KI-Analyse von Jobanzeigen Wie der Tesla-Effekt den deutschen Auto-Arbeitsmarkt verändert

Mitarbeiter des Eisenacher Opel-Werkes in der Lackiererei Quelle: dpa

Der Umstieg auf die Elektromobilität und die rasante Digitalisierung des Autos sorgen für einen Mangel an IT-Fachkräften in der Automobilindustrie. Der Softwareanbieter Textkernel hat den Auto-Jobmarkt für die WirtschaftsWoche analysiert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Keine Frage: Die über Jahrzehnte hochprofitable und erfolgsverwöhnte Autobranche kämpft derzeit mit gleich mehreren Herausforderungen. Kaum ist die Coronakrise mit Kurzarbeit und weltweitem Absatzeinbruch halbwegs ausgestanden, fehlt es überall im Land an Mikrochips. Und dass der Umstieg auf das Elektroauto nach 140 Jahren Verbrennerantrieb nicht spurlos an Autobauern und Zulieferern vorübergehen wird, ist eigentlich selbstverständlich. Er wird viele Milliarden Euro kosten. Und auch den einen oder anderen Job. Nicht alle Zulieferer werden ihn überleben.

Zwar gehen längst nicht alle Studien davon aus, dass es in der neuen Elektrowelt unter dem Strich viel weniger Arbeitsplätze sein werden als heute. Doch die Erkenntnisse sind uneinheitlich. Einige Forscher sprechen von bis zu 200.000 weniger Jobs in Deutschland, andere gar von kleinen Zuwächsen. Ja, ein E-Motor hat nur etwa 15 Prozent der beweglichen Teile wie ein moderner Diesel oder Benzinmotor. Dafür entstehen neue Jobs, in Batteriefabriken und bei deren Zulieferern, bei Ladesäulenanbietern und Energieversorgen.

Fest steht: Es werden nicht immer die gleichen Jobs wie heute sein. Dass 2030 mehr Elektroingenieure und Programmierer gebraucht werden als heute, hilft dem Zerspanungsmechaniker in der Kolbenfabrik und der Kfz-Mechanikerin in der freien Werkstatt nur bedingt.

„Konkrete Arbeitsmarktdaten können hier wertvolle Einblicke bieten“, sagt Stefan Knichel, Manager bei Textkernel in Amsterdam. Das 2001 gegründete Unternehmen gehört zu den europäischen Pionieren der künstlichen Intelligenz (KI). Textkernel hat ein Tool namens Jobfeed programmiert, das eigenständig systematisch Stellenausschreibungen analysiert. Die Jobfeed-KI durchsucht das Internet täglich automatisch nach neuen Stellenanzeigen. Es analysiert dafür regelmäßig etwa 68.000 deutsche Websites auf neue Veröffentlichungen und wertet sie aus. In Deutschland habe Jobfeed seit 2011 schon über 200 Millionen Stellenanzeigen ausgewertet, erklärt Knichel. Auf Basis dieser Daten hat das Unternehmen nun eine Analyse der deutschen Automobilfirmen und Zulieferer durchgeführt, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.

Von Corona keine Spur mehr

Auffällig ist, wie schnell sich der Fachkräftebedarf in der Automobilindustrie vom heftigen Einbruch durch die Coronakrise erholt hat. Mit den ersten Lockdowns Anfang 2020 brach die Automobilproduktion in Deutschland innerhalb kürzester Zeit um über 24 Prozent ein. Textkernel hat die Inlandsproduktion von Autos in Deutschland mit der Anzahl der in der Automobilbranche ausgeschriebenen Jobs verglichen. „Deutlich zu erkennen ist die starke Abnahme der Jobangebote im ersten Quartal 2020. Die Vermutung liegt nahe, dass in diesem Zeitraum nur noch unbedingt notwendige Positionen extern ausgeschrieben wurden“, erläutert Knichel. Ebenso rasant stieg die Zahl der Stellenangebote jedoch nach den Betriebsferien im Juli und August 2020 wieder an. Nachdem es im Mai 2020 nur noch knapp 600 Stellenangebote in der gesamten Autobranche gab (Werkstudenten und Praktika hat Textkernel nicht gezählt), waren es ein Jahr später schon wieder mehr als 2000 sozialversicherungspflichtige Jobs, für die neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht wurden.

Deutscher Automobilmarkt (April 2020 bis Mai 2021)

Tesla treibt den Markt

Kostet der Umstieg auf die Elektromobilität nun netto Jobs oder nicht? An den reinen Daten lässt sich das noch nicht ablesen, so Knichel. Im Gegenteil: Deutlich erkennbar in der Jobdaten-Analyse von Textkernel ist der Tesla-Effekt. In Grünheide bei Berlin baut derzeit der US-Pionier Tesla seine bislang vierte Großproduktion, nach Fremont, Reno (beide USA) und Shanghai (China). „Auf dem Arbeitsmarkt ist das deutlich ablesbar“, sagt Knichel. Tesla steigerte seit Ende 2020 die Anzahl Stellenausschreibungen und übertraf im ersten Quartal des Jahres 2021 alle anderen deutschen Automobilhersteller zahlenmäßig. Im März und April hatten die Amerikaner gleichzeitig 1300 von gut 2000 Stellen in der Autoindustrie offen. Inzwischen ist der Tesla-Boom aber wieder etwas abgeflacht. Der US-Autobauer hat noch rund 600 Stellen ausgeschrieben, VW und Daimler je rund 350.



Alle suchen Software-Skills

Unabhängig davon, wer Leute sucht: Softwareingenieure und Programmierer haben exzellente Chancen. Moderne Autos sind immer stärker vernetzt. Die Softwarestrukturen und Onboard-Rechner werden immer komplexer, so dass es längst nicht mehr genügt, das bestehende Personal mit Weiterbildungsmaßnahmen zu qualifizieren. Softwareentwicklung, früher ein Thema für den Einkauf der Autokonzerne, wird immer häufiger ins Unternehmen geholt, schon, um technisch mitreden zu können und den aggressiven Zulieferkonzernen wie Nvidia nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. „Der prozentuale Anteil der IT-Stellen auch innerhalb des Ingenieurwesens steigt seit 2017 kontinuierlich an“, beobachtet Knichel „,der Wandel zum E-Auto verstärkt den allgemeinen Trend, weil Elektroautos anteilig noch mehr Software enthalten als Verbrenner.“



Innerhalb der IT-Berufe sind Softwareentwickler die mit weitem Abstand gefragteste IT-Berufsgruppe sind – aktuell mit weiter steigendem Anteil, während die Nachfrage nach allen anderen IT-Berufsgruppen nur noch leicht zunimmt. Im Verlauf der vergangenen sechs Jahre sind vor allem die Stellenausschreibungen für Hardwarespezialisten und IT-Manager stark zurückgegangen.



Der allgemeine Trend hin zu Softwareexpertinnen und Ingenieuren werde anhalten in der Autobranche, ist sich Datenanalyst Knichel sicher. „Es wird nicht immer so starke Anstiege wir beim Tesla-Markteintritt geben, aber umkehrbar ist der Trend nicht mehr, Autos werden auf lange Sicht rollende Rechner.“ Auch VW-Chef Herbert Diess sagte zuletzt gegenüber dem ZDF, er rechne damit, dass die großen Veränderungen noch kommen. „Im Vergleich zu dem, was durch Digitalisierung und Autonomes Fahren noch auf uns zukommen wird, ist der Umstieg auf das Elektroauto Pipifax.“

Mehr zum Thema: Seit Jahren gehört Audi zu den beliebtesten Arbeitgebern in Deutschland. Nun macht Tesla den Ingolstädtern die Position streitig. Bleibt Audi eine gute Adresse für Bewerber?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%