automobil-Weltmeisterschaft ist die technische Vielfalt so groß.

Die vier Hersteller Audi, Porsche, Toyota und Nissan treten mit vier vollkommen unterschiedlichen Konzepten zum Wettbewerb an – vom Verbrennungsprinzip über die Motor-Anordnung im Rennwagen bis zu Umfang und Art der Energie-Rückgewinnung und ihrer Speicherung.

Seit 2006 haben in Le Mans trotz dieser Vielfalt nur Autos mit Dieselmotor gewonnen. Mit einer Ausnahme – 2009 gewann Peugeot – gingen alle Diesel-Siege an Audi. Dennoch setzt die Konkurrenz weiter auf Benzin – mal als kleiner Vierzylinder-Turbo, mal als großer V8-Saugmotor.

Fun Facts zu den 24 Stunden von Le Mans

Das wohl radikalste Konzept hat dabei Porsche gewählt. Der Benzinmotor des 919 Hybrid ist mit gerade einmal zwei Litern Hubraum kleiner als in vielen Straßenautos. Dank zweier Turbolader kommt der Porsche trotzdem noch auf deutlich über 500 PS. Mit der Zusatz-Power des Elektromotors spricht Porsche von „rund 1000 PS“. Berechnungen des Konkurrenten Toyota haben aber ergeben, dass der 919 sogar bis zu 1300 PS leisten kann.

Trotz der extremen Leistungsdaten muss der 919 Hybrid mit 4,76 Litern Kraftstoff für eine 13,629 km lange Runde in Le Mans auskommen. Hochgerechnet auf die für Straßenautos übliche Angabe kommt der Rennwagen so auf rund 35 Liter pro 100 Kilometer – bei Vollgas, wohlgemerkt. So mancher Straßensportwagen verbraucht bei der schnellen Fahrt über die Rennstrecke mehr. Und ist dabei deutlich langsamer.

Strom für drei Monate

Wird das Rennen nicht von Unfällen oder Regen verlangsamt, kann der Antrieb eines 919 während der 24 Stunden bis zu 1000 Kilowattstunden Strom erzeugen. Das reicht aus, um ein Einfamilienhaus fast ein Vierteljahr mit Strom zu versorgen oder mit einem Straßen-Elektroauto mehr als 6000 Kilometer zu fahren.

Nicht nur wegen solcher Zahlen misst Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz dem Antrieb des 919 die größte Bedeutung für Serienautos bei. „Bei der Batterie sind wir durch das LMP1-Programm in Leistungsdichten vorgestoßen, die wir sonst kaum kennengelernt hätten“, sagt Hatz. „Das heißt nicht, dass wir das 1:1 in die Serie übertragen können, denn da spielt die elektrische Reichweite gegenüber dem Zuwachs an Performance noch die dominierende Rolle. Aber durch den ungeheuren Leistungsdruck in dieser Topliga lernen wir unglaublich viel in sehr kurzer Zeit.“

Turbinen im Auspuff

Der 919 verfügt als einziger im Feld über zwei verschiedene Rückgewinnungssysteme. Das erste kommt in ähnlicher Form bereits im Sportwagen 918 Spyder zum Einsatz: In Bremsphasen verwandelt ein Generator an der Vorderachse Bewegungsenergie in elektrische Energie.

Das zweite ist neu: Im Auspuff sitzt eine zusätzliche Turbine, die die Strömungsenergie der Abgase in Strom umwandelt. So gewinnt der Porsche 919 Hybrid im Gegensatz zur Konkurrenz nicht nur beim Bremsen, sondern auch beim Beschleunigen Energie zurück. „Auch die Rückgewinnung von Abgasenergie wollen wir zur Serienreife bringen“, erklärt Hatz.

Ein solches System könnte dann etwa in der Sportwagen-Ikone Porsche 911 zum Einsatz kommen. Mit dem anstehenden Modellwechsel werden fast alle Varianten des 911er von Saug- auf Turbomotoren umgestellt. „Der Zweiliter-Vierzylinder-Turbo-Benziner im 919 Hybrid ist das innovativste und effizienteste Downsizing-Triebwerk, das Porsche bislang gebaut hat“, erläutert Hatz.

Im Rennsport geht ein Licht auf

Hybride und Verbrennungsmotoren stehen zwar im Fokus der Ingenieure. Ihre Leistung kann im Rennen über Sieg oder Niederlage entscheiden. Doch auch andere Technologien von Le Mans haben es bis ins Straßenauto geschafft, die man nicht sofort mit dem Motorsport verbindet: Scheinwerfer.

In der Nacht des 24-Stunden-Rennens hängt die Sicht der Rennfahrer bei Geschwindigkeiten jenseits der 300 Stundenkilometer entscheidend von den Scheinwerfern ab – obwohl neun der dreizehn Kilometer langen Runde über öffentliche Straßen führen, gibt es keine Laternen oder sonstige Beleuchtung. Vor einigen Jahren brachte Audi Matrix-LED-Scheinwerfer nach Le Mans, bei denen die einzelnen Leuchtdioden je nach Situation an- oder ausgeschaltet werden, um andere Fahrer nicht zu blenden. Ein Ziel, das auch im Straßenverkehr gefragt ist – inzwischen werden auch dort LED-Scheinwerfer angeboten.

Der nächste Schritt steht bereits fest: Seit dem vergangenen Jahr leuchten den Audi-Rennwagen Laser-Scheinwerfer den Weg. Einen Termin für das Debüt in einem Straßenauto gibt es auch schon:. Die nächste Generation der Luxuslimousine A8 wird ab Ende 2016 mit Laserlicht angeboten.

Zudem ist wahrscheinlich, dass der A8 von einem sparsamen Diesel-Hybrid angetrieben wird. Und auch die Le-Mans-Rennwagen werden im kommenden Jahr wohl noch von einem Selbstzünder befeuert. „Wir halten aktuell am V6 TDI fest, weil wir der Überzeugung sind, dass die TDI-Technologie von Audi eine besonders effiziente Antriebsart ist“, sagt Sportschef Ullrich. „In der Serie und im Rennsport.“

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