Innovative Konzepte So sollen Deutschlands marode Straßen zukunftsfähig werden

Verkehrsnetz: So sollen deutsche Straßen künftig aussehen Quelle: Picture-Alliance/DPA

Zwei Autobahnen in Baden-Württemberg, A81 und A7, dürfen aktuell nur mit Tempo 80 befahren werden. Der Grund: mögliche Hitzeschäden der älteren Betonfahrbahn. Wieder ein Beispiel dafür, dass deutsche Straßen dringend modernisiert werden müssen. Die Fahrbahn von morgen soll belastbar und leicht zu reparieren sein.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter, rollt der Baustellenanhänger mit der auffällig orangefarbenen Plane über den Asphalt am Autobahnkreuz Köln-Ost. Keine Bürste, keine Fräse, keine Walze bearbeitet den Bodenbelag. Doch „wenn die Praxis bestätigt, was die Forschung verspricht“, sagt Bauingenieur Ulf Zander, könnte die Maschine Pendlern und Reisenden quer durch die Republik schon bald Hunderte Baustellenkilometer und unzählige Wartestunden im Stau ersparen.

Bislang rollen Autos in Köln-Ost, an der Kreuzung von A 3 und A 4, oft nur im Schritttempo. Die beiden Autobahnen zählen zu den stauträchtigsten im Land. Um das zu ändern, arbeiten seit ein paar Monaten Straßenbauexperten, Verkehrsplaner und Materialforscher ein paar Meter neben den Fahrbahnen auf einem weltweit einzigartigen Versuchsgelände der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) an der Fahrbahn der Zukunft. Sie soll dank „neuer Baustoffe und Verfahren haltbarer sein als bisher“, sagt Zander, Chef der Abteilung Straßenbautechnik bei der Bast. „Und wir erproben, wie wir Schäden zügiger und mit weniger Baustellen beheben können.“

Hitze ersetzt Presslufthammer

Wie hier im Kölner Osten sind derzeit viele Experten damit beschäftigt, die Verkehrswege von morgen fit zu machen. Vor allem für lange Lkw-Kolonnen, die den Straßen am meisten zusetzen. Die Bundesrepublik ist als Transitland internationaler Transporte im Herzen von Europa besonders abhängig von belastbaren Straßen: „Bis 2030 wird die Transportleistung gegenüber 2010 noch mal um knapp 40 Prozent steigen – auf mehr als 600 Milliarden Tonnenkilometer“, prophezeit Zander. „Jeder voll beladene Laster stresst die Fahrbahn wie 30.000 Pkw.“

Bislang stiegen mit den Belastungen auch die Schäden im Belag. Doch damit soll jetzt Schluss sein, dank der neuen Technologien: Die Fahrbahn von morgen spart Material, ist solide und „easy to fix“.

Das Problem all dieser schönen Ideen: Sie kosten Geld. Und sie gehen weit über das hinaus, was Deutschland bereits seit Jahren nicht hinbekommt: nur schon den bestehenden enormen Sanierungsstau abzubauen. Laut der jüngsten öffentlichen Kalkulation des Bundesverkehrsministeriums von 2013 fehlen Kommunen, Ländern und Bund mehr als sechs Milliarden Euro pro Jahr, um wenigstens den Status quo der Verkehrswege zu erhalten. Dazu kommt: Etwa 60 Prozent der Strecken sind 30 bis 40 Jahre alt und damit am Ende ihrer kalkulierten Lebensdauer. Auch weil die Konstrukteure in den Siebzigerjahren noch von weit geringeren Verkehrsmengen ausgingen.

„Jahrzehntelang wurde die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren“, schimpft Christian Funke. Er ist Geschäftsführer des Verbandes Pro Mobilität, der Wirtschaftsverbände, Logistiker und die Bauwirtschaft vertritt. Die Folgen: immer mehr Baustellen. Immer mehr Flickwerk. Immer mehr Staus – und zwar überproportional zum steigenden Verkehrsaufkommen. Binnen zehn Jahren stieg die Staulänge auf Autobahnen von 400.000 auf zuletzt annähernd 1,45 Millionen Kilometer im Jahr.

Immerhin, sagt Funke, „seit marode Autobahnbrücken wie die Rheinquerung der A 1 bei Köln“ zu kompletten Streckensperrungen geführt haben, „reagiert die Politik endlich“. Der ehemalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat die Investitionen in Autobahnen und Bundesstraßen seit 2016 von gut fünf Milliarden Euro auf derzeit gut siebeneinhalb Milliarden im Jahr erhöht. Und sein Nachfolger Andreas Scheuer steigert die Summe bis 2022 auf fast neun Milliarden Euro. Auch Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen machen mehr Mittel locker – etwa für Personal, das die überfälligen Baumaßnahmen nun endlich planen und umsetzen soll.

13 Millionen Euro hat allein das neue Testgelände am Kölner Kreuz Ost gekostet, auf dem die Forscher seit vergangenem Herbst arbeiten. 25.000 Quadratmeter Fläche, rund ein Kilometer Fahrbahnen, Beläge aus unterschiedlichsten Materialien, dazu Brücken, Brems- und Beschleunigungsstrecken, enge Kurven: Ein kompaktes Abbild des Straßennetzes ist hier entstanden – um erforschen zu können, wie sich Scheuers Investitionsmilliarden am sinnvollsten einsetzen lassen.

Drohnen statt Bauarbeiter

Zum Beispiel mit der orange eingekleideten Maschine am Autobahnkreuz Köln-Ost. Die Technik in ihrem Inneren ähnelt einem modernen Induktionsherd. Nur dass ihr Magnetfeld eben keine Töpfe erhitzt, sondern feine Metallspäne, die Materialforscher zuvor in den Asphalt der Testfahrbahn gemischt haben. Der Clou: Dank der Hitze wollen die Verkehrsforscher Schäden in der Oberfläche beheben, bevor sie sich zum Schlagloch auswachsen und dann zum Sicherheitsrisiko werden.

Der Heizimpuls sorgt dafür, dass das Bitumen – der schwarze Kleber, der den Splitt zur festen Fahrbahn verbindet – kurz weich wird. Und dass sich dadurch die winzigen Risse im Belag, die unter dem Einfluss von Sonne, Wasser, Eis und endlosen Lasterkolonnen entstehen, wieder verschließen. Das, hoffen die Forscher, könnte Reparaturen für Jahre überflüssig machen.

Beschädigte Teile von alten Betonfahrbahnen können Zanders Straßenbauer seit Kurzem sogar stückweise durch komplett neue Fahrbahnplatten ersetzen – fast so, als tauschten sie einzelne Streckenteile einer Carrera-Bahn aus. Weil die Platten in der Fabrik vorproduziert werden, hängen die Reparaturarbeiten nicht mehr vom Wetter ab. Und weil der Beton vor Ort nicht aushärten muss, bleiben Straßen nicht mehr tagelang, sondern nur noch für ein paar Stunden gesperrt.

Die Forscher suchen aber auch nach robusteren Asphaltmischungen. Wetterwechsel, Stop-and-go-Verkehr und die Wärmeabstrahlung stehender Autos an Ampeln setzen vor allem den Straßen in Städten zu: „Bei warmem Wetter wird der Asphalt dort noch weicher als anderswo“, sagt Alexander Buttgereit, Abteilungsleiter Straßenbau beim Tiefbauamt Münster und Experte der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. „Wir brauchen härtere Beläge, die trotzdem wenig Rollgeräusche verursachen – und die dabei auch noch Wasser aufnehmen können, um Starkregen abzuleiten.“

Eine Antwort auf den Klimawandel könnten Straßenbeläge mit integrierten Kühl- oder Heizleitungen sein, wie viele Menschen sie von Fußbodenheizungen kennen. Im Sommer hielten sie die Fahrbahn kühl und hart. Im Winter würden sie verhindern, dass sich Eis bildet. Denn das verursacht nicht nur Unfälle, sondern es setzt auch die Fahrbahn einem regelrechten Stresstest aus und sprengt die winzigen Alterungsrisse im Asphalt auf. Denkbar wäre zudem, dass Straßen Strom erzeugen oder sogar E-Autos mit Energie versorgen: „Parkplätze mit Ladespulen im Boden gibt es schon“, sagt Buttgereit. „Wenn Autos darüber rollen, können die Spulen theoretisch auch Strom erzeugen und ihn an Elektrowagen übertragen.“

Wo wie viel Geld für den Erhalt der Straßen fehlt.Quelle: Pro Mobilität, BMVI

Wissenschaftler der britischen Universität Leeds wiederum wollen im Rahmen des Forschungsprojektes Self Repairing Cities Drohnen entwickeln, die Straßen überwachen. Langfristig sollen die Flugroboter nicht nur Straßenschäden erkennen, sondern kleinere Asphaltrisse auch mithilfe von 3D-Druckern selbstständig kitten, ohne dass noch Bautrupps ausrücken müssen. Zur sich selbst heilenden Stadt gehören daneben auch Fahrbahnen und Brücken, die mit Sensoren ausgestattet sind und rechtzeitig Alarm schlagen, wenn Schäden drohen. Eine Straße würde dann vorsorglich und schnell ausgebessert – und nicht mehr verspätet und mit langer Sperrung für Reparaturen.

Ein erstes Ergebnis der Tests am Autobahnkreuz Köln-Ost: Mit einer neuen Struktur des Unterbaus, etwas dickeren Schotterschichten und etwas höherwertigerem Asphalt lässt sich die Haltbarkeit der Fahrbahnen massiv erhöhen. „Mit Mehrkosten von etwa zehn Prozent verdoppeln wir die Lebensdauer der Straßen von 30 auf 60 Jahre“, sagt Experte Zander. „Erst mal beschert uns die Grundsanierung ein paar Baustellen mehr. Aber dafür rollt der Verkehr danach sehr viel länger ungestört.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%