Düsseldorf Wie viel schluckt das Wunschauto? Zu Zeiten von Spritpreisen auf Rekordniveau eine wichtige Frage, die sich Käufer von Neu- und Gebrauchtwagen gleichermaßen stellen. Die offizielle Antwort dürfte aber in den meisten Fällen eine Lüge sein, wenn sie nämlich vom Hersteller oder Autohändler kommt und sich auf den sogenannten Normverbrauch bezieht, der auch EG- oder Euro-Mix genannt wird. Unabhängig von der mehr oder weniger richtigen Bezeichnung liegt er rund ein Fünftel bis ein Drittel unter den Verbräuchen, die Otto Normalfahrer auf die Straße bringt.
Das bestätigen Fachzeitschriften, Prüforganisationen wie TÜV und Dekra, Autoclubs und professionelle Autotester schon seit Jahren immer wieder. So ergab beispielsweise eine Auswertung des Autoclub Europa (ACE) im Februar 2012, dass bei knapp 250 getesteten Neuwagen der Verbrauchsschnitt bei 8,5 Liter pro 100 Kilometer lag, - und damit um 19,6 Prozent höher als von den Herstellern angegeben. Die hatten im Durchschnitt aller Verbrauchsangaben nach dem sogenannten EG-Mix 7,2 l/100 km genannt. Bei Benzinern lag die Differenz bei +17,2 Prozent, bei Selbstzündern gar bei + 23,8 Prozent.
„Auto Bild“ weist in den eigenen Fahrzeugtests regelmäßig Mehrverbräuche von bis zu 30 Prozent nach, im Vergleich zu den Herstellerangaben.
Und der Münchener Autoclub ADAC bestätigt diese für Autofahrer ärgerlichen Resultate am 15. März 2012 indirekt mit eigenen Testergebnissen für acht Fahrzeuge im Rahmen seines neuen EcoTests (Interner Link).
So lagen Audi A4 2.0 TDI und BMW 328i mit +13 und +14 Prozent mehr Spritverbrauch noch tolerierbar daneben. Besonders ärgerlich wird es aber, wenn modernste Elektrofahrzeuge – und damit Öko-Aushängeschilder - wie der Volvo C30 oder der Renault Fluence Z.E. 80 bis 90 Prozent über den Hersteller-Verbrauchsangaben liegen. Dann wird ganz offensichtlich, dass es hier einen Fehler im System geben muss.
Der ist allerdings längst ausgemacht, er trägt den sperrigen Namen MNEFZ. Das steht für Modifizierter Neuer Europäischer Fahrzyklus gemäß Richtlinie 93/116/EWG)
Wie der und andere internationale Fahrzyklen funktionieren, und was Experten daran auszusetzen haben, erklären wir für technische Interessierte an anderer Stelle ausführlich. Hier nur soviel: Das 1996 eingeführte und im Jahr 2000 überarbeitete Messverfahren ist hoffnungslos veraltet, hat mit unserem täglichen Fahrverhalten nur sehr wenig zu tun.
So wird es auf dem Rollprüfstand ermittelt, und die Hersteller dürfen mit verbrauchsmindernden Spritsparreifen und Leichtlaufölen tricksen, bei Maximaltempo 120, während so realistische – und den Spritverbrauch steigernde - Verbraucher wie Klimaanlage oder Fahrtlicht ausgeschaltet bleiben. Laut ADAC schluckt aber beispielsweise ein Auto mit aktivierter Sitz- und Heckscheibenheizung, Beleuchtung und Lüftung auf 100 Kilometern etwa einen halben Liter Kraftstoff zusätzlich.
Dass man all dies in einem gelungenen, seit Jahren erfolgreich angewandten Fahrzyklus unterbringen kann, der Autofahrer auch nicht mit vorgetäuschten Minderverbräuchen irreführt, beweisen die Amerikaner mit ihrem FTP 75. Der simuliert eine Fahrt im Berufsverkehr und zeigt der bisherigen Erfahrung nach vielleicht mal zehnprozentige Abweichungen von den Prüfstandtests der Hersteller, aber keine 30-prozentigen.
Und selbst der ADAC, der mit seinem EcoTest besonders strenge Maßstäbe anlegt, kann sich mit dem US-Fahrzyklus anfreunden. So sagt Reinhard Kolke, Leiter der ADAC-Abteilung Test und Technik: Unbestritten ist der FTP 75 einer der besten Zyklen. Er ist sehr dynamisch und stellt hohe Anforderungen an Verbrauch und Abgasemissionen. Aber jedes Land und jeder Kontinent wünscht eigene Identität."
WLTP statt MNEFZ
Das Thema ärgert in erster Linie die Autofahrer, hat aber auch eine „staatstragende“ Dimension, auf die bereits im Sommer 2010 die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hingewiesen hatte. Hintergrund: Seit dem 01.17.2010 orientiert sich bei Neufahrzeugen die Steuer auch am CO2-Ausstoß - und damit am Verbrauch, denn beide Größen hängen direkt voneinander ab. Mehrere hundert Millionen Euro, so die Schätzungen der Organisation, würden dem deutschen Staat jährlich durch die „geschönten Angaben“ der Hersteller entgehen.
Ob es nun an staatlicher Initiative, dem berechtigten Genörgel von Autoclubs und Medien oder besserer Einsicht der fast allmächtigen Autolobby liegt, Tatsache ist, dass sich beim NEFZ, der ja noch nicht einmal Hybrid und Elektrofahrzeuge korrekt erfasst, was tun muss und auch tun wird.
2016 oder 2017 soll nach Informationen des ADAC der MNEFZ durch die neue Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure, kurz WLTP-Zyklus, ersetzt werden. Die Standardisierung betrifft neben dem eigentlichen Fahrzyklus (zukünftig DHC genannt) auch die Messprozedur (künftig: DTP), und dann sind auch die alternativen Antriebe bei den Fahrzyklen korrekt mit dabei. Man kommt, in anderen Worten, der kompletten Ökobilanz des Fahrzeugs dann ein gutes Stück näher.
ECE-Norm mit Systemfehlern
Auf diesem Weg ist auch der ADAC, der am 15. März seinen neuen EcoTest vorstellte. Ab sofort arbeitet der Club mit einem erweiterten Prüfverfahren, das jetzt eines der weltweit härtesten Umwelttests für Neufahrzeuge darstellt. Der Grund für die Verschärfung: Gerade neue Antriebsformen machen es für Autokäufer immer schwerer, den Überblick über den tatsächlichen Verbrauch und die Umweltverträglichkeit von Fahrzeugen zu behalten.
Der Autokäufer soll letztlich einen Steckbrief auf Grundlage realistischer Verbrauchswerte und Umweltbewertungen erhalten, in dem auch die Frage nach der Energiequelle beantwortet wird. Nur so könnten erstmals serienmäßige Elektromobile direkt mit Gas, Benzin- und Dieselfahrzeugen verglichen werden, heißt es aus München.
So lobenswert die Initiative auch erscheint, sie ist ein weiterer Appell an Politik und Hersteller. Gesetzlich gültig ist in Deutschland seit August 2011 die ECE-Norm R101. Und die hat ihre ganz eigene Schwächen.
In ihr wird für beispielsweise für Plug-in-Hybride ein Fahrzyklus von elf Kilometern festgelegt, bestehend aus Stadt- und Überlandfahrt. Und wie beim NEFZ werden die Messungen bei milden 20 Grad Celsius unter Laborbedingungen auf einem Rollenprüfstand ausgeführt. Der Einfluss der Temperatur auf die so kälteempfindlichen Akkus bleibt also unbeachtet. Ebenso, man ahnt es schon, Zusatzverbraucher wie Licht oder Klimaanlage, geschweige denn eine Autobahnfahrt.
Die Strecken werden (simuliert) einmal mit vollen und einmal mit leeren Akkus durchfahren. Also zuerst mit dem Elektromotor, anschließend mit dem Verbrenner. Über eine Formel werden beide Werte kombiniert. VCD und Auto Bild, die kräftig Stimmung gegen die Norm machen, verweisen auf folgenden Fehler im System: Weil im reinen Elektrobetrieb kein Kraftstoff verbraucht wird, fließt dieser Wert mit null ein, obwohl bei der Produktion einer Kilowattstunde 575 Gramm CO2 entstehen (Ökostrom: 40 g/kWh) und der Autofahrer den Strom bezahlen muss. Gleich zwei schwere Nachlässigkeiten, dank derer zum Beispiel für eine PS-starke Mercedes Hybrid-E-Klasse ein Normverbrauch rund vier Litern ermittelt wird.
Dass dies kein Stuttgarter Problemchen, sondern eine Riesenproblem für Europa ist, legt eine Untersuchung von Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer (CAR Institut) und dem Ökoglobe-Institut der Uni Duisburg-Essen nahe. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Autos unter realitätsnahen Bedingungen im Schnitt 27 Prozent mehr Sprit schlucken und Schadstoffe ausstoßen als angegeben. "Damit wird das von der EU-Kommission verfolgte Ziel, dass Neuwagen ab 2015 im Schnitt nur noch 130 Gramm CO2 ausstoßen sollen, Makulatur", rügen die Experten. Aus 130 Gramm auf dem Papier würden realistisch gesehen 188 Gramm pro Kilometer.