
Düsseldorf/Köln Tief empfundener Zorn und absolutes Unverständnis sind der jungen Frau ins Gesicht geschrieben. Ihr Blick wird streng, die feinen Gesichtszüge unter der blonden Haarsträhne verhärten sich. Entschlossen braust sie mit ihrem weinroten Damenfahrrad in letzter Minute über den Zebrastreifen - mit einem hektischen Piepsen, einer wild aufblinkenden Abstandswarnung des Bordcomputers und einem Ruck kommt der Jeep Grand Cherokee Overland 3.0 CRD zum Stehen. Wieder einmal.
Nach einer Irrfahrt durch die Kölner Innenstadt steht fest: Auf junge, vorzugsweise Rad fahrende Frauen Mitte 20 hat der große weiße Jeep mit dem massiven Chromgrill den gleichen Effekt, als wenn Captain Ahab den Riesenwal Moby Dick am Horizont sichten würde. Frei nach Hermann Melville: “Wal, da bläst er!” gibt es angesichts des voluminösen SUVs kein Halten mehr. Ein großer Geländewagen in der Stadt? Das geht offenbar gar nicht, böse Blicke sind garantiert.
Doch genauso wie in Melvilles Roman gilt: So viel Ärger hat “Moby Jeep”, also der Grand Cherokee eigentlich nicht verdient.
Gut: Hier, tief im Stadtviertel Deutz, eingekeilt zwischen Kinderwägen, Radfahrern und Lieferwagen ist sicherlich nicht der angestammte Lebensraum des Riesen-SUV. Wenn der Jeep mit seinen 2,3 Tonnen Leergewicht auf seinen 20-Zoll-Felgen durch enge Einbahnstraßen rollt und der Fahrer am Lenkrad kurbelt, erinnert der Cherokee tatsächlich eher an einen Wal, der sich mühsam durch eine Lagune schleppt.
Wobei sich im Cockpit dann auch noch eine unnötige Hektik breit macht, wenn die Abstandwarner an allen Ecken und Enden des Jeeps zu piepsen, fiepen und tröten beginnen. Da Jeep bei der Bemessung der Sicherheitsabstände für den Cherokee jedoch ausgesprochen großzügig war, ist der ganze elektronische Alarmismus genauso voreilig wie nervtötend - ganz besonders deshalb, weil der Bordcomputer leider nicht anzeigt, wie weit man denn nun vom Ziel tatsächlich entfernt ist. Doch wie gesagt, eigentlich ist die Sensorik überflüssig.
Außen groß, innen riesig
Denn dank der hohen Sitzposition und den ringsum großen Fensterflächen lässt sich Moby Jeep erstaunlich gut auch durch enge Gassen manövrieren. Keine Frage: Eine Freude ist das trotzdem nicht unbedingt, aber im Gegensatz zur manch überdesignten Konkurrenten zahlt sich hier das klassische kastige Design des Jeeps aus. Wenn da nur das hohe Dach nicht wäre. Was im Innenraum für viel Luft und Laune sorgt, kann bei der Fahrt in die Tiefgarage zur Zitterpartie werden.
Und auch wenn das Antennenbürzel auf dem Heck recht elastisch ist, manchmal würde man es doch lieber abnehmen - etwa für die Waschstraße. Wenn das denn so einfach wäre. Denn im Fall des Falles steht beim Cherokee mit seiner Breite von mehr als 1,9 Metern (ohne Außenspiegeln wohlgemerkt) und einer Höhe von über 1,7 Metern erst einmal eine Kletterpartie über Felge und Reifen an. Für jüngere Semester freilich kein Problem, aber in Momenten wie diesen stellt sich halt dann doch die Frage, ob ein Auto wirklich so groß sein muss.
Muss es nicht, aber man kann daran auch seinen Spaß haben. Wer erst einmal auf den genauso breiten wie bequemen Sesseln in braunen Nappa-Leder samt Stickerei Platz genommen hat, ist, ja, durchaus beeindruckt. Dieser Jeep ist außen groß und innen riesig.
Es gibt Platz in Hülle und Fülle. Selbst hinter hochgeschossenen Fahrern kommen Passagiere äußerst kommod unter - und die Rückbank taugt auch locker für drei. Deren Gepäck verschwindet in einem Kofferraum mit mindestens 780 Liter Ladevolumen. Dass der Cherokee da auch noch Haltestangen für einen Dachgepäckträger aufbietet, kann nur damit zu tun haben, dass man sich mit dem frisch geschossenen Karibu nicht die Teppiche einsauen möchte.
Doch anders als früher stimmen im neuen Cherokee nicht nur die Platzverhältnisse, sondern vor allem auch Ambiente und Qualität. Mit all dem fein vernähten Leder in stilvollem New Saddle Brown, dem dicken Leder-Lenkrad, den Olivenholz-Intarsien und den fein dosierten Chrom- und Silberschmuck vor Augen lässt sich der Cherokee am besten mit dem Wohnzimmer einer großen texanischen Ranch vergleichen.
Alles ein bisschen Barock, aber stilvoll eingerichtet und mit viel Charakter. Hinzu kommt ein fast vollständiges Arsenal mehr oder minder sinnvoller elektronischer Spielereien - darunter dürfte der Totwinkel-Überwacher, die beheizbare Rücksitzbank, die sehr gute Sprachsteuerung und das breite Glasdach, das sich auch noch öffnen lässt, schnell zu den Favoriten gehören.
Etwas fummelige Bedienung
Ja, da ist es kaum zu glauben, was für öde, teils schlecht und billig verarbeitete Fahrgastzellen die Amerikaner ihren Kunden einst zugemutet haben. Vergessen und vorbei. Eine Insolvenz später ist Jeep bei Haptik und Qualität im beliebten Premium-Segment angekommen. Nur an mancher Stelle, etwa beim wie aus einem Zubehörladen stammenden Knopf für die elektrisch verschließbare Heckklappe ist den Jeeplern ein Ausrutscher passiert. Kleinigkeit.
Weniger gelungen ist hingegen das Audio-Navigationsgerät, das mit viel zu bunten Anzeigen und teils viel zu viel Informationen mehr nervt als nützt. Und wie bei vielen anderen ähnlichen Multimedia-Systemen ist auch bei Jeep dessen Touchscreen-Steuerung alles andere als optimal.
So eingängig die Bedienung mit dem Finger auf dem ersten Blick ja sein mag, in einem Auto ist das Herumtippen auf einem Bildschirm während der Fahrt alles andere als sicher und leichtgängig. Viel zu schnell verklickt und verschiebt man sich, viel zu lange kleben die Augen notgedrungen auf dem Schirm und nicht auf der Straße. Touchscreen hat im Auto nichts verloren. Dann lieber wieder Knöpfe - oder halt die sehr gut auch ohne Training funktionierende Sprachsteuerung. Mit einer Einschränkung: Schnell ist das System nicht, dafür aber verhältnismäßig zuverlässig.
Umso besser hat Jeep seine Arbeit unter dem Blech erledigt - und das überall. Die Automatik ist leichtgängig und feinfühlig, auch wenn die offenen Schaltkulisse allen Verchromungen zum Trotz sicherlich nicht jedermanns Sache sein durfte. Und dann ist da ja noch das luftgefederte Fahrwerk. Zugegeben: Die Einstellungen für Geröll, Schlamm und steile Abfahrten sind tatsächlich nur etwas für die Karibu-Jagd.
Otto-Normal-Fahrer dürften sich hingegen über die komfortable Abstimmung freuen, die trotzdem auch in schneller gefahrenen Kurven genug Sicherheitsreserven übrig lässt.
Dazu passt der 3.0 Liter V6 Diesel Motor, der so kultiviert und genau so kraftvoll ist, wie die eindrucksvollen Leistungsdaten es vermuten lassen - mit 241 PS und 550 Newtonmetern Drehmoment schleppt der Cherokee auch Lasten von bis zu 3,5 Tonnen durch die Prärie. Der Testverbrauch von 12,1 Litern geht angesichts der Motor-Power und der schieren Größe des Cherokees im Prinzip in Ordnung - macht den SUV trotzdem nicht zum Ökomobil.
Vielleicht hat sie das geahnt, die junge Dame auf dem Fahrrad, die der Grand Cherokee so auf die Palme gebracht hat. Und ja, das vielleicht gar nicht mal so zu Unrecht. In Deutz ist der Jeep wirklich fehl am Platz - genauso wie all die anderen großen SUVs auch. Beliebt sind sie trotzdem. Wer den Cherokee einmal gefahren hat, ahnt, warum. Size matters - die Größe macht’s.
Technische Daten des Testwagens in der Übersicht
Jeep Grand Cherokee Overland 3.0 l CRD V6
Technische Daten | |
Bauart | V6-Common-Rail-Dieselmotor |
Hubraum | 2.987 cm³ |
Leistung | 177 kW (241 PS) |
bei Drehzahl | 4.000 1/min |
Max. Drehmoment | 550 Nm |
bei Drehzahl | 1.800 - 2.800 1/min |
Getriebe | 5-Gang-Automatik |
Fahrleistungen | |
Höchstgeschwindigkeit | 202 km/h |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 8,2 Sek. |
Verbrauch & Emissionen | |
Innerorts in l/100 km | 10,3 |
Außerorts in l/100 km | 7,2 |
Kombiniert in l/100 km | 8,3 |
CO2-Emission in g/km | 218 |
Basispreis: 58.900 Euro
Ausstattung:
20-Zoll-Leichmetallräder, 2-Zonen-Klimaautomatik,
Sitzpolsterung in Nappa-Leder, Navigation mit MP3-fähigem CD-/DVD-Laufwerk,
TMC,Touchscreen, 30-GB-Festplatte, USB-/MP3-Player-Anschluss,
Audiosystem von Alpine mit 9 Lautsprechern, Subwoofer,
506-Watt-Verstärker und Surround-Sound,Bluetooth-Freisprecheinrichtung,
Parkpilot für Front- und Heckbereich mit Rückfahrkamera,Auffahrwarnsystem,
Tempomat mit Abstandskontrolle und Toter-Winkel-Assistent